Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_210.001 Die Theorie des Lächerlichen reizt und ermüdet die pst_210.015 Kant in der "Kritik der Urteilskraft" sagt: pst_210.026 "Das Lachen ist ein Affekt aus der plötzlichen Verwandlung pst_210.027 Was Kant "Erwartung" nennt, entspricht dem a priori pst_210.029 1 pst_210.030
Inselausgabe, Leipzig 1924, Bd. VI, S. 213. pst_210.001 Die Theorie des Lächerlichen reizt und ermüdet die pst_210.015 Kant in der «Kritik der Urteilskraft» sagt: pst_210.026 «Das Lachen ist ein Affekt aus der plötzlichen Verwandlung pst_210.027 Was Kant «Erwartung» nennt, entspricht dem a priori pst_210.029 1 pst_210.030
Inselausgabe, Leipzig 1924, Bd. VI, S. 213. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0214" n="210"/><lb n="pst_210.001"/> Mensch nicht lachen, weil er die Leiden sich vorstellen <lb n="pst_210.002"/> kann, die dies Übel der Mißgestalt bereitet. Phallos, <lb n="pst_210.003"/> Wanst und Hinterteil dagegen mögen noch so sehr <lb n="pst_210.004"/> zu Anomalien gediehen sein, ihre Hypertrophie scheint <lb n="pst_210.005"/> nur auf übermäßigen Lebensgenuß zu deuten. Ein <lb n="pst_210.006"/> Mensch, der vorzüglich aus Wanst besteht, so leuchtet <lb n="pst_210.007"/> uns ein, hat es leichter als wir und gibt ein höchst beachtliches <lb n="pst_210.008"/> Beispiel. Ein sprachliches Versehen lenkt uns <lb n="pst_210.009"/> gleichfalls vom Sinnzusammenhang ab. Es löst aber kein <lb n="pst_210.010"/> Gelächter aus, sofern es nicht, wie der überdeutliche <lb n="pst_210.011"/> Reim oder der überdeutliche Takt, zu etwas führt, was <lb n="pst_210.012"/> sich selber genügt und dem unbesonnenen Dasein <lb n="pst_210.013"/> schmeichelt.</p> <lb n="pst_210.014"/> <p> Die Theorie des Lächerlichen reizt und ermüdet die <lb n="pst_210.015"/> Ästhetik seit alters. Skeptiker gefallen sich darin, auf die <lb n="pst_210.016"/> Unvereinbarkeit der Erklärungsversuche hinzuweisen. <lb n="pst_210.017"/> Genau besehen ist es damit aber gar nicht so schlimm <lb n="pst_210.018"/> bestellt. Jeder vermag doch mindestens seine eigenen <lb n="pst_210.019"/> Beispiele zu erklären und trägt damit etwas zur Deutung <lb n="pst_210.020"/> des Gesamtphänomens des Lächerlichen bei. Das fast <lb n="pst_210.021"/> unübersehbare Schrifttum zu prüfen, ist hier, wo es um <lb n="pst_210.022"/> die Beziehung zum dramatischen Stil geht, nicht der <lb n="pst_210.023"/> Ort. Nur durch wenige Hinweise sei die allzu knappe <lb n="pst_210.024"/> These erläutert.</p> <lb n="pst_210.025"/> <p> Kant in der «Kritik der Urteilskraft» sagt:</p> <lb n="pst_210.026"/> <p> «Das Lachen ist ein Affekt aus der plötzlichen Verwandlung <lb n="pst_210.027"/> einer gespannten Erwartung in nichts<note xml:id="PST_210_1" place="foot" n="1"><lb n="pst_210.030"/> Inselausgabe, Leipzig 1924, Bd. VI, S. 213.</note>.»</p> <lb n="pst_210.028"/> <p> Was Kant «Erwartung» nennt, entspricht dem a priori <lb n="pst_210.029"/> der «Welt», des Entwurfs, dem, worin sich der </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [210/0214]
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Mensch nicht lachen, weil er die Leiden sich vorstellen pst_210.002
kann, die dies Übel der Mißgestalt bereitet. Phallos, pst_210.003
Wanst und Hinterteil dagegen mögen noch so sehr pst_210.004
zu Anomalien gediehen sein, ihre Hypertrophie scheint pst_210.005
nur auf übermäßigen Lebensgenuß zu deuten. Ein pst_210.006
Mensch, der vorzüglich aus Wanst besteht, so leuchtet pst_210.007
uns ein, hat es leichter als wir und gibt ein höchst beachtliches pst_210.008
Beispiel. Ein sprachliches Versehen lenkt uns pst_210.009
gleichfalls vom Sinnzusammenhang ab. Es löst aber kein pst_210.010
Gelächter aus, sofern es nicht, wie der überdeutliche pst_210.011
Reim oder der überdeutliche Takt, zu etwas führt, was pst_210.012
sich selber genügt und dem unbesonnenen Dasein pst_210.013
schmeichelt.
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Die Theorie des Lächerlichen reizt und ermüdet die pst_210.015
Ästhetik seit alters. Skeptiker gefallen sich darin, auf die pst_210.016
Unvereinbarkeit der Erklärungsversuche hinzuweisen. pst_210.017
Genau besehen ist es damit aber gar nicht so schlimm pst_210.018
bestellt. Jeder vermag doch mindestens seine eigenen pst_210.019
Beispiele zu erklären und trägt damit etwas zur Deutung pst_210.020
des Gesamtphänomens des Lächerlichen bei. Das fast pst_210.021
unübersehbare Schrifttum zu prüfen, ist hier, wo es um pst_210.022
die Beziehung zum dramatischen Stil geht, nicht der pst_210.023
Ort. Nur durch wenige Hinweise sei die allzu knappe pst_210.024
These erläutert.
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Kant in der «Kritik der Urteilskraft» sagt:
pst_210.026
«Das Lachen ist ein Affekt aus der plötzlichen Verwandlung pst_210.027
einer gespannten Erwartung in nichts 1.»
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Was Kant «Erwartung» nennt, entspricht dem a priori pst_210.029
der «Welt», des Entwurfs, dem, worin sich der
1 pst_210.030
Inselausgabe, Leipzig 1924, Bd. VI, S. 213.
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