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Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.

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geworden sein. Doch da wir uns jetzt an die immer beirrende pst_235.002
temporale AusIegung wagen, ist keine Erläuterung pst_235.003
überflüssig.

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Der lyrische Dichter, so wurde gesagt (Seite 67), pst_235.005
kann Gegenwärtiges und Vergangenes, ja sogar Künftiges pst_235.006
erinnern. Dagegen kommt jetzt dem Erinnern offenbar pst_235.007
präteritale Bedeutung zu. Doch darin liegt kein pst_235.008
Widerspruch. Wenn wir sagen, der lyrische Dichter sei pst_235.009
befähigt, Gegenwärtiges, Vergangenes und Künftiges pst_235.010
zu erinnern, so nehmen wir die Dimensionen bereits pst_235.011
als vergegenwärtigte Zeit, wie sie uns auch auf dem pst_235.012
Zifferblatt und im Kalender auf noch abzureißenden pst_235.013
Blättern vor Augen steht. Das lyrische Erinnern jedoch pst_235.014
ist Rückkehr in den Mutterschoß in dem Sinn, daß ihm pst_235.015
alles wieder in jenem vergangenen Zustand erscheint, pst_235.016
aus dem wir aufgestanden sind. An sich ist im Erinnern pst_235.017
freilich überhaupt noch keine Zeit. Es geht im Momentanen pst_235.018
auf. Doch vom Standpunkt der Gegenwart aus pst_235.019
gesehen, ist Erinnerung das Vergangene schlechthin. pst_235.020
Daß nicht nur Theorie so spricht, bezeugt das Gefühl: pst_235.021
Ich sinke zurück! das den Erinnernden überkommt, pst_235.022
auch wenn er Künftiges erinnert, wie jener schmerzliche pst_235.023
Lyriker in der "Wiederholung" Kierkegaards1. pst_235.024
Er ist im Sein, das je schon war, bevor eine Gegenwart pst_235.025
aufging, und mit allem, was ihn erfüllt, begibt er pst_235.026
sich in dies frühere Sein zurück, so, daß es ihm nun pst_235.027
das nächste, ja ununterscheidbar eins ist mit ihm selbst, pst_235.028
der sich und jede zeitliche Orientierung darin verloren pst_235.029
hat.

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Kierkegaard, Gesammelte Werke, Bd. III, 2. Aufl. Jena 1909, pst_235.031
S. 122 ff.

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kann Gegenwärtiges und Vergangenes, ja sogar Künftiges pst_235.006
erinnern. Dagegen kommt jetzt dem Erinnern offenbar pst_235.007
präteritale Bedeutung zu. Doch darin liegt kein pst_235.008
Widerspruch. Wenn wir sagen, der lyrische Dichter sei pst_235.009
befähigt, Gegenwärtiges, Vergangenes und Künftiges pst_235.010
zu erinnern, so nehmen wir die Dimensionen bereits pst_235.011
als vergegenwärtigte Zeit, wie sie uns auch auf dem pst_235.012
Zifferblatt und im Kalender auf noch abzureißenden pst_235.013
Blättern vor Augen steht. Das lyrische Erinnern jedoch pst_235.014
ist Rückkehr in den Mutterschoß in dem Sinn, daß ihm pst_235.015
alles wieder in jenem vergangenen Zustand erscheint, pst_235.016
aus dem wir aufgestanden sind. An sich ist im Erinnern pst_235.017
freilich überhaupt noch keine Zeit. Es geht im Momentanen pst_235.018
auf. Doch vom Standpunkt der Gegenwart aus pst_235.019
gesehen, ist Erinnerung das Vergangene schlechthin. pst_235.020
Daß nicht nur Theorie so spricht, bezeugt das Gefühl: pst_235.021
Ich sinke zurück! das den Erinnernden überkommt, pst_235.022
auch wenn er Künftiges erinnert, wie jener schmerzliche pst_235.023
Lyriker in der «Wiederholung» Kierkegaards1. pst_235.024
Er ist im Sein, das je schon war, bevor eine Gegenwart pst_235.025
aufging, und mit allem, was ihn erfüllt, begibt er pst_235.026
sich in dies frühere Sein zurück, so, daß es ihm nun pst_235.027
das nächste, ja ununterscheidbar eins ist mit ihm selbst, pst_235.028
der sich und jede zeitliche Orientierung darin verloren pst_235.029
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Kierkegaard, Gesammelte Werke, Bd. III, 2. Aufl. Jena 1909, pst_235.031
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Zitationshilfe: Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/239>, abgerufen am 21.11.2024.