Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

Es ist kein Zweifel, daß die Vertheilung der Fähigkeit, die Capi-
talien zu benützen, eine andere ist, als die Vertheilung der Capitalien
selbst. Es ist kein Zweifel, daß das Capital in den Händen des
Fähigen sowohl für diesen, als für den weniger fähigen Besitzer, als
endlich durch beides für die Gemeinschaft am meisten leistet. Eine der
ersten Bedingungen der höchsten wirthschaftlichen Entwicklung ist daher
dasjenige Element, welches beständig dahin arbeitet, die Verwerthung
des vorhandenen Capitals den Erwerbfähigsten zuzuführen. Dieses
Element ist der Credit. Es ist daher zunächst kein Zweifel, daß der
Beginn der Entwicklung des Credits zugleich der Beginn alles volks-
wirthschaftlichen Aufschwunges ist. Allein der Credit ist eben so sehr
ein gewaltiger gesellschaftlicher Faktor. Der tiefste Widerspruch aller
gesellschaftlichen Zustände beruht nicht darauf, daß die persönliche
Fähigkeit kein Capital besitzt, sondern daß sie nicht im Stande ist,
zur Benützung des ihr entsprechenden Capitals zum Zwecke des Er-
werbs zu gelangen. Der Credit ist es, der diesen Widerspruch löst.
Der Credit gleicht nicht das Eigenthum aus, sondern den Besitz. Er
gibt nicht die Gleichheit im Capital, wohl aber die Gleichheit im Er-
werb; er ist es, der, indem er das Recht bestehen läßt, zugleich die
gleiche Berechtigung der wirthschaftlichen Kraft gegenüber der Ungleich-
heit des Vermögens verwirklicht. Er ist damit die Quelle des Erwerbs
und der Capitalbildung durch seine Vertheilung der Capitalsbenützung
nach der Tüchtigkeit und Thätigkeit der Persönlichkeit; durch ihn ge-
langt jede Persönlichkeit zu so viel Capital, als sie zu besitzen wirklich
werth ist; in ihm lebt daher an letzter Stelle etwas viel Höheres, als
ein bloß wirthschaftliches Verkehrsverhältniß; er ist in der That die
höchste Harmonie zwischen der unantastbaren Härte des Eigenthums-
rechts und den unabweisbaren Forderungen der freien persönlichen
Entwicklung; denn während das Capital zeigt, was jemand werth ge-
wesen ist, gibt der Credit, was jemand werth ist. Der Credit ist daher
bestimmt, durch seine wirthschaftlichen Gesetze die große sociale Frage
des Gegensatzes zwischen Besitz und Arbeit zu lösen; in ihm lebt die
Zukunft der Volkswirthschaft und die der Gesellschaft, und in diesem
Sinne hat unsere Zeit vollkommen Recht, wenn sie in ihm den Schwer-
punkt ihrer höchsten theoretischen und praktischen Aufgaben anerkennt.

Ist dem nun so, so ist endlich auch kein Zweifel, daß Wesen
und Organisation dieses Faktors nicht bloß mehr Sache der Einzelnen,
des Creditgebers und Nehmers, sondern zugleich eine hochwichtige An-
gelegenheit der Verwaltung ist. Das
kann daher nicht mehr
die Frage sein, ob das Creditwesen als ein organischer Theil des Ge-
sammtlebens zu betrachten sei; die Frage, um welche es sich handelt,

Es iſt kein Zweifel, daß die Vertheilung der Fähigkeit, die Capi-
talien zu benützen, eine andere iſt, als die Vertheilung der Capitalien
ſelbſt. Es iſt kein Zweifel, daß das Capital in den Händen des
Fähigen ſowohl für dieſen, als für den weniger fähigen Beſitzer, als
endlich durch beides für die Gemeinſchaft am meiſten leiſtet. Eine der
erſten Bedingungen der höchſten wirthſchaftlichen Entwicklung iſt daher
dasjenige Element, welches beſtändig dahin arbeitet, die Verwerthung
des vorhandenen Capitals den Erwerbfähigſten zuzuführen. Dieſes
Element iſt der Credit. Es iſt daher zunächſt kein Zweifel, daß der
Beginn der Entwicklung des Credits zugleich der Beginn alles volks-
wirthſchaftlichen Aufſchwunges iſt. Allein der Credit iſt eben ſo ſehr
ein gewaltiger geſellſchaftlicher Faktor. Der tiefſte Widerſpruch aller
geſellſchaftlichen Zuſtände beruht nicht darauf, daß die perſönliche
Fähigkeit kein Capital beſitzt, ſondern daß ſie nicht im Stande iſt,
zur Benützung des ihr entſprechenden Capitals zum Zwecke des Er-
werbs zu gelangen. Der Credit iſt es, der dieſen Widerſpruch löst.
Der Credit gleicht nicht das Eigenthum aus, ſondern den Beſitz. Er
gibt nicht die Gleichheit im Capital, wohl aber die Gleichheit im Er-
werb; er iſt es, der, indem er das Recht beſtehen läßt, zugleich die
gleiche Berechtigung der wirthſchaftlichen Kraft gegenüber der Ungleich-
heit des Vermögens verwirklicht. Er iſt damit die Quelle des Erwerbs
und der Capitalbildung durch ſeine Vertheilung der Capitalsbenützung
nach der Tüchtigkeit und Thätigkeit der Perſönlichkeit; durch ihn ge-
langt jede Perſönlichkeit zu ſo viel Capital, als ſie zu beſitzen wirklich
werth iſt; in ihm lebt daher an letzter Stelle etwas viel Höheres, als
ein bloß wirthſchaftliches Verkehrsverhältniß; er iſt in der That die
höchſte Harmonie zwiſchen der unantaſtbaren Härte des Eigenthums-
rechts und den unabweisbaren Forderungen der freien perſönlichen
Entwicklung; denn während das Capital zeigt, was jemand werth ge-
weſen iſt, gibt der Credit, was jemand werth iſt. Der Credit iſt daher
beſtimmt, durch ſeine wirthſchaftlichen Geſetze die große ſociale Frage
des Gegenſatzes zwiſchen Beſitz und Arbeit zu löſen; in ihm lebt die
Zukunft der Volkswirthſchaft und die der Geſellſchaft, und in dieſem
Sinne hat unſere Zeit vollkommen Recht, wenn ſie in ihm den Schwer-
punkt ihrer höchſten theoretiſchen und praktiſchen Aufgaben anerkennt.

Iſt dem nun ſo, ſo iſt endlich auch kein Zweifel, daß Weſen
und Organiſation dieſes Faktors nicht bloß mehr Sache der Einzelnen,
des Creditgebers und Nehmers, ſondern zugleich eine hochwichtige An-
gelegenheit der Verwaltung iſt. Das
kann daher nicht mehr
die Frage ſein, ob das Creditweſen als ein organiſcher Theil des Ge-
ſammtlebens zu betrachten ſei; die Frage, um welche es ſich handelt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <pb facs="#f0269" n="245"/>
                <p>Es i&#x017F;t kein Zweifel, daß die Vertheilung der Fähigkeit, die Capi-<lb/>
talien zu benützen, eine andere i&#x017F;t, als die Vertheilung der Capitalien<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t. Es i&#x017F;t kein Zweifel, daß das Capital in den Händen des<lb/>
Fähigen &#x017F;owohl für die&#x017F;en, als für den weniger fähigen Be&#x017F;itzer, als<lb/>
endlich durch beides für die Gemein&#x017F;chaft am mei&#x017F;ten lei&#x017F;tet. Eine der<lb/>
er&#x017F;ten Bedingungen der höch&#x017F;ten wirth&#x017F;chaftlichen Entwicklung i&#x017F;t daher<lb/>
dasjenige Element, welches be&#x017F;tändig dahin arbeitet, die Verwerthung<lb/>
des vorhandenen Capitals den Erwerbfähig&#x017F;ten zuzuführen. Die&#x017F;es<lb/>
Element i&#x017F;t der Credit. Es i&#x017F;t daher zunäch&#x017F;t kein Zweifel, daß der<lb/>
Beginn der Entwicklung des Credits zugleich der Beginn alles volks-<lb/>
wirth&#x017F;chaftlichen Auf&#x017F;chwunges i&#x017F;t. Allein der Credit i&#x017F;t eben &#x017F;o &#x017F;ehr<lb/>
ein gewaltiger ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlicher Faktor. Der tief&#x017F;te Wider&#x017F;pruch aller<lb/>
ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Zu&#x017F;tände beruht nicht darauf, daß die per&#x017F;önliche<lb/>
Fähigkeit kein Capital <hi rendition="#g">be&#x017F;itzt</hi>, &#x017F;ondern daß &#x017F;ie nicht im Stande i&#x017F;t,<lb/>
zur <hi rendition="#g">Benützung</hi> des ihr ent&#x017F;prechenden Capitals zum Zwecke des Er-<lb/>
werbs zu gelangen. Der Credit i&#x017F;t es, der die&#x017F;en Wider&#x017F;pruch löst.<lb/>
Der Credit gleicht nicht das Eigenthum aus, &#x017F;ondern den Be&#x017F;itz. Er<lb/>
gibt nicht die Gleichheit im Capital, wohl aber die Gleichheit im Er-<lb/>
werb; er i&#x017F;t es, der, indem er das Recht be&#x017F;tehen läßt, zugleich die<lb/>
gleiche Berechtigung der wirth&#x017F;chaftlichen Kraft gegenüber der Ungleich-<lb/>
heit des Vermögens verwirklicht. Er i&#x017F;t damit die Quelle des Erwerbs<lb/>
und der Capitalbildung durch &#x017F;eine Vertheilung der Capital<hi rendition="#g">sbenützung</hi><lb/>
nach der Tüchtigkeit und Thätigkeit der Per&#x017F;önlichkeit; durch ihn ge-<lb/>
langt jede Per&#x017F;önlichkeit zu &#x017F;o viel Capital, als &#x017F;ie zu be&#x017F;itzen wirklich<lb/>
werth i&#x017F;t; in ihm lebt daher an letzter Stelle etwas viel Höheres, als<lb/>
ein bloß wirth&#x017F;chaftliches Verkehrsverhältniß; er i&#x017F;t in der That die<lb/>
höch&#x017F;te Harmonie zwi&#x017F;chen der unanta&#x017F;tbaren Härte des Eigenthums-<lb/>
rechts und den unabweisbaren Forderungen der freien per&#x017F;önlichen<lb/>
Entwicklung; denn während das Capital zeigt, was jemand werth ge-<lb/>
we&#x017F;en i&#x017F;t, gibt der Credit, was jemand werth <hi rendition="#g">i&#x017F;t</hi>. Der Credit i&#x017F;t daher<lb/>
be&#x017F;timmt, durch &#x017F;eine wirth&#x017F;chaftlichen Ge&#x017F;etze die große &#x017F;ociale Frage<lb/>
des Gegen&#x017F;atzes zwi&#x017F;chen Be&#x017F;itz und Arbeit zu lö&#x017F;en; in ihm lebt die<lb/>
Zukunft der Volkswirth&#x017F;chaft <hi rendition="#g">und</hi> die der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, und in die&#x017F;em<lb/>
Sinne hat un&#x017F;ere Zeit vollkommen Recht, wenn &#x017F;ie in ihm den Schwer-<lb/>
punkt ihrer höch&#x017F;ten theoreti&#x017F;chen und prakti&#x017F;chen Aufgaben anerkennt.</p><lb/>
                <p>I&#x017F;t dem nun &#x017F;o, &#x017F;o i&#x017F;t endlich auch kein Zweifel, daß We&#x017F;en<lb/>
und Organi&#x017F;ation die&#x017F;es Faktors <hi rendition="#g">nicht</hi> bloß mehr Sache der Einzelnen,<lb/>
des Creditgebers und Nehmers, &#x017F;ondern zugleich eine hochwichtige <hi rendition="#g">An-<lb/>
gelegenheit der Verwaltung i&#x017F;t. Das</hi> kann daher nicht mehr<lb/>
die Frage &#x017F;ein, ob das Creditwe&#x017F;en als ein organi&#x017F;cher Theil des Ge-<lb/>
&#x017F;ammtlebens zu betrachten &#x017F;ei; die Frage, um welche es &#x017F;ich handelt,<lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[245/0269] Es iſt kein Zweifel, daß die Vertheilung der Fähigkeit, die Capi- talien zu benützen, eine andere iſt, als die Vertheilung der Capitalien ſelbſt. Es iſt kein Zweifel, daß das Capital in den Händen des Fähigen ſowohl für dieſen, als für den weniger fähigen Beſitzer, als endlich durch beides für die Gemeinſchaft am meiſten leiſtet. Eine der erſten Bedingungen der höchſten wirthſchaftlichen Entwicklung iſt daher dasjenige Element, welches beſtändig dahin arbeitet, die Verwerthung des vorhandenen Capitals den Erwerbfähigſten zuzuführen. Dieſes Element iſt der Credit. Es iſt daher zunächſt kein Zweifel, daß der Beginn der Entwicklung des Credits zugleich der Beginn alles volks- wirthſchaftlichen Aufſchwunges iſt. Allein der Credit iſt eben ſo ſehr ein gewaltiger geſellſchaftlicher Faktor. Der tiefſte Widerſpruch aller geſellſchaftlichen Zuſtände beruht nicht darauf, daß die perſönliche Fähigkeit kein Capital beſitzt, ſondern daß ſie nicht im Stande iſt, zur Benützung des ihr entſprechenden Capitals zum Zwecke des Er- werbs zu gelangen. Der Credit iſt es, der dieſen Widerſpruch löst. Der Credit gleicht nicht das Eigenthum aus, ſondern den Beſitz. Er gibt nicht die Gleichheit im Capital, wohl aber die Gleichheit im Er- werb; er iſt es, der, indem er das Recht beſtehen läßt, zugleich die gleiche Berechtigung der wirthſchaftlichen Kraft gegenüber der Ungleich- heit des Vermögens verwirklicht. Er iſt damit die Quelle des Erwerbs und der Capitalbildung durch ſeine Vertheilung der Capitalsbenützung nach der Tüchtigkeit und Thätigkeit der Perſönlichkeit; durch ihn ge- langt jede Perſönlichkeit zu ſo viel Capital, als ſie zu beſitzen wirklich werth iſt; in ihm lebt daher an letzter Stelle etwas viel Höheres, als ein bloß wirthſchaftliches Verkehrsverhältniß; er iſt in der That die höchſte Harmonie zwiſchen der unantaſtbaren Härte des Eigenthums- rechts und den unabweisbaren Forderungen der freien perſönlichen Entwicklung; denn während das Capital zeigt, was jemand werth ge- weſen iſt, gibt der Credit, was jemand werth iſt. Der Credit iſt daher beſtimmt, durch ſeine wirthſchaftlichen Geſetze die große ſociale Frage des Gegenſatzes zwiſchen Beſitz und Arbeit zu löſen; in ihm lebt die Zukunft der Volkswirthſchaft und die der Geſellſchaft, und in dieſem Sinne hat unſere Zeit vollkommen Recht, wenn ſie in ihm den Schwer- punkt ihrer höchſten theoretiſchen und praktiſchen Aufgaben anerkennt. Iſt dem nun ſo, ſo iſt endlich auch kein Zweifel, daß Weſen und Organiſation dieſes Faktors nicht bloß mehr Sache der Einzelnen, des Creditgebers und Nehmers, ſondern zugleich eine hochwichtige An- gelegenheit der Verwaltung iſt. Das kann daher nicht mehr die Frage ſein, ob das Creditweſen als ein organiſcher Theil des Ge- ſammtlebens zu betrachten ſei; die Frage, um welche es ſich handelt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/269
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/269>, abgerufen am 22.11.2024.