hat die staatsbürgerliche Gesellschaftsordnung neben ihnen ganz neue Rechtsgebiete erzeugen müssen.
Die zweite Epoche beginnt da, wo mit den entstehenden gewerb- lichen und Handelsunternehmungen Natur und Umfang des Darlehens nicht mehr ausreichen, und nicht mehr augenblickliche Bedürfnisse durch Anlehen gedeckt, sondern die Capitalien durch den Credit erzeugt und in Thätigkeit erhalten werden. In der ersten Zeit dieser Epoche küm- mert sich der Staat um diese neue Erscheinung noch sehr wenig; erst mit dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts zwingt ihn das Be- dürfniß nach eigenem Credit, das Creditwesen überhaupt in Gesetz- gebung und Verwaltung zu berücksichtigen. Er thut es deßhalb auch anfangs nur da, wo er selbst Credit braucht. So entsteht das Bank- und Notenwesen. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts beginnt dann mit dem regelmäßig gewordenen Creditbedürfniß der Grundherren der erste Versuch, theils das Grundbuchswesen zu ordnen, theils den Realcredit zu organisiren; daran schließen sich die Gesetzgebungen für das Handels- und Wechselrecht, die ihrem Lebensprincip nach das Privatrecht des Credits gegenüber dem des Darlehens bilden. Aber noch herrscht die ständische Gesellschaftsordnung, und das Creditrecht selbst erscheint noch als ein beschränktes Recht des "Handelsstandes" wie sich der Realcredit nur noch auf die Grundherren bezieht. Erst mit dem Siege der staatsbürgerlichen Gesellschaftsordnung im neun- zehnten Jahrhundert tritt eine neue Bewegung ein. Dieselbe beginnt mit der immer lauter werdenden Forderung nach der Freiheit des Credit- verkehrs bei der besitzenden, und mit der Forderung nach Capital bei der nichtbesitzenden Classe; beide, durchdrungen von der Bedeutung des Capitals als Grundlage der persönlichen Stellung und Entwicklung erzeugen zunächst die negative Bewegung der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, die bei der ersten als Kampf gegen die Zinsgesetzgebung, bei der zweiten als Socialismus und Communismus erscheint. Gegen beide verhält sich der Staat noch ablehnend; noch halten und tragen ihn ständische Elemente, und andererseits das Bewußtsein, daß er nicht berufen sei, weder Capital noch Credit zu gewähren. Die zweite Hälfte erst findet den richtigen Weg, die Vermittlung zwischen Besitz und Nichtbesitz in dem, wenn auch nicht klar begriffenen Worte der Organisation des Credits, und den einzig dafür geeigneten Organismus im Creditvereinswesen. Das Vereinswesen bricht sich mit einer fast unglaublichen Gewalt Bahn, ohne auf eine systematische oder auch nur richtige Theorie der Gesetze zu warten; und so wie das ge- schieht, wird nun dieß Creditvereinswesen Gegenstand einer selbständigen Verwaltung, die naturgemäß, wenn auch keineswegs immer mit vollem
hat die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaftsordnung neben ihnen ganz neue Rechtsgebiete erzeugen müſſen.
Die zweite Epoche beginnt da, wo mit den entſtehenden gewerb- lichen und Handelsunternehmungen Natur und Umfang des Darlehens nicht mehr ausreichen, und nicht mehr augenblickliche Bedürfniſſe durch Anlehen gedeckt, ſondern die Capitalien durch den Credit erzeugt und in Thätigkeit erhalten werden. In der erſten Zeit dieſer Epoche küm- mert ſich der Staat um dieſe neue Erſcheinung noch ſehr wenig; erſt mit dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts zwingt ihn das Be- dürfniß nach eigenem Credit, das Creditweſen überhaupt in Geſetz- gebung und Verwaltung zu berückſichtigen. Er thut es deßhalb auch anfangs nur da, wo er ſelbſt Credit braucht. So entſteht das Bank- und Notenweſen. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts beginnt dann mit dem regelmäßig gewordenen Creditbedürfniß der Grundherren der erſte Verſuch, theils das Grundbuchsweſen zu ordnen, theils den Realcredit zu organiſiren; daran ſchließen ſich die Geſetzgebungen für das Handels- und Wechſelrecht, die ihrem Lebensprincip nach das Privatrecht des Credits gegenüber dem des Darlehens bilden. Aber noch herrſcht die ſtändiſche Geſellſchaftsordnung, und das Creditrecht ſelbſt erſcheint noch als ein beſchränktes Recht des „Handelsſtandes“ wie ſich der Realcredit nur noch auf die Grundherren bezieht. Erſt mit dem Siege der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaftsordnung im neun- zehnten Jahrhundert tritt eine neue Bewegung ein. Dieſelbe beginnt mit der immer lauter werdenden Forderung nach der Freiheit des Credit- verkehrs bei der beſitzenden, und mit der Forderung nach Capital bei der nichtbeſitzenden Claſſe; beide, durchdrungen von der Bedeutung des Capitals als Grundlage der perſönlichen Stellung und Entwicklung erzeugen zunächſt die negative Bewegung der erſten Hälfte unſeres Jahrhunderts, die bei der erſten als Kampf gegen die Zinsgeſetzgebung, bei der zweiten als Socialismus und Communismus erſcheint. Gegen beide verhält ſich der Staat noch ablehnend; noch halten und tragen ihn ſtändiſche Elemente, und andererſeits das Bewußtſein, daß er nicht berufen ſei, weder Capital noch Credit zu gewähren. Die zweite Hälfte erſt findet den richtigen Weg, die Vermittlung zwiſchen Beſitz und Nichtbeſitz in dem, wenn auch nicht klar begriffenen Worte der Organiſation des Credits, und den einzig dafür geeigneten Organismus im Creditvereinsweſen. Das Vereinsweſen bricht ſich mit einer faſt unglaublichen Gewalt Bahn, ohne auf eine ſyſtematiſche oder auch nur richtige Theorie der Geſetze zu warten; und ſo wie das ge- ſchieht, wird nun dieß Creditvereinsweſen Gegenſtand einer ſelbſtändigen Verwaltung, die naturgemäß, wenn auch keineswegs immer mit vollem
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hat die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaftsordnung neben ihnen ganz neue
Rechtsgebiete erzeugen müſſen.
Die zweite Epoche beginnt da, wo mit den entſtehenden gewerb-
lichen und Handelsunternehmungen Natur und Umfang des Darlehens
nicht mehr ausreichen, und nicht mehr augenblickliche Bedürfniſſe durch
Anlehen gedeckt, ſondern die Capitalien durch den Credit erzeugt und
in Thätigkeit erhalten werden. In der erſten Zeit dieſer Epoche küm-
mert ſich der Staat um dieſe neue Erſcheinung noch ſehr wenig; erſt
mit dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts zwingt ihn das Be-
dürfniß nach eigenem Credit, das Creditweſen überhaupt in Geſetz-
gebung und Verwaltung zu berückſichtigen. Er thut es deßhalb auch
anfangs nur da, wo er ſelbſt Credit braucht. So entſteht das Bank-
und Notenweſen. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts beginnt
dann mit dem regelmäßig gewordenen Creditbedürfniß der Grundherren
der erſte Verſuch, theils das Grundbuchsweſen zu ordnen, theils den
Realcredit zu organiſiren; daran ſchließen ſich die Geſetzgebungen für
das Handels- und Wechſelrecht, die ihrem Lebensprincip nach das
Privatrecht des Credits gegenüber dem des Darlehens bilden. Aber
noch herrſcht die ſtändiſche Geſellſchaftsordnung, und das Creditrecht
ſelbſt erſcheint noch als ein beſchränktes Recht des „Handelsſtandes“
wie ſich der Realcredit nur noch auf die Grundherren bezieht. Erſt
mit dem Siege der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaftsordnung im neun-
zehnten Jahrhundert tritt eine neue Bewegung ein. Dieſelbe beginnt
mit der immer lauter werdenden Forderung nach der Freiheit des Credit-
verkehrs bei der beſitzenden, und mit der Forderung nach Capital bei
der nichtbeſitzenden Claſſe; beide, durchdrungen von der Bedeutung des
Capitals als Grundlage der perſönlichen Stellung und Entwicklung
erzeugen zunächſt die negative Bewegung der erſten Hälfte unſeres
Jahrhunderts, die bei der erſten als Kampf gegen die Zinsgeſetzgebung,
bei der zweiten als Socialismus und Communismus erſcheint. Gegen
beide verhält ſich der Staat noch ablehnend; noch halten und tragen
ihn ſtändiſche Elemente, und andererſeits das Bewußtſein, daß er
nicht berufen ſei, weder Capital noch Credit zu gewähren. Die zweite
Hälfte erſt findet den richtigen Weg, die Vermittlung zwiſchen Beſitz
und Nichtbeſitz in dem, wenn auch nicht klar begriffenen Worte der
Organiſation des Credits, und den einzig dafür geeigneten Organismus
im Creditvereinsweſen. Das Vereinsweſen bricht ſich mit einer
faſt unglaublichen Gewalt Bahn, ohne auf eine ſyſtematiſche oder
auch nur richtige Theorie der Geſetze zu warten; und ſo wie das ge-
ſchieht, wird nun dieß Creditvereinsweſen Gegenſtand einer ſelbſtändigen
Verwaltung, die naturgemäß, wenn auch keineswegs immer mit vollem
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/275>, abgerufen am 22.11.2024.
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