Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_096.001 Und eben darauf kommt es an. Die Frage nach dem pst_096.011 "Mauern sieht er und Paläste pst_096.017 (Goethe) pst_096.018Stets mit andern Augen an." Die Sonne, die am Morgen aufgeht, ist seine Hoffnung pst_096.019 Im Epischen dagegen wird gerade die Selbigkeit betont. pst_096.026 pst_096.001 Und eben darauf kommt es an. Die Frage nach dem pst_096.011 «Mauern sieht er und Paläste pst_096.017 (Goethe) pst_096.018Stets mit andern Augen an.» Die Sonne, die am Morgen aufgeht, ist seine Hoffnung pst_096.019 Im Epischen dagegen wird gerade die Selbigkeit betont. pst_096.026 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0100" n="96"/><lb n="pst_096.001"/> Denn «woher?» kann ich nur fragen, wenn ein festes <lb n="pst_096.002"/> «hier» besteht, wie andrerseits das «hier» sich aus dem <lb n="pst_096.003"/> Wissen um ein «woher» bestimmt. Die Antwort auf <lb n="pst_096.004"/> die Frage verankert das Fragliche in einem Grund. Der <lb n="pst_096.005"/> Grund ist die Vergangenheit, die, ein Abgeschlossenes, <lb n="pst_096.006"/> stillsteht und sich nicht mehr ändern kann. Zu diesem <lb n="pst_096.007"/> Vergangenen muß der Fragende selber wieder Stellung <lb n="pst_096.008"/> beziehen. So bildet sich das Gegenüber, in dem der <lb n="pst_096.009"/> Fragende sowohl wie das Befragte «festgestellt» sind.</p> <lb n="pst_096.010"/> <p> Und eben darauf kommt es an. Die Frage nach dem <lb n="pst_096.011"/> Vergangenen, die Glaukos nicht beantworten will, gehört <lb n="pst_096.012"/> zum wesentlichsten Tun des epischen Menschen: Er stellt <lb n="pst_096.013"/> fest. Dies kann und will der Lyriker nicht. Denn er selber <lb n="pst_096.014"/> ist bewegt in eins mit dem Bewegten, so daß er nie <lb n="pst_096.015"/> dazu kommt, zu sagen: «Das ist» (vergleiche Seite 46).</p> <lb n="pst_096.016"/> <p> <lg> <l>«Mauern sieht er und Paläste</l> <lb n="pst_096.017"/> <l>Stets mit andern Augen an.»</l> </lg> <space dim="horizontal"/> <hi rendition="#aq">(Goethe)</hi> </p> <lb n="pst_096.018"/> <p>Die Sonne, die am Morgen aufgeht, ist seine Hoffnung <lb n="pst_096.019"/> und sein Mut. Die Sonne, die abends untergeht, ist <lb n="pst_096.020"/> grandiose Erschütterung. Ein Wissen, daß es dieselbe <lb n="pst_096.021"/> Sonne ist, die auf- und untergeht, schwingt freilich mit, <lb n="pst_096.022"/> schon weil er sich der Sprache bedient und «Sonne» sagt. <lb n="pst_096.023"/> Aber es ist nicht von Belang. Die Selbigkeit tritt hinter <lb n="pst_096.024"/> dem Wandel der stimmungsvollen Erscheinung zurück.</p> <lb n="pst_096.025"/> <p> Im Epischen dagegen wird gerade die Selbigkeit betont. <lb n="pst_096.026"/> Weil der Epiker selber beharrt, vermag er einzusehen, <lb n="pst_096.027"/> daß etwas wiederkehrt und dasselbe ist. Wie <lb n="pst_096.028"/> sehr ihn diese Entdeckung beglückt, verraten in den <lb n="pst_096.029"/> homerischen Epen noch die stereotypen Formeln: «der <lb n="pst_096.030"/> reisige Hektor, der hurtige Renner Achilleus, Athene </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [96/0100]
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Denn «woher?» kann ich nur fragen, wenn ein festes pst_096.002
«hier» besteht, wie andrerseits das «hier» sich aus dem pst_096.003
Wissen um ein «woher» bestimmt. Die Antwort auf pst_096.004
die Frage verankert das Fragliche in einem Grund. Der pst_096.005
Grund ist die Vergangenheit, die, ein Abgeschlossenes, pst_096.006
stillsteht und sich nicht mehr ändern kann. Zu diesem pst_096.007
Vergangenen muß der Fragende selber wieder Stellung pst_096.008
beziehen. So bildet sich das Gegenüber, in dem der pst_096.009
Fragende sowohl wie das Befragte «festgestellt» sind.
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Und eben darauf kommt es an. Die Frage nach dem pst_096.011
Vergangenen, die Glaukos nicht beantworten will, gehört pst_096.012
zum wesentlichsten Tun des epischen Menschen: Er stellt pst_096.013
fest. Dies kann und will der Lyriker nicht. Denn er selber pst_096.014
ist bewegt in eins mit dem Bewegten, so daß er nie pst_096.015
dazu kommt, zu sagen: «Das ist» (vergleiche Seite 46).
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«Mauern sieht er und Paläste pst_096.017
Stets mit andern Augen an.»
(Goethe)
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Die Sonne, die am Morgen aufgeht, ist seine Hoffnung pst_096.019
und sein Mut. Die Sonne, die abends untergeht, ist pst_096.020
grandiose Erschütterung. Ein Wissen, daß es dieselbe pst_096.021
Sonne ist, die auf- und untergeht, schwingt freilich mit, pst_096.022
schon weil er sich der Sprache bedient und «Sonne» sagt. pst_096.023
Aber es ist nicht von Belang. Die Selbigkeit tritt hinter pst_096.024
dem Wandel der stimmungsvollen Erscheinung zurück.
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Im Epischen dagegen wird gerade die Selbigkeit betont. pst_096.026
Weil der Epiker selber beharrt, vermag er einzusehen, pst_096.027
daß etwas wiederkehrt und dasselbe ist. Wie pst_096.028
sehr ihn diese Entdeckung beglückt, verraten in den pst_096.029
homerischen Epen noch die stereotypen Formeln: «der pst_096.030
reisige Hektor, der hurtige Renner Achilleus, Athene
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