Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_025.001 "Von den Mauern Widerklang - pst_025.029
Ach! - im Herzen frägt es bang: pst_025.030 Ist es ihre Stimme?" pst_025.001 «Von den Mauern Widerklang – pst_025.029
Ach! – im Herzen frägt es bang: pst_025.030 Ist es ihre Stimme?» <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0029" n="25"/><lb n="pst_025.001"/> wenigen Zeilen. Alle echt lyrische Dichtung dürfte <lb n="pst_025.002"/> nur von beschränktem Umfang sein. Das geht schon <lb n="pst_025.003"/> aus dem Gesagten hervor und wird sich im Folgenden <lb n="pst_025.004"/> wieder bewähren. Der lyrische Dichter leistet nichts. Er <lb n="pst_025.005"/> überläßt sich – das will buchstäblich verstanden sein – <lb n="pst_025.006"/> der Ein-gebung. Stimmung und in eins damit Sprache <lb n="pst_025.007"/> wird ihm eingegeben. Er ist nicht imstande, der einen <lb n="pst_025.008"/> oder der anderen gegenüberzutreten. Sein Dichten ist <lb n="pst_025.009"/> unwillkürlich. «Wes das Herz voll ist, des geht der <lb n="pst_025.010"/> Mund über.» Gerade Mörike hat freilich an seinen Gedichten <lb n="pst_025.011"/> lange gefeilt. Doch dieses Feilen ist etwas anderes, <lb n="pst_025.012"/> als wenn ein Dramatiker seinen Plan überdenkt <lb n="pst_025.013"/> oder wenn ein Epiker neue Episoden einfügt oder das <lb n="pst_025.014"/> Alte noch deutlicher zu gestalten versucht. Der Lyriker <lb n="pst_025.015"/> lauscht immer wieder in die einmal angetönte Stimmung <lb n="pst_025.016"/> hinein, er erzeugt sie aufs neue, so wie er sie <lb n="pst_025.017"/> auch im Leser erzeugt. Und schließlich gewinnt er den <lb n="pst_025.018"/> unterwegs verlorenen Zauber der Eingebung zurück <lb n="pst_025.019"/> oder gibt doch mindestens – wie viele Dichter sinkender <lb n="pst_025.020"/> Zeiten, denen ein großes Erbe ward – den Schein des <lb n="pst_025.021"/> Unwillkürlichen. Conrad Ferdinand Meyer hat diesen <lb n="pst_025.022"/> Weg sehr oft vom ersten Entwurf bis zur letzten Fassung <lb n="pst_025.023"/> zurückgelegt. Meyer kann aber schwerlich als <lb n="pst_025.024"/> Prototyp des Lyrikers gelten. Anders hat Clemens Brentano <lb n="pst_025.025"/> gedichtet, über die Laute gebeugt und improvisierend <lb n="pst_025.026"/> zum Erstaunen der Freunde. Wir hören es seinen <lb n="pst_025.027"/> Liedern an, wie sie von selber aufklingen in ihm:</p> <lb n="pst_025.028"/> <lg> <l>«Von den Mauern Widerklang –</l> <lb n="pst_025.029"/> <l>Ach! – im Herzen frägt es bang:</l> <lb n="pst_025.030"/> <l>Ist es ihre Stimme?»</l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [25/0029]
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wenigen Zeilen. Alle echt lyrische Dichtung dürfte pst_025.002
nur von beschränktem Umfang sein. Das geht schon pst_025.003
aus dem Gesagten hervor und wird sich im Folgenden pst_025.004
wieder bewähren. Der lyrische Dichter leistet nichts. Er pst_025.005
überläßt sich – das will buchstäblich verstanden sein – pst_025.006
der Ein-gebung. Stimmung und in eins damit Sprache pst_025.007
wird ihm eingegeben. Er ist nicht imstande, der einen pst_025.008
oder der anderen gegenüberzutreten. Sein Dichten ist pst_025.009
unwillkürlich. «Wes das Herz voll ist, des geht der pst_025.010
Mund über.» Gerade Mörike hat freilich an seinen Gedichten pst_025.011
lange gefeilt. Doch dieses Feilen ist etwas anderes, pst_025.012
als wenn ein Dramatiker seinen Plan überdenkt pst_025.013
oder wenn ein Epiker neue Episoden einfügt oder das pst_025.014
Alte noch deutlicher zu gestalten versucht. Der Lyriker pst_025.015
lauscht immer wieder in die einmal angetönte Stimmung pst_025.016
hinein, er erzeugt sie aufs neue, so wie er sie pst_025.017
auch im Leser erzeugt. Und schließlich gewinnt er den pst_025.018
unterwegs verlorenen Zauber der Eingebung zurück pst_025.019
oder gibt doch mindestens – wie viele Dichter sinkender pst_025.020
Zeiten, denen ein großes Erbe ward – den Schein des pst_025.021
Unwillkürlichen. Conrad Ferdinand Meyer hat diesen pst_025.022
Weg sehr oft vom ersten Entwurf bis zur letzten Fassung pst_025.023
zurückgelegt. Meyer kann aber schwerlich als pst_025.024
Prototyp des Lyrikers gelten. Anders hat Clemens Brentano pst_025.025
gedichtet, über die Laute gebeugt und improvisierend pst_025.026
zum Erstaunen der Freunde. Wir hören es seinen pst_025.027
Liedern an, wie sie von selber aufklingen in ihm:
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Ist es ihre Stimme?»
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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