Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

Das achtzehnte Jahrhundert ist nun die Epoche, in welcher die
Regierungen beginnen, die Elementarbildung als Volksschulwesen
in die Staatsverwaltung aufzunehmen, und die Leitung der gelehrten
Vor- und Fachbildung gleichfalls derselben unterzuordnen. Dadurch
entsteht zuerst der Gedanke einer Einheit des ganzen Bildungswesens,
indem dasselbe jetzt auch die Elemente der künstlerischen Bildung ent-
wickelt, und Staatsanstalten für die allgemeine Bildung, Bibliotheken,
Museen u. s. w. herzustellen beginnt. Allein die wirthschaftliche Bil-
dung bleibt noch unfrei und zufällig, und die Presse wird unter scharfe
Ueberwachung gestellt. Der Charakter dieser Epoche ist der Ausschluß
der freien einzelnen Arbeit für das Ganze und die Herrschaft der
polizeilichen Bevormundung, die im Volksschulwesen viel Gutes wirkt,
dagegen das Berufsbildungswesen vielfach beschränkt und der freien
allgemeinen Bildung geradezu feindlich ist.

Die dritte Epoche, das neunzehnte Jahrhundert, ist nun die Zeit
des entscheidenden Kampfes der freien Bildung, sowohl mit den Resten
der ständischen Wissenschaft, als mit der polizeilichen Bevormundung.
Hier treten an die Stelle der Regierung das wirthschaftliche Leben und
die Presse in erste Reihe. Der Erwerb wird seinerseits zu einem Beruf
und die Arbeit der Presse zu einem allgemeinen Bedürfniß und Recht.
Die Elementarbildung empfängt allmälig ihre gleichartige Organisation;
sie wird Sache der Selbstverwaltung unter Aufsicht der Regierung; die
Berufsbildung erzeugt neben dem gelehrten das wirthschaftliche Bildungs-
wesen in all seinen verschiedenen Formen, und nach langem und hartem
Kampfe wird die Presse frei. In dem Kampfe dieser Elemente wird
nun die große Thatsache klar, daß die Bildung nicht bloß die Grund-
lage der individuellen Entwicklung, sondern auch alles Werthes der
Formen des öffentlichen Rechts und des Fortschrittes in Ver-
fassung und Verwaltung
sei; und damit verschwinden die letzten
Gränzen der ständischen Epoche zwischen den Gebieten des menschlichen
Wissens, das geistige Leben erscheint in seiner großen, machtvollen Ein-
heit, die Verwaltung des Bildungswesens wird ein äußerliches und
innerliches Ganzes, und jetzt erst beginnt das Bildungswesen der Na-
tionen das zu werden, was es seinem höhern Wesen nach ist, das zur
selbständigen und thätigen Organisation gewordene Bewußtsein der Völker,
daß in ihm der Geist sich zum Gegenstande und Ziel seiner eigenen Arbeit
erhoben hat.

Allein in dieser organischen Einheit und Anschauung des Bildungs-
wesens bleiben nun die drei großen Grundformen. Sie behalten nach
wie vor ihr selbständiges Recht, ihre selbständige Aufgabe und ihre
selbständige Geschichte. Während in dem Obigen die Idee des Bildungs-

Das achtzehnte Jahrhundert iſt nun die Epoche, in welcher die
Regierungen beginnen, die Elementarbildung als Volksſchulweſen
in die Staatsverwaltung aufzunehmen, und die Leitung der gelehrten
Vor- und Fachbildung gleichfalls derſelben unterzuordnen. Dadurch
entſteht zuerſt der Gedanke einer Einheit des ganzen Bildungsweſens,
indem daſſelbe jetzt auch die Elemente der künſtleriſchen Bildung ent-
wickelt, und Staatsanſtalten für die allgemeine Bildung, Bibliotheken,
Muſeen u. ſ. w. herzuſtellen beginnt. Allein die wirthſchaftliche Bil-
dung bleibt noch unfrei und zufällig, und die Preſſe wird unter ſcharfe
Ueberwachung geſtellt. Der Charakter dieſer Epoche iſt der Ausſchluß
der freien einzelnen Arbeit für das Ganze und die Herrſchaft der
polizeilichen Bevormundung, die im Volksſchulweſen viel Gutes wirkt,
dagegen das Berufsbildungsweſen vielfach beſchränkt und der freien
allgemeinen Bildung geradezu feindlich iſt.

Die dritte Epoche, das neunzehnte Jahrhundert, iſt nun die Zeit
des entſcheidenden Kampfes der freien Bildung, ſowohl mit den Reſten
der ſtändiſchen Wiſſenſchaft, als mit der polizeilichen Bevormundung.
Hier treten an die Stelle der Regierung das wirthſchaftliche Leben und
die Preſſe in erſte Reihe. Der Erwerb wird ſeinerſeits zu einem Beruf
und die Arbeit der Preſſe zu einem allgemeinen Bedürfniß und Recht.
Die Elementarbildung empfängt allmälig ihre gleichartige Organiſation;
ſie wird Sache der Selbſtverwaltung unter Aufſicht der Regierung; die
Berufsbildung erzeugt neben dem gelehrten das wirthſchaftliche Bildungs-
weſen in all ſeinen verſchiedenen Formen, und nach langem und hartem
Kampfe wird die Preſſe frei. In dem Kampfe dieſer Elemente wird
nun die große Thatſache klar, daß die Bildung nicht bloß die Grund-
lage der individuellen Entwicklung, ſondern auch alles Werthes der
Formen des öffentlichen Rechts und des Fortſchrittes in Ver-
faſſung und Verwaltung
ſei; und damit verſchwinden die letzten
Gränzen der ſtändiſchen Epoche zwiſchen den Gebieten des menſchlichen
Wiſſens, das geiſtige Leben erſcheint in ſeiner großen, machtvollen Ein-
heit, die Verwaltung des Bildungsweſens wird ein äußerliches und
innerliches Ganzes, und jetzt erſt beginnt das Bildungsweſen der Na-
tionen das zu werden, was es ſeinem höhern Weſen nach iſt, das zur
ſelbſtändigen und thätigen Organiſation gewordene Bewußtſein der Völker,
daß in ihm der Geiſt ſich zum Gegenſtande und Ziel ſeiner eigenen Arbeit
erhoben hat.

Allein in dieſer organiſchen Einheit und Anſchauung des Bildungs-
weſens bleiben nun die drei großen Grundformen. Sie behalten nach
wie vor ihr ſelbſtändiges Recht, ihre ſelbſtändige Aufgabe und ihre
ſelbſtändige Geſchichte. Während in dem Obigen die Idee des Bildungs-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0135" n="111"/>
              <p>Das achtzehnte Jahrhundert i&#x017F;t nun die Epoche, in welcher die<lb/>
Regierungen beginnen, die Elementarbildung als <hi rendition="#g">Volks&#x017F;chulwe&#x017F;en</hi><lb/>
in die Staatsverwaltung aufzunehmen, und die Leitung der gelehrten<lb/>
Vor- und Fachbildung gleichfalls der&#x017F;elben unterzuordnen. Dadurch<lb/>
ent&#x017F;teht zuer&#x017F;t der Gedanke einer <hi rendition="#g">Einheit</hi> des ganzen Bildungswe&#x017F;ens,<lb/>
indem da&#x017F;&#x017F;elbe jetzt auch die Elemente der kün&#x017F;tleri&#x017F;chen Bildung ent-<lb/>
wickelt, und Staatsan&#x017F;talten für die allgemeine Bildung, Bibliotheken,<lb/>
Mu&#x017F;een u. &#x017F;. w. herzu&#x017F;tellen beginnt. Allein die wirth&#x017F;chaftliche Bil-<lb/>
dung bleibt noch unfrei und zufällig, und die Pre&#x017F;&#x017F;e wird unter &#x017F;charfe<lb/>
Ueberwachung ge&#x017F;tellt. Der Charakter die&#x017F;er Epoche i&#x017F;t der Aus&#x017F;chluß<lb/>
der freien einzelnen Arbeit für das Ganze und die Herr&#x017F;chaft der<lb/>
polizeilichen Bevormundung, die im Volks&#x017F;chulwe&#x017F;en viel Gutes wirkt,<lb/>
dagegen das Berufsbildungswe&#x017F;en vielfach be&#x017F;chränkt und der freien<lb/>
allgemeinen Bildung geradezu feindlich i&#x017F;t.</p><lb/>
              <p>Die dritte Epoche, das neunzehnte Jahrhundert, i&#x017F;t nun die Zeit<lb/>
des ent&#x017F;cheidenden Kampfes der freien Bildung, &#x017F;owohl mit den Re&#x017F;ten<lb/>
der &#x017F;tändi&#x017F;chen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft, als mit der polizeilichen Bevormundung.<lb/>
Hier treten an die Stelle der Regierung das wirth&#x017F;chaftliche Leben und<lb/>
die Pre&#x017F;&#x017F;e in er&#x017F;te Reihe. Der Erwerb wird &#x017F;einer&#x017F;eits zu einem Beruf<lb/>
und die Arbeit der Pre&#x017F;&#x017F;e zu einem allgemeinen Bedürfniß und Recht.<lb/>
Die Elementarbildung empfängt allmälig ihre gleichartige Organi&#x017F;ation;<lb/>
&#x017F;ie wird Sache der Selb&#x017F;tverwaltung unter Auf&#x017F;icht der Regierung; die<lb/>
Berufsbildung erzeugt neben dem gelehrten das wirth&#x017F;chaftliche Bildungs-<lb/>
we&#x017F;en in all &#x017F;einen ver&#x017F;chiedenen Formen, und nach langem und hartem<lb/>
Kampfe wird die Pre&#x017F;&#x017F;e frei. In dem Kampfe die&#x017F;er Elemente wird<lb/>
nun die große That&#x017F;ache klar, daß die Bildung nicht bloß die Grund-<lb/>
lage der individuellen Entwicklung, &#x017F;ondern auch alles Werthes der<lb/>
Formen des öffentlichen Rechts und des <hi rendition="#g">Fort&#x017F;chrittes in Ver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung und Verwaltung</hi> &#x017F;ei; und damit ver&#x017F;chwinden die letzten<lb/>
Gränzen der &#x017F;tändi&#x017F;chen Epoche zwi&#x017F;chen den Gebieten des men&#x017F;chlichen<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;ens, das gei&#x017F;tige Leben er&#x017F;cheint in &#x017F;einer großen, machtvollen Ein-<lb/>
heit, die Verwaltung des Bildungswe&#x017F;ens wird ein äußerliches und<lb/>
innerliches Ganzes, und jetzt er&#x017F;t beginnt das Bildungswe&#x017F;en der Na-<lb/>
tionen das zu werden, was es &#x017F;einem höhern We&#x017F;en nach i&#x017F;t, das zur<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;tändigen und thätigen Organi&#x017F;ation gewordene Bewußt&#x017F;ein der Völker,<lb/>
daß in ihm der Gei&#x017F;t &#x017F;ich zum Gegen&#x017F;tande und Ziel &#x017F;einer eigenen Arbeit<lb/>
erhoben hat.</p><lb/>
              <p>Allein in die&#x017F;er organi&#x017F;chen Einheit und An&#x017F;chauung des Bildungs-<lb/>
we&#x017F;ens <hi rendition="#g">bleiben</hi> nun die drei großen Grundformen. Sie behalten nach<lb/>
wie vor ihr &#x017F;elb&#x017F;tändiges Recht, ihre &#x017F;elb&#x017F;tändige Aufgabe und ihre<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;tändige Ge&#x017F;chichte. Während in dem Obigen die Idee des Bildungs-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[111/0135] Das achtzehnte Jahrhundert iſt nun die Epoche, in welcher die Regierungen beginnen, die Elementarbildung als Volksſchulweſen in die Staatsverwaltung aufzunehmen, und die Leitung der gelehrten Vor- und Fachbildung gleichfalls derſelben unterzuordnen. Dadurch entſteht zuerſt der Gedanke einer Einheit des ganzen Bildungsweſens, indem daſſelbe jetzt auch die Elemente der künſtleriſchen Bildung ent- wickelt, und Staatsanſtalten für die allgemeine Bildung, Bibliotheken, Muſeen u. ſ. w. herzuſtellen beginnt. Allein die wirthſchaftliche Bil- dung bleibt noch unfrei und zufällig, und die Preſſe wird unter ſcharfe Ueberwachung geſtellt. Der Charakter dieſer Epoche iſt der Ausſchluß der freien einzelnen Arbeit für das Ganze und die Herrſchaft der polizeilichen Bevormundung, die im Volksſchulweſen viel Gutes wirkt, dagegen das Berufsbildungsweſen vielfach beſchränkt und der freien allgemeinen Bildung geradezu feindlich iſt. Die dritte Epoche, das neunzehnte Jahrhundert, iſt nun die Zeit des entſcheidenden Kampfes der freien Bildung, ſowohl mit den Reſten der ſtändiſchen Wiſſenſchaft, als mit der polizeilichen Bevormundung. Hier treten an die Stelle der Regierung das wirthſchaftliche Leben und die Preſſe in erſte Reihe. Der Erwerb wird ſeinerſeits zu einem Beruf und die Arbeit der Preſſe zu einem allgemeinen Bedürfniß und Recht. Die Elementarbildung empfängt allmälig ihre gleichartige Organiſation; ſie wird Sache der Selbſtverwaltung unter Aufſicht der Regierung; die Berufsbildung erzeugt neben dem gelehrten das wirthſchaftliche Bildungs- weſen in all ſeinen verſchiedenen Formen, und nach langem und hartem Kampfe wird die Preſſe frei. In dem Kampfe dieſer Elemente wird nun die große Thatſache klar, daß die Bildung nicht bloß die Grund- lage der individuellen Entwicklung, ſondern auch alles Werthes der Formen des öffentlichen Rechts und des Fortſchrittes in Ver- faſſung und Verwaltung ſei; und damit verſchwinden die letzten Gränzen der ſtändiſchen Epoche zwiſchen den Gebieten des menſchlichen Wiſſens, das geiſtige Leben erſcheint in ſeiner großen, machtvollen Ein- heit, die Verwaltung des Bildungsweſens wird ein äußerliches und innerliches Ganzes, und jetzt erſt beginnt das Bildungsweſen der Na- tionen das zu werden, was es ſeinem höhern Weſen nach iſt, das zur ſelbſtändigen und thätigen Organiſation gewordene Bewußtſein der Völker, daß in ihm der Geiſt ſich zum Gegenſtande und Ziel ſeiner eigenen Arbeit erhoben hat. Allein in dieſer organiſchen Einheit und Anſchauung des Bildungs- weſens bleiben nun die drei großen Grundformen. Sie behalten nach wie vor ihr ſelbſtändiges Recht, ihre ſelbſtändige Aufgabe und ihre ſelbſtändige Geſchichte. Während in dem Obigen die Idee des Bildungs-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/135
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/135>, abgerufen am 04.12.2024.