Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.erhalten, und wird sie erhalten. Es muß daher als Grundsatz ange- Obgleich die deutschen Gewerbeordnungen sich nicht klar darüber aussprechen, II. Die Gewerbegerichte. Die historische Grundlage derselben In England stand die Jurisdiktion über Streitigkeiten zwischen Meister erhalten, und wird ſie erhalten. Es muß daher als Grundſatz ange- Obgleich die deutſchen Gewerbeordnungen ſich nicht klar darüber ausſprechen, II. Die Gewerbegerichte. Die hiſtoriſche Grundlage derſelben In England ſtand die Jurisdiktion über Streitigkeiten zwiſchen Meiſter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0372" n="348"/> erhalten, und <hi rendition="#g">wird</hi> ſie erhalten. Es muß daher als Grundſatz ange-<lb/> nommen werden, daß für alle Verhältniſſe des „Hülfsperſonals“ zu-<lb/> nächſt der eingegangene <hi rendition="#g">Vertrag</hi> gilt, wenn ein ſolcher nachgewieſen<lb/> werden kann; wo aber kein ſolcher beſteht, muß <hi rendition="#g">das Recht der Ge-<lb/> werbeordnungen als ſubſidiäres Recht gelten</hi>. Das iſt der<lb/> Standpunkt, von dem aus die Bedeutung dieſes Theiles der beſtehen-<lb/> den Gewerbeordnungen zu betrachten iſt.</p><lb/> <p>Obgleich die deutſchen Gewerbeordnungen ſich nicht klar darüber ausſprechen,<lb/> iſt doch wohl über dieſen Satz kein Zweifel aus ihrem Inhalt herzuleiten. Am<lb/> klarſten iſt derſelbe anerkannt in dem <hi rendition="#g">Lehrlingsgeſetz</hi> von Frankreich<lb/> (22. Febr. 1851; vergl. <hi rendition="#g">Block</hi>, <hi rendition="#aq">Dict. v. Apprentissage;</hi> <hi rendition="#g">Kleinſchrod</hi> a. a. O.<lb/> 95; <hi rendition="#g">Rau</hi> §. 199).</p><lb/> <p><hi rendition="#aq">II.</hi> Die <hi rendition="#g">Gewerbegerichte</hi>. Die hiſtoriſche Grundlage derſelben<lb/> iſt ohne Zweifel das Recht der Selbſtverwaltung der alten Körper-<lb/> ſchaften in Zunft und Innung. Das neue Princip der Gewerbefreiheit<lb/> hat dieſelben jedoch zum Theil aufgenommen auf Grundlage des Ge-<lb/> dankens, daß die Verhältniſſe zwiſchen Meiſter, Geſellen und Lehrling<lb/> noch immer einen beſonderen Inhalt haben, und daß andererſeits ein<lb/> eigentliches Gerichtsverfahren dafür nicht geeignet ſei. <hi rendition="#g">England</hi> hat<lb/> in dieſer Beziehung jedoch dem Friedensrichter noch ſeine alte Gewalt<lb/> gelaſſen; <hi rendition="#g">Frankreich</hi>, das die Gewerbe mit der Induſtrie im Grunde<lb/> mehr principiell als wirklich ſcheidet, hat das <hi rendition="#aq">Conseil des Prudhommes</hi><lb/> vielmehr als ein Arbeitergericht hergeſtellt; nur in <hi rendition="#g">Deutſchland</hi> hat<lb/> man die eigentlichen, übrigens wohl für das Lehrlingsweſen kaum ſehr<lb/> praktiſchen Gewerbegerichte beibehalten, reſpektive neu eingeführt.</p><lb/> <p>In England ſtand die Jurisdiktion über Streitigkeiten zwiſchen Meiſter<lb/> und Lehrlingen ſchon ſeit 5. <hi rendition="#aq">Eliz.</hi> 4. den Friedensrichtern zu; 20. <hi rendition="#aq">Georg. II.</hi> 19;<lb/> ausgedehnt auf Strafrecht, bei Gericht von zwei Friedensrichtern. Das <hi rendition="#g">Zwangs-</hi><lb/> lehrlingsweſen als Theil der Armenkinderpflege gleichfalls ſchon durch 43. <hi rendition="#aq">Eliz.</hi> 2.<lb/> eingeführt und durch 56. <hi rendition="#aq">Georg. III.</hi> 139. für die Kirchſpiele organiſirt; nach<lb/> 7. 8. <hi rendition="#aq">Vict.</hi> 101. ſtehen dieſe Lehrlingscontrakte unter den <hi rendition="#aq">guardians of the<lb/> poor;</hi> ſ. <hi rendition="#g">Gneiſt</hi>, Engl. Verwaltungsrecht <hi rendition="#aq">II.</hi> §. 47. — Die <hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">Prudhommes</hi></hi><lb/> Frankreichs unterſcheidet ſich weſentlich davon, theils durch die Zuſammenſetzung<lb/> (Wahl und Bildung aus Miniſtern, Arbeitgebern und Arbeitern) theils durch<lb/> ihre Competenz (neben <hi rendition="#aq">louage d’ouvrage</hi> auch <hi rendition="#aq">propriété industrielle</hi>). Erſte<lb/> Bildung 1806; neue Organiſation ſeit 1850 (Geſetz vom 1. Juni 1853; mehrere<lb/> Geſetze über einzelne Fragen; Literatur bei <hi rendition="#g">Block</hi>, <hi rendition="#aq">Dict. v. Prudhomme;</hi><lb/><hi rendition="#g">Meißner</hi>, Fabrikgerichte). — Die <hi rendition="#g">öſterreichiſche</hi> Geſetzgebung hat den<lb/> bereits in der Gewerbeordnung von 1859 liegenden Grundſatz zu einem eigenen<lb/> Syſtem im Geſetz vom 14. Mai 1869 entwickelt; Competenz: Streit zwiſchen<lb/> Herren und Arbeitern; Organiſation: Wahl von beiden Seiten; Recht: In-<lb/> appellabel bis 30 fl. Grundlage des Verfahrens: Vergleichsverſuch. — <hi rendition="#g">Preußens</hi><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [348/0372]
erhalten, und wird ſie erhalten. Es muß daher als Grundſatz ange-
nommen werden, daß für alle Verhältniſſe des „Hülfsperſonals“ zu-
nächſt der eingegangene Vertrag gilt, wenn ein ſolcher nachgewieſen
werden kann; wo aber kein ſolcher beſteht, muß das Recht der Ge-
werbeordnungen als ſubſidiäres Recht gelten. Das iſt der
Standpunkt, von dem aus die Bedeutung dieſes Theiles der beſtehen-
den Gewerbeordnungen zu betrachten iſt.
Obgleich die deutſchen Gewerbeordnungen ſich nicht klar darüber ausſprechen,
iſt doch wohl über dieſen Satz kein Zweifel aus ihrem Inhalt herzuleiten. Am
klarſten iſt derſelbe anerkannt in dem Lehrlingsgeſetz von Frankreich
(22. Febr. 1851; vergl. Block, Dict. v. Apprentissage; Kleinſchrod a. a. O.
95; Rau §. 199).
II. Die Gewerbegerichte. Die hiſtoriſche Grundlage derſelben
iſt ohne Zweifel das Recht der Selbſtverwaltung der alten Körper-
ſchaften in Zunft und Innung. Das neue Princip der Gewerbefreiheit
hat dieſelben jedoch zum Theil aufgenommen auf Grundlage des Ge-
dankens, daß die Verhältniſſe zwiſchen Meiſter, Geſellen und Lehrling
noch immer einen beſonderen Inhalt haben, und daß andererſeits ein
eigentliches Gerichtsverfahren dafür nicht geeignet ſei. England hat
in dieſer Beziehung jedoch dem Friedensrichter noch ſeine alte Gewalt
gelaſſen; Frankreich, das die Gewerbe mit der Induſtrie im Grunde
mehr principiell als wirklich ſcheidet, hat das Conseil des Prudhommes
vielmehr als ein Arbeitergericht hergeſtellt; nur in Deutſchland hat
man die eigentlichen, übrigens wohl für das Lehrlingsweſen kaum ſehr
praktiſchen Gewerbegerichte beibehalten, reſpektive neu eingeführt.
In England ſtand die Jurisdiktion über Streitigkeiten zwiſchen Meiſter
und Lehrlingen ſchon ſeit 5. Eliz. 4. den Friedensrichtern zu; 20. Georg. II. 19;
ausgedehnt auf Strafrecht, bei Gericht von zwei Friedensrichtern. Das Zwangs-
lehrlingsweſen als Theil der Armenkinderpflege gleichfalls ſchon durch 43. Eliz. 2.
eingeführt und durch 56. Georg. III. 139. für die Kirchſpiele organiſirt; nach
7. 8. Vict. 101. ſtehen dieſe Lehrlingscontrakte unter den guardians of the
poor; ſ. Gneiſt, Engl. Verwaltungsrecht II. §. 47. — Die Prudhommes
Frankreichs unterſcheidet ſich weſentlich davon, theils durch die Zuſammenſetzung
(Wahl und Bildung aus Miniſtern, Arbeitgebern und Arbeitern) theils durch
ihre Competenz (neben louage d’ouvrage auch propriété industrielle). Erſte
Bildung 1806; neue Organiſation ſeit 1850 (Geſetz vom 1. Juni 1853; mehrere
Geſetze über einzelne Fragen; Literatur bei Block, Dict. v. Prudhomme;
Meißner, Fabrikgerichte). — Die öſterreichiſche Geſetzgebung hat den
bereits in der Gewerbeordnung von 1859 liegenden Grundſatz zu einem eigenen
Syſtem im Geſetz vom 14. Mai 1869 entwickelt; Competenz: Streit zwiſchen
Herren und Arbeitern; Organiſation: Wahl von beiden Seiten; Recht: In-
appellabel bis 30 fl. Grundlage des Verfahrens: Vergleichsverſuch. — Preußens
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