Namentlich ist das und zuerst für die Landwirthschaft der Fall, und viele denken sich unter der "Landwirthschaftspflege" ein förmliches be- ständig thätiges System von Verwaltungsmaßregeln, denen die Land- wirthschaft ihre wesentliche Blüthe verdanken solle. Es ist daher noth- wendig, diese Vorstellung auf ihr festes Maß zurückzuführen.
1) Begriff und Natur der freien Wirthschaften schließen nämlich zuerst eine unmittelbare Theilnahme der Verwaltung an derselben aus. In ihnen soll sich die einzelne Persönlichkeit durch sich selber entwickeln, sie sollen sich selber helfen. Sie werden werthlos für die Mensch- heit, wenn die Verwaltung die Aufgabe übernimmt, ihre innere Ent- wicklung direkt zu fördern, oder gar ihre Ordnung zu bestimmen. Da- gegen gibt es ein zweites Gebiet, bis zu welchem das große Princip der freien Selbstthätigkeit nicht reicht. Das ist die Gesammtheit der außerhalb der Einzelwirthschaft liegenden allgemeinen Bedingungen des wirthschaftlichen Fortschrittes. Mit dem Auftreten der freien Einzelwirthschaft scheiden sie sich von der letzteren; von da an sind sie selbständige Gebiete der Verwaltung; und so entsteht der allgemeine Satz, der seine erste Anwendung in der Landwirthschaft findet, daß mit ihnen der Schwerpunkt der ganzen wirthschaftlichen Verwaltung in den allgemeinen Theil der Volkswirthschaftspflege fällt, und der besondere Theil eben nur aus denjenigen besonderen und ein- zelnen Bestimmungen und Thätigkeiten der Verwaltung besteht, welche durch die besondere Natur der einzelnen Wirthschaftsart gefordert werden. Die freie Wirthschaft fordert demnach vor allem die tüchtige Verwaltung des Communikations- und des Creditwesens; das Uebrige -- die besondere Volkswirthschaftspflege -- hat von da an nur einen suppletorischen Charakter.
2) Aber freilich hat die volle Gültigkeit dieses Standpunkts Eine große Voraussetzung. Das ist, daß eben die einzelnen Wirthschaften frei seien. Und nun hat der Gang der historischen Entwicklung es mit sich gebracht, daß alle Arten der Einzelwirthschaft, von der Ge- schlechter- und Ständeordnung beherrscht, erst durch einen Jahrhunderte dauernden Kampf wirklich zu freien Unternehmungen geworden sind. In der That verwirklicht sich eigentlich erst mit dieser Freiheit der Einzelwirthschaft die staatsbürgerliche Gesellschaft unseres Jahrhunderts. Die werdende Geschichte ihres öffentlichen Rechts ist auf allen Punkten zuerst die Geschichte der freien Gesellschaftsordnung und damit der für sie geltenden freien Verwaltung. Bis das geschehen ist, kann weder eine hinreichende Lehre von der wirthschaftlichen Technik, noch ein rechter Werth der besonderen, auf die Eigenthümlichkeit der Wirth- schaftsarten berechneten Verwaltungsmaßregeln entstehen, so klar auch
Namentlich iſt das und zuerſt für die Landwirthſchaft der Fall, und viele denken ſich unter der „Landwirthſchaftspflege“ ein förmliches be- ſtändig thätiges Syſtem von Verwaltungsmaßregeln, denen die Land- wirthſchaft ihre weſentliche Blüthe verdanken ſolle. Es iſt daher noth- wendig, dieſe Vorſtellung auf ihr feſtes Maß zurückzuführen.
1) Begriff und Natur der freien Wirthſchaften ſchließen nämlich zuerſt eine unmittelbare Theilnahme der Verwaltung an derſelben aus. In ihnen ſoll ſich die einzelne Perſönlichkeit durch ſich ſelber entwickeln, ſie ſollen ſich ſelber helfen. Sie werden werthlos für die Menſch- heit, wenn die Verwaltung die Aufgabe übernimmt, ihre innere Ent- wicklung direkt zu fördern, oder gar ihre Ordnung zu beſtimmen. Da- gegen gibt es ein zweites Gebiet, bis zu welchem das große Princip der freien Selbſtthätigkeit nicht reicht. Das iſt die Geſammtheit der außerhalb der Einzelwirthſchaft liegenden allgemeinen Bedingungen des wirthſchaftlichen Fortſchrittes. Mit dem Auftreten der freien Einzelwirthſchaft ſcheiden ſie ſich von der letzteren; von da an ſind ſie ſelbſtändige Gebiete der Verwaltung; und ſo entſteht der allgemeine Satz, der ſeine erſte Anwendung in der Landwirthſchaft findet, daß mit ihnen der Schwerpunkt der ganzen wirthſchaftlichen Verwaltung in den allgemeinen Theil der Volkswirthſchaftspflege fällt, und der beſondere Theil eben nur aus denjenigen beſonderen und ein- zelnen Beſtimmungen und Thätigkeiten der Verwaltung beſteht, welche durch die beſondere Natur der einzelnen Wirthſchaftsart gefordert werden. Die freie Wirthſchaft fordert demnach vor allem die tüchtige Verwaltung des Communikations- und des Creditweſens; das Uebrige — die beſondere Volkswirthſchaftspflege — hat von da an nur einen ſuppletoriſchen Charakter.
2) Aber freilich hat die volle Gültigkeit dieſes Standpunkts Eine große Vorausſetzung. Das iſt, daß eben die einzelnen Wirthſchaften frei ſeien. Und nun hat der Gang der hiſtoriſchen Entwicklung es mit ſich gebracht, daß alle Arten der Einzelwirthſchaft, von der Ge- ſchlechter- und Ständeordnung beherrſcht, erſt durch einen Jahrhunderte dauernden Kampf wirklich zu freien Unternehmungen geworden ſind. In der That verwirklicht ſich eigentlich erſt mit dieſer Freiheit der Einzelwirthſchaft die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft unſeres Jahrhunderts. Die werdende Geſchichte ihres öffentlichen Rechts iſt auf allen Punkten zuerſt die Geſchichte der freien Geſellſchaftsordnung und damit der für ſie geltenden freien Verwaltung. Bis das geſchehen iſt, kann weder eine hinreichende Lehre von der wirthſchaftlichen Technik, noch ein rechter Werth der beſonderen, auf die Eigenthümlichkeit der Wirth- ſchaftsarten berechneten Verwaltungsmaßregeln entſtehen, ſo klar auch
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Namentlich iſt das und zuerſt für die Landwirthſchaft der Fall, und
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wirthſchaft ihre weſentliche Blüthe verdanken ſolle. Es iſt daher noth-
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1) Begriff und Natur der freien Wirthſchaften ſchließen nämlich
zuerſt eine unmittelbare Theilnahme der Verwaltung an derſelben aus.
In ihnen ſoll ſich die einzelne Perſönlichkeit durch ſich ſelber entwickeln,
ſie ſollen ſich ſelber helfen. Sie werden werthlos für die Menſch-
heit, wenn die Verwaltung die Aufgabe übernimmt, ihre innere Ent-
wicklung direkt zu fördern, oder gar ihre Ordnung zu beſtimmen. Da-
gegen gibt es ein zweites Gebiet, bis zu welchem das große Princip
der freien Selbſtthätigkeit nicht reicht. Das iſt die Geſammtheit der
außerhalb der Einzelwirthſchaft liegenden allgemeinen Bedingungen
des wirthſchaftlichen Fortſchrittes. Mit dem Auftreten der freien
Einzelwirthſchaft ſcheiden ſie ſich von der letzteren; von da an ſind
ſie ſelbſtändige Gebiete der Verwaltung; und ſo entſteht der allgemeine
Satz, der ſeine erſte Anwendung in der Landwirthſchaft findet, daß
mit ihnen der Schwerpunkt der ganzen wirthſchaftlichen Verwaltung in
den allgemeinen Theil der Volkswirthſchaftspflege fällt,
und der beſondere Theil eben nur aus denjenigen beſonderen und ein-
zelnen Beſtimmungen und Thätigkeiten der Verwaltung beſteht, welche
durch die beſondere Natur der einzelnen Wirthſchaftsart gefordert
werden. Die freie Wirthſchaft fordert demnach vor allem die tüchtige
Verwaltung des Communikations- und des Creditweſens; das Uebrige
— die beſondere Volkswirthſchaftspflege — hat von da an nur einen
ſuppletoriſchen Charakter.
2) Aber freilich hat die volle Gültigkeit dieſes Standpunkts Eine
große Vorausſetzung. Das iſt, daß eben die einzelnen Wirthſchaften
frei ſeien. Und nun hat der Gang der hiſtoriſchen Entwicklung es
mit ſich gebracht, daß alle Arten der Einzelwirthſchaft, von der Ge-
ſchlechter- und Ständeordnung beherrſcht, erſt durch einen Jahrhunderte
dauernden Kampf wirklich zu freien Unternehmungen geworden ſind.
In der That verwirklicht ſich eigentlich erſt mit dieſer Freiheit der
Einzelwirthſchaft die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft unſeres Jahrhunderts.
Die werdende Geſchichte ihres öffentlichen Rechts iſt auf allen Punkten
zuerſt die Geſchichte der freien Geſellſchaftsordnung und damit der für
ſie geltenden freien Verwaltung. Bis das geſchehen iſt, kann weder
eine hinreichende Lehre von der wirthſchaftlichen Technik, noch ein
rechter Werth der beſonderen, auf die Eigenthümlichkeit der Wirth-
ſchaftsarten berechneten Verwaltungsmaßregeln entſtehen, ſo klar auch
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/352>, abgerufen am 22.11.2024.
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