Gesetzgebung über das Vorbildungswesen, und die Fachbildungsanstalten (Uni- versities und Colleges) sind rein ständische Körperschaften. In Frankreich dagegen, das bis zur Revolution ganz den Charakter der deutschen Berufs- bildung, jedoch ohne Realschulen und Cameralwissenschaften hat, der erste große Versuch einer Codifikation des ganzen Berufsbildungswesens als der "Universite" seit 1808, unverändert bis jetzt geltend. In Deutschland dagegen neben der körperschaftlichen Selbstverwaltung der Universitäten die allgemeine Gesetzgebung über das Vorbildungswesen in Gymnasien und höhern Schulen, und vielfache einzelne Gesetze auch über das Universitätswesen, jedoch bisher ohne formale Einheit in der Legislatur und ohne System in der Theorie.
Das System des Berufsbildungswesens.
Das System des Berufsbildungswesens nun, wie es sich mit dem neunzehnten Jahrhundert ziemlich definitiv gestaltet hat, beruht auf zwei allgemeinen Grundlagen. Die erste ist die grundsätzliche Unter- scheidung zwischen Vorbildung und Fachbildung, die zweite ist die Aufstellung und Durchführung der drei großen Kategorien des Berufs- bildungswesens, der gelehrten, der wirthschaftlichen und der künstlerischen Berufsbildung. Das Element der allgemeinen Ent- wicklung dieses Systems beruht dann auf denjenigen Institutionen, welche das Uebergehen von einem Gebiete in das andere enthalten. Die besondere Entwicklung dagegen wird festgehalten durch den Grund- satz, daß jeder Beruf zugleich sein eigenes Vorbildungswesen besitzen soll und besitzt. Darnach sind die formalen Elemente des Systems einfach. An sie muß jede Vergleichung sich anschließen.
a) Die gelehrte Berufsbildung beruht nach wie vor auf der classischen Bildung oder der Vorbildung für jede gelehrte Fach- bildung. Die Vorbildungsanstalten sind die hohen Schulen oder Gym- nasien. Die großen Fachbildungskörper sind die Universitäten; die Fachbildungskörper für die einzelnen Berufe sind die Fakultäten, in denen die philosophische Fakultät wieder die doppelte Aufgabe hat, theils der Fachbildungskörper für das Lehrerwesen der Vorbildungsanstalten, theils aber auch die Vertreterin der höchsten wissenschaftlichen Einheit aller speciellen Fachbildung zu sein, während die Naturwissenschaften wieder die höchste wissenschaftliche Form der wirthschaftlich-technischen Bildung, die Staatswissenschaften aber endlich die höchste wissen- schaftliche Form der allgemeinen Bildung enthalten. Das ist das organische Wesen der Universitäten. In ihrer formalen Ordnung und Eintheilung herrscht selbst in Deutschland noch so viel Unklarheit, daß es formell unthunlich ist, diese Kategorien durchzuführen. Der Sache nach ist jedoch kein Zweifel vorhanden. Ein wesentlicher
Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. 9
Geſetzgebung über das Vorbildungsweſen, und die Fachbildungsanſtalten (Uni- versities und Colleges) ſind rein ſtändiſche Körperſchaften. In Frankreich dagegen, das bis zur Revolution ganz den Charakter der deutſchen Berufs- bildung, jedoch ohne Realſchulen und Cameralwiſſenſchaften hat, der erſte große Verſuch einer Codifikation des ganzen Berufsbildungsweſens als der „Université“ ſeit 1808, unverändert bis jetzt geltend. In Deutſchland dagegen neben der körperſchaftlichen Selbſtverwaltung der Univerſitäten die allgemeine Geſetzgebung über das Vorbildungsweſen in Gymnaſien und höhern Schulen, und vielfache einzelne Geſetze auch über das Univerſitätsweſen, jedoch bisher ohne formale Einheit in der Legislatur und ohne Syſtem in der Theorie.
Das Syſtem des Berufsbildungsweſens.
Das Syſtem des Berufsbildungsweſens nun, wie es ſich mit dem neunzehnten Jahrhundert ziemlich definitiv geſtaltet hat, beruht auf zwei allgemeinen Grundlagen. Die erſte iſt die grundſätzliche Unter- ſcheidung zwiſchen Vorbildung und Fachbildung, die zweite iſt die Aufſtellung und Durchführung der drei großen Kategorien des Berufs- bildungsweſens, der gelehrten, der wirthſchaftlichen und der künſtleriſchen Berufsbildung. Das Element der allgemeinen Ent- wicklung dieſes Syſtems beruht dann auf denjenigen Inſtitutionen, welche das Uebergehen von einem Gebiete in das andere enthalten. Die beſondere Entwicklung dagegen wird feſtgehalten durch den Grund- ſatz, daß jeder Beruf zugleich ſein eigenes Vorbildungsweſen beſitzen ſoll und beſitzt. Darnach ſind die formalen Elemente des Syſtems einfach. An ſie muß jede Vergleichung ſich anſchließen.
a) Die gelehrte Berufsbildung beruht nach wie vor auf der claſſiſchen Bildung oder der Vorbildung für jede gelehrte Fach- bildung. Die Vorbildungsanſtalten ſind die hohen Schulen oder Gym- naſien. Die großen Fachbildungskörper ſind die Univerſitäten; die Fachbildungskörper für die einzelnen Berufe ſind die Fakultäten, in denen die philoſophiſche Fakultät wieder die doppelte Aufgabe hat, theils der Fachbildungskörper für das Lehrerweſen der Vorbildungsanſtalten, theils aber auch die Vertreterin der höchſten wiſſenſchaftlichen Einheit aller ſpeciellen Fachbildung zu ſein, während die Naturwiſſenſchaften wieder die höchſte wiſſenſchaftliche Form der wirthſchaftlich-techniſchen Bildung, die Staatswiſſenſchaften aber endlich die höchſte wiſſen- ſchaftliche Form der allgemeinen Bildung enthalten. Das iſt das organiſche Weſen der Univerſitäten. In ihrer formalen Ordnung und Eintheilung herrſcht ſelbſt in Deutſchland noch ſo viel Unklarheit, daß es formell unthunlich iſt, dieſe Kategorien durchzuführen. Der Sache nach iſt jedoch kein Zweifel vorhanden. Ein weſentlicher
Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. 9
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Geſetzgebung über das Vorbildungsweſen, und die Fachbildungsanſtalten (Uni-
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dagegen, das bis zur Revolution ganz den Charakter der deutſchen Berufs-
bildung, jedoch ohne Realſchulen und Cameralwiſſenſchaften hat, der erſte
große Verſuch einer Codifikation des ganzen Berufsbildungsweſens als der
„Université“ ſeit 1808, unverändert bis jetzt geltend. In Deutſchland
dagegen neben der körperſchaftlichen Selbſtverwaltung der Univerſitäten die
allgemeine Geſetzgebung über das Vorbildungsweſen in Gymnaſien und höhern
Schulen, und vielfache einzelne Geſetze auch über das Univerſitätsweſen, jedoch
bisher ohne formale Einheit in der Legislatur und ohne Syſtem in der Theorie.
Das Syſtem des Berufsbildungsweſens.
Das Syſtem des Berufsbildungsweſens nun, wie es ſich mit dem
neunzehnten Jahrhundert ziemlich definitiv geſtaltet hat, beruht auf
zwei allgemeinen Grundlagen. Die erſte iſt die grundſätzliche Unter-
ſcheidung zwiſchen Vorbildung und Fachbildung, die zweite iſt die
Aufſtellung und Durchführung der drei großen Kategorien des Berufs-
bildungsweſens, der gelehrten, der wirthſchaftlichen und der
künſtleriſchen Berufsbildung. Das Element der allgemeinen Ent-
wicklung dieſes Syſtems beruht dann auf denjenigen Inſtitutionen,
welche das Uebergehen von einem Gebiete in das andere enthalten.
Die beſondere Entwicklung dagegen wird feſtgehalten durch den Grund-
ſatz, daß jeder Beruf zugleich ſein eigenes Vorbildungsweſen beſitzen
ſoll und beſitzt. Darnach ſind die formalen Elemente des Syſtems
einfach. An ſie muß jede Vergleichung ſich anſchließen.
a) Die gelehrte Berufsbildung beruht nach wie vor auf der
claſſiſchen Bildung oder der Vorbildung für jede gelehrte Fach-
bildung. Die Vorbildungsanſtalten ſind die hohen Schulen oder Gym-
naſien. Die großen Fachbildungskörper ſind die Univerſitäten; die
Fachbildungskörper für die einzelnen Berufe ſind die Fakultäten, in
denen die philoſophiſche Fakultät wieder die doppelte Aufgabe hat, theils
der Fachbildungskörper für das Lehrerweſen der Vorbildungsanſtalten,
theils aber auch die Vertreterin der höchſten wiſſenſchaftlichen Einheit
aller ſpeciellen Fachbildung zu ſein, während die Naturwiſſenſchaften
wieder die höchſte wiſſenſchaftliche Form der wirthſchaftlich-techniſchen
Bildung, die Staatswiſſenſchaften aber endlich die höchſte wiſſen-
ſchaftliche Form der allgemeinen Bildung enthalten. Das iſt das
organiſche Weſen der Univerſitäten. In ihrer formalen Ordnung
und Eintheilung herrſcht ſelbſt in Deutſchland noch ſo viel Unklarheit,
daß es formell unthunlich iſt, dieſe Kategorien durchzuführen. Der
Sache nach iſt jedoch kein Zweifel vorhanden. Ein weſentlicher
Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. 9
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/153>, abgerufen am 16.07.2024.
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