Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

und wollte davonrennen. Aber von allen Seiten wurde
es festgehalten, und eine Menge von Stimmen fragten alle
auf einmal, jede etwas Eigenes. Heidi drängte sich mit
einer solchen Angst auf dem Gesichte durch die Leute, daß
man ihm unwillkührlich Platz machte und es laufen ließ,
und Einer sagte zum Andern: "Du siehst ja, wie es sich
fürchtet, es hat auch alle Ursache." Und dann fingen sie
noch an, sich zu erzählen, wie der Alm-Oehi seit einem
Jahr noch viel ärger geworden sei, als vorher, und mit
keinem Menschen mehr ein Wort rede, und ein Gesicht
mache, als wollte er am liebsten Jeden umbringen, der ihm
in den Weg komme, und wenn das Kind auf der ganzen
Welt noch wüßte wohin, so liefe es nicht in das alte Drachen¬
nest hinauf. Aber hier fiel der Bäcker in das Gespräch
ein und sagte, er werde wohl mehr wissen, als sie Alle,
und erzählte dann sehr geheimnißvoll, wie ein Herr das
Kind bis nach Mayenfeld gebracht und es ganz freundlich ent¬
lassen habe, und auch gleich ohne Markten ihm den geforderten
Fahrpreis und dazu noch ein Trinkgeld gegeben habe, und
überhaupt könne er sicher sagen, daß es dem Kind wohl
genug gewesen sei, wo es war, und es selbst begehrt habe,
zum Großvater zurückzugehen. Diese Nachricht brachte eine
große Verwunderung hervor und wurde nun gleich im ganzen
Dörfli so verbreitet, daß noch am gleichen Abend kein Haus
daselbst war, in dem man nicht davon redete, daß das Heidi
aus allem Wohlleben zum Großvater zurückbegehrt habe.

und wollte davonrennen. Aber von allen Seiten wurde
es feſtgehalten, und eine Menge von Stimmen fragten alle
auf einmal, jede etwas Eigenes. Heidi drängte ſich mit
einer ſolchen Angſt auf dem Geſichte durch die Leute, daß
man ihm unwillkührlich Platz machte und es laufen ließ,
und Einer ſagte zum Andern: „Du ſiehſt ja, wie es ſich
fürchtet, es hat auch alle Urſache.“ Und dann fingen ſie
noch an, ſich zu erzählen, wie der Alm-Oehi ſeit einem
Jahr noch viel ärger geworden ſei, als vorher, und mit
keinem Menſchen mehr ein Wort rede, und ein Geſicht
mache, als wollte er am liebſten Jeden umbringen, der ihm
in den Weg komme, und wenn das Kind auf der ganzen
Welt noch wüßte wohin, ſo liefe es nicht in das alte Drachen¬
neſt hinauf. Aber hier fiel der Bäcker in das Geſpräch
ein und ſagte, er werde wohl mehr wiſſen, als ſie Alle,
und erzählte dann ſehr geheimnißvoll, wie ein Herr das
Kind bis nach Mayenfeld gebracht und es ganz freundlich ent¬
laſſen habe, und auch gleich ohne Markten ihm den geforderten
Fahrpreis und dazu noch ein Trinkgeld gegeben habe, und
überhaupt könne er ſicher ſagen, daß es dem Kind wohl
genug geweſen ſei, wo es war, und es ſelbſt begehrt habe,
zum Großvater zurückzugehen. Dieſe Nachricht brachte eine
große Verwunderung hervor und wurde nun gleich im ganzen
Dörfli ſo verbreitet, daß noch am gleichen Abend kein Haus
daſelbſt war, in dem man nicht davon redete, daß das Heidi
aus allem Wohlleben zum Großvater zurückbegehrt habe.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0218" n="208"/>
und wollte davonrennen. Aber von allen Seiten wurde<lb/>
es fe&#x017F;tgehalten, und eine Menge von Stimmen fragten alle<lb/>
auf einmal, jede etwas Eigenes. Heidi drängte &#x017F;ich mit<lb/>
einer &#x017F;olchen Ang&#x017F;t auf dem Ge&#x017F;ichte durch die Leute, daß<lb/>
man ihm unwillkührlich Platz machte und es laufen ließ,<lb/>
und Einer &#x017F;agte zum Andern: &#x201E;Du &#x017F;ieh&#x017F;t ja, wie es &#x017F;ich<lb/>
fürchtet, es hat auch alle Ur&#x017F;ache.&#x201C; Und dann fingen &#x017F;ie<lb/>
noch an, &#x017F;ich zu erzählen, wie der Alm-Oehi &#x017F;eit einem<lb/>
Jahr noch viel ärger geworden &#x017F;ei, als vorher, und mit<lb/>
keinem Men&#x017F;chen mehr ein Wort rede, und ein Ge&#x017F;icht<lb/>
mache, als wollte er am lieb&#x017F;ten Jeden umbringen, der ihm<lb/>
in den Weg komme, und wenn das Kind auf der ganzen<lb/>
Welt noch wüßte wohin, &#x017F;o liefe es nicht in das alte Drachen¬<lb/>
ne&#x017F;t hinauf. Aber hier fiel der Bäcker in das Ge&#x017F;präch<lb/>
ein und &#x017F;agte, er werde wohl mehr wi&#x017F;&#x017F;en, als &#x017F;ie Alle,<lb/>
und erzählte dann &#x017F;ehr geheimnißvoll, wie ein Herr das<lb/>
Kind bis nach Mayenfeld gebracht und es ganz freundlich ent¬<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en habe, und auch gleich ohne Markten ihm den geforderten<lb/>
Fahrpreis und dazu noch ein Trinkgeld gegeben habe, und<lb/>
überhaupt könne er &#x017F;icher &#x017F;agen, daß es dem Kind wohl<lb/>
genug gewe&#x017F;en &#x017F;ei, wo es war, und es &#x017F;elb&#x017F;t begehrt habe,<lb/>
zum Großvater zurückzugehen. Die&#x017F;e Nachricht brachte eine<lb/>
große Verwunderung hervor und wurde nun gleich im ganzen<lb/>
Dörfli &#x017F;o verbreitet, daß noch am gleichen Abend kein Haus<lb/>
da&#x017F;elb&#x017F;t war, in dem man nicht davon redete, daß das Heidi<lb/>
aus allem Wohlleben zum Großvater zurückbegehrt habe.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0218] und wollte davonrennen. Aber von allen Seiten wurde es feſtgehalten, und eine Menge von Stimmen fragten alle auf einmal, jede etwas Eigenes. Heidi drängte ſich mit einer ſolchen Angſt auf dem Geſichte durch die Leute, daß man ihm unwillkührlich Platz machte und es laufen ließ, und Einer ſagte zum Andern: „Du ſiehſt ja, wie es ſich fürchtet, es hat auch alle Urſache.“ Und dann fingen ſie noch an, ſich zu erzählen, wie der Alm-Oehi ſeit einem Jahr noch viel ärger geworden ſei, als vorher, und mit keinem Menſchen mehr ein Wort rede, und ein Geſicht mache, als wollte er am liebſten Jeden umbringen, der ihm in den Weg komme, und wenn das Kind auf der ganzen Welt noch wüßte wohin, ſo liefe es nicht in das alte Drachen¬ neſt hinauf. Aber hier fiel der Bäcker in das Geſpräch ein und ſagte, er werde wohl mehr wiſſen, als ſie Alle, und erzählte dann ſehr geheimnißvoll, wie ein Herr das Kind bis nach Mayenfeld gebracht und es ganz freundlich ent¬ laſſen habe, und auch gleich ohne Markten ihm den geforderten Fahrpreis und dazu noch ein Trinkgeld gegeben habe, und überhaupt könne er ſicher ſagen, daß es dem Kind wohl genug geweſen ſei, wo es war, und es ſelbſt begehrt habe, zum Großvater zurückzugehen. Dieſe Nachricht brachte eine große Verwunderung hervor und wurde nun gleich im ganzen Dörfli ſo verbreitet, daß noch am gleichen Abend kein Haus daſelbſt war, in dem man nicht davon redete, daß das Heidi aus allem Wohlleben zum Großvater zurückbegehrt habe.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/218
Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/218>, abgerufen am 23.11.2024.