Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_077.001 Soll aber dieses Enden selbst noch ausgesprochen werden, pst_077.029 pst_077.001 Soll aber dieses Enden selbst noch ausgesprochen werden, pst_077.029 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0081" n="77"/><lb n="pst_077.001"/> der Stimmung gesprochen (2) und verstehen dies <lb n="pst_077.002"/> Momentane jetzt besser aus der Natur des Ineinander, <lb n="pst_077.003"/> das heikel und allzeit gefährdet ist. Jeder Widerstand <lb n="pst_077.004"/> löscht es aus und stellt das Gegenüber her. Ein Widerstand <lb n="pst_077.005"/> aber, etwas, das nicht übereinstimmt, ist es bereits, <lb n="pst_077.006"/> wenn den im Abendfrieden beruhigten Dichter <lb n="pst_077.007"/> plötzlich ein Hase aufschreckt, wenn ihm ein Tropfen <lb n="pst_077.008"/> auf die Hand fällt. Der Epiker würde eine solche Störung <lb n="pst_077.009"/> höchstens als Zeitverlust buchen. Der Lyriker findet <lb n="pst_077.010"/> die unwiederholbare Stimmung für immer vernichtet <lb n="pst_077.011"/> – eine tragikomische Gebrechlichkeit, die der <lb n="pst_077.012"/> Humor von jeher bemerkt und belächelt hat, etwa in <lb n="pst_077.013"/> Buschs «Balduin Bählamm», der sich in den Himmel <lb n="pst_077.014"/> vertieft und plötzlich das Krabbeln des Ohrwurms <lb n="pst_077.015"/> spürt. Dabei bedürfte es nicht einmal des lästigen Insekts <lb n="pst_077.016"/> und jener anderen lustig erdachten Unglücksfälle, <lb n="pst_077.017"/> um sein Gedicht zu vereiteln. Auch der Himmel, der <lb n="pst_077.018"/> Mond, der Baum kann plötzlich gegenständlich werden <lb n="pst_077.019"/> – er braucht nur genauer hinzusehen. Dann stimmt die <lb n="pst_077.020"/> Landschaft nicht mehr und stimmt mit der Seele nicht <lb n="pst_077.021"/> mehr überein. Der Mond stimmt nicht als astronomischer <lb n="pst_077.022"/> Körper oder als Kraterfeld, sondern etwa als Silbergondel; <lb n="pst_077.023"/> der Hügel stimmt als duftiger Streifen, der <lb n="pst_077.024"/> Wald als Rauschen oder als Schimmern von Lichtern <lb n="pst_077.025"/> und Schatten, der See als Glanz. Lyrisch ist das Flüchtigste; <lb n="pst_077.026"/> und wird das Feste, Gegenständliche wahrnehmbar, <lb n="pst_077.027"/> so endet die flüchtigste Dichtung, das Lied.</p> <lb n="pst_077.028"/> <p> Soll aber dieses Enden selbst noch ausgesprochen werden, <lb n="pst_077.029"/> oder bricht der Lyriker einfach ab? Wir haben gesehen, <lb n="pst_077.030"/> wie er anhebt (4), oft unvermittelt mit «und» <lb n="pst_077.031"/> oder «auch». Die Frage nach einem möglichen Schluß </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [77/0081]
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der Stimmung gesprochen (2) und verstehen dies pst_077.002
Momentane jetzt besser aus der Natur des Ineinander, pst_077.003
das heikel und allzeit gefährdet ist. Jeder Widerstand pst_077.004
löscht es aus und stellt das Gegenüber her. Ein Widerstand pst_077.005
aber, etwas, das nicht übereinstimmt, ist es bereits, pst_077.006
wenn den im Abendfrieden beruhigten Dichter pst_077.007
plötzlich ein Hase aufschreckt, wenn ihm ein Tropfen pst_077.008
auf die Hand fällt. Der Epiker würde eine solche Störung pst_077.009
höchstens als Zeitverlust buchen. Der Lyriker findet pst_077.010
die unwiederholbare Stimmung für immer vernichtet pst_077.011
– eine tragikomische Gebrechlichkeit, die der pst_077.012
Humor von jeher bemerkt und belächelt hat, etwa in pst_077.013
Buschs «Balduin Bählamm», der sich in den Himmel pst_077.014
vertieft und plötzlich das Krabbeln des Ohrwurms pst_077.015
spürt. Dabei bedürfte es nicht einmal des lästigen Insekts pst_077.016
und jener anderen lustig erdachten Unglücksfälle, pst_077.017
um sein Gedicht zu vereiteln. Auch der Himmel, der pst_077.018
Mond, der Baum kann plötzlich gegenständlich werden pst_077.019
– er braucht nur genauer hinzusehen. Dann stimmt die pst_077.020
Landschaft nicht mehr und stimmt mit der Seele nicht pst_077.021
mehr überein. Der Mond stimmt nicht als astronomischer pst_077.022
Körper oder als Kraterfeld, sondern etwa als Silbergondel; pst_077.023
der Hügel stimmt als duftiger Streifen, der pst_077.024
Wald als Rauschen oder als Schimmern von Lichtern pst_077.025
und Schatten, der See als Glanz. Lyrisch ist das Flüchtigste; pst_077.026
und wird das Feste, Gegenständliche wahrnehmbar, pst_077.027
so endet die flüchtigste Dichtung, das Lied.
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Soll aber dieses Enden selbst noch ausgesprochen werden, pst_077.029
oder bricht der Lyriker einfach ab? Wir haben gesehen, pst_077.030
wie er anhebt (4), oft unvermittelt mit «und» pst_077.031
oder «auch». Die Frage nach einem möglichen Schluß
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