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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

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bastian jetzt in größter Verwunderung aus, denn es war
ihm eben ein großes Licht aufgegangen über die Geister¬
erscheinung.

"Ja, so war's! das war's! und Er ist ein Hasenfuß,
und dem Johann kann Er sagen, er sei desgleichen und Alle
miteinander eine lächerliche Mannschaft." Damit ging Herr
Sesemann nach seiner Stube, setzte sich hin und schrieb einen
Brief an den Alm-Oehi.

Sebastian war verdutzt mitten im Zimmer stehen ge¬
blieben und wiederholte jetzt zu öftern Malen in seinem
Innern: "Hätt' ich mich doch von dem Feigling von einem
Johann nicht in die Wachtstube hineinreißen lassen, sondern
wäre dem weißen Figürchen nachgegangen, was ich doch jetzt
unzweifelhaft thun würde!" denn jetzt beleuchtete die helle
Sonne jeden Winkel der hellgrauen Stube mit voller
Klarheit.

Unterdessen stand Heidi völlig ahnungslos in seinem
Sonntagsröckchen und wartete ab, was geschehen sollte, denn
die Tinette hatte es nur aus dem Schlaf gerüttelt, die
Kleider aus dem Schrank genommen und das Anziehen be¬
fördert, ohne ein Wort zu sagen. Sie sprach niemals mit
dem ungebildeten Heidi, denn das war ihr zu gering.

Herr Sesemann trat mit seinem Brief in's Eßzimmer
ein, wo das Frühstück bereit stand, und rief: "Wo ist das
Kind?"

Heidi wurde gerufen. Als es zu Herrn Sesemann

baſtian jetzt in größter Verwunderung aus, denn es war
ihm eben ein großes Licht aufgegangen über die Geiſter¬
erſcheinung.

„Ja, ſo war's! das war's! und Er iſt ein Haſenfuß,
und dem Johann kann Er ſagen, er ſei desgleichen und Alle
miteinander eine lächerliche Mannſchaft.“ Damit ging Herr
Seſemann nach ſeiner Stube, ſetzte ſich hin und ſchrieb einen
Brief an den Alm-Oehi.

Sebaſtian war verdutzt mitten im Zimmer ſtehen ge¬
blieben und wiederholte jetzt zu öftern Malen in ſeinem
Innern: „Hätt' ich mich doch von dem Feigling von einem
Johann nicht in die Wachtſtube hineinreißen laſſen, ſondern
wäre dem weißen Figürchen nachgegangen, was ich doch jetzt
unzweifelhaft thun würde!“ denn jetzt beleuchtete die helle
Sonne jeden Winkel der hellgrauen Stube mit voller
Klarheit.

Unterdeſſen ſtand Heidi völlig ahnungslos in ſeinem
Sonntagsröckchen und wartete ab, was geſchehen ſollte, denn
die Tinette hatte es nur aus dem Schlaf gerüttelt, die
Kleider aus dem Schrank genommen und das Anziehen be¬
fördert, ohne ein Wort zu ſagen. Sie ſprach niemals mit
dem ungebildeten Heidi, denn das war ihr zu gering.

Herr Seſemann trat mit ſeinem Brief in's Eßzimmer
ein, wo das Frühſtück bereit ſtand, und rief: „Wo iſt das
Kind?“

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[198/0208] baſtian jetzt in größter Verwunderung aus, denn es war ihm eben ein großes Licht aufgegangen über die Geiſter¬ erſcheinung. „Ja, ſo war's! das war's! und Er iſt ein Haſenfuß, und dem Johann kann Er ſagen, er ſei desgleichen und Alle miteinander eine lächerliche Mannſchaft.“ Damit ging Herr Seſemann nach ſeiner Stube, ſetzte ſich hin und ſchrieb einen Brief an den Alm-Oehi. Sebaſtian war verdutzt mitten im Zimmer ſtehen ge¬ blieben und wiederholte jetzt zu öftern Malen in ſeinem Innern: „Hätt' ich mich doch von dem Feigling von einem Johann nicht in die Wachtſtube hineinreißen laſſen, ſondern wäre dem weißen Figürchen nachgegangen, was ich doch jetzt unzweifelhaft thun würde!“ denn jetzt beleuchtete die helle Sonne jeden Winkel der hellgrauen Stube mit voller Klarheit. Unterdeſſen ſtand Heidi völlig ahnungslos in ſeinem Sonntagsröckchen und wartete ab, was geſchehen ſollte, denn die Tinette hatte es nur aus dem Schlaf gerüttelt, die Kleider aus dem Schrank genommen und das Anziehen be¬ fördert, ohne ein Wort zu ſagen. Sie ſprach niemals mit dem ungebildeten Heidi, denn das war ihr zu gering. Herr Seſemann trat mit ſeinem Brief in's Eßzimmer ein, wo das Frühſtück bereit ſtand, und rief: „Wo iſt das Kind?“ Heidi wurde gerufen. Als es zu Herrn Seſemann

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Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/208>, abgerufen am 27.11.2024.