Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_044.001 Liebe Stimme säuselt und träuft pst_044.002 pst_044.003Wie die Lindenblüt' auf ein Grab." Oder bei Goethe: pst_044.004"Dämmrung senkte sich von oben, pst_044.005 pst_044.008Schon ist alle Nähe fern; pst_044.006 Doch zuerst emporgehoben pst_044.007 Holden Lichts der Abendstern!" Manchmal ist eine grammatische Beziehung der Teile pst_044.009 "Durch Feld und Buchenhallen, pst_044.013 pst_044.016Bald singend, bald fröhlich still, pst_044.014 Recht lustig sei vor allen, pst_044.015 Wer's Reisen wählen will!" Das wäre grammatisch so zu fassen: Wer's Reisen wählen pst_044.017 Nicht selten bleiben sogar nur einzelne unverbundene pst_044.023 "Tote Lieb', tote Lust, tote Zeit" pst_044.025steht in der zweiten Strophe von Annette von Drostes pst_044.026 pst_044.001 Liebe Stimme säuselt und träuft pst_044.002 pst_044.003Wie die Lindenblüt' auf ein Grab.» Oder bei Goethe: pst_044.004«Dämmrung senkte sich von oben, pst_044.005 pst_044.008Schon ist alle Nähe fern; pst_044.006 Doch zuerst emporgehoben pst_044.007 Holden Lichts der Abendstern!» Manchmal ist eine grammatische Beziehung der Teile pst_044.009 «Durch Feld und Buchenhallen, pst_044.013 pst_044.016Bald singend, bald fröhlich still, pst_044.014 Recht lustig sei vor allen, pst_044.015 Wer's Reisen wählen will!» Das wäre grammatisch so zu fassen: Wer's Reisen wählen pst_044.017 Nicht selten bleiben sogar nur einzelne unverbundene pst_044.023 «Tote Lieb', tote Lust, tote Zeit» pst_044.025steht in der zweiten Strophe von Annette von Drostes pst_044.026 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0048" n="44"/> <lb n="pst_044.001"/> <lg> <l>Liebe Stimme säuselt und träuft</l> <lb n="pst_044.002"/> <l>Wie die Lindenblüt' auf ein Grab.»</l> </lg> <lb n="pst_044.003"/> <p>Oder bei Goethe:</p> <lb n="pst_044.004"/> <lg> <l>«Dämmrung senkte sich von oben,</l> <lb n="pst_044.005"/> <l>Schon ist alle Nähe fern;</l> <lb n="pst_044.006"/> <l>Doch zuerst emporgehoben</l> <lb n="pst_044.007"/> <l>Holden Lichts der Abendstern!»</l> </lg> <lb n="pst_044.008"/> <p>Manchmal ist eine grammatische Beziehung der Teile <lb n="pst_044.009"/> zwar zu finden, aber sie wird, vom unbefangenen Leser <lb n="pst_044.010"/> mindestens, nicht gesucht, zum Beispiel in Eichendorffs <lb n="pst_044.011"/> «Wanderlied»:</p> <lb n="pst_044.012"/> <lg> <l>«Durch Feld und Buchenhallen,</l> <lb n="pst_044.013"/> <l>Bald singend, bald fröhlich still,</l> <lb n="pst_044.014"/> <l>Recht lustig sei vor allen,</l> <lb n="pst_044.015"/> <l>Wer's Reisen wählen will!»</l> </lg> <lb n="pst_044.016"/> <p>Das wäre grammatisch so zu fassen: Wer's Reisen wählen <lb n="pst_044.017"/> will, der sei durch Feld und Buchenhallen bald <lb n="pst_044.018"/> singend, bald fröhlich still, vor allen recht lustig. – <lb n="pst_044.019"/> Über die Sinnlosigkeit einer solchen Erklärung des <lb n="pst_044.020"/> grammatischen Sinns braucht wohl kein Wort verloren <lb n="pst_044.021"/> zu werden.</p> <lb n="pst_044.022"/> <p> Nicht selten bleiben sogar nur einzelne unverbundene <lb n="pst_044.023"/> Wörter zurück:</p> <lb n="pst_044.024"/> <lg> <l>«Tote Lieb', tote Lust, tote Zeit»</l> </lg> <lb n="pst_044.025"/> <p>steht in der zweiten Strophe von Annette von Drostes <lb n="pst_044.026"/> «Im Grase» ohne jeden Bezug nach vorwärts und rückwärts. <lb n="pst_044.027"/> Und vollends scheint Brentanos berühmter Kehrreim:</p> <lb n="pst_044.028"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [44/0048]
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Liebe Stimme säuselt und träuft pst_044.002
Wie die Lindenblüt' auf ein Grab.»
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Oder bei Goethe:
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«Dämmrung senkte sich von oben, pst_044.005
Schon ist alle Nähe fern; pst_044.006
Doch zuerst emporgehoben pst_044.007
Holden Lichts der Abendstern!»
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Manchmal ist eine grammatische Beziehung der Teile pst_044.009
zwar zu finden, aber sie wird, vom unbefangenen Leser pst_044.010
mindestens, nicht gesucht, zum Beispiel in Eichendorffs pst_044.011
«Wanderlied»:
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«Durch Feld und Buchenhallen, pst_044.013
Bald singend, bald fröhlich still, pst_044.014
Recht lustig sei vor allen, pst_044.015
Wer's Reisen wählen will!»
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Das wäre grammatisch so zu fassen: Wer's Reisen wählen pst_044.017
will, der sei durch Feld und Buchenhallen bald pst_044.018
singend, bald fröhlich still, vor allen recht lustig. – pst_044.019
Über die Sinnlosigkeit einer solchen Erklärung des pst_044.020
grammatischen Sinns braucht wohl kein Wort verloren pst_044.021
zu werden.
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Nicht selten bleiben sogar nur einzelne unverbundene pst_044.023
Wörter zurück:
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«Tote Lieb', tote Lust, tote Zeit»
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steht in der zweiten Strophe von Annette von Drostes pst_044.026
«Im Grase» ohne jeden Bezug nach vorwärts und rückwärts. pst_044.027
Und vollends scheint Brentanos berühmter Kehrreim:
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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