Wenn schon bei dem Gewerbe der leitende Gedanke für die Thätig- keit der Verwaltung und die öffentliche Rechtsbildung die Selbstthätig- keit der kleinen Unternehmungen sein muß, so ist dieß natürlich bei der Industrie, in der jede Unternehmung zugleich ihr eigenes Capital besitzt, in noch höherem Grade der Fall. Die Industrie soll sich nicht bloß im Allgemeinen selber helfen, und die Hülfe von Seiten der Regierung soll nur eine ausnahmsweise sein, sondern sie soll sogar, so weit sie vermag, ihre eigene Organisation und ihr eigenes Recht bilden. Die größte Bedeutung der Industrie liegt für das Verwaltungsrecht deßhalb eben darin, daß sie das mächtigste Gebiet der freien Verwal- tung ist. In diesem Punkte beruht ihr wichtigster Einfluß auf das Gesammtleben des öffentlichen Rechts; sie ist es in der That, welche man als die Erzieherin der wirthschaftlichen Selbständigkeit in jedem Volke anzusehen hat. Und daraus folgt nun, daß sie zugleich das- jenige Organ am stärksten entwickelt, das wir als die Basis der freien Verwaltung ansehen müssen, das wirthschaftliche Vereinswesen, an welches sich hier das gesellschaftliche anschließt. Dieses Princip durchdringt das ganze Gebiet des Industriewesens und gibt ihm seine Selbständigkeit; man kann sagen, daß während alle andern Theile uns zeigen, was die Regierung zu thun hat, die Industrie uns zeigt, was ohne sie geschehen kann und geschehen soll. Im Industriewesen hat die Thätigkeit der Regierung einen streng suppletorischen Cha- rakter; und das im Einzelnen nachzuweisen, ist die Sache des Systems des Industriewesens.
Von diesem Standpunkt aus muß namentlich die Wirkung Adam Smiths auf dem Continent betrachtet werden. Adam Smith ist es, der die alte Tra- dition von der Nothwendigkeit einer direkten Unterstützung der Industrie durch die Regierungen, wie sie das Merkantilsystem groß gezogen, zuerst geradezu und unbedingt verneint: sein Wort, es sei eine "impertinence and presump- tion to watch over the industry of private people" ist das Schlagwort ge- worden, das den Continent zunächst von der Bevormundung im Gebiete der Volkswirthschaft befreit, und die Gesetze der Nationalökonomie an die Stelle der Verordnungen der Behörden gesetzt hat. In ihm liegt ein unmeßbarer Fortschritt, und dieser Gedanke von Adam Smith ist der erste und eigent- liche Inhalt der Idee des Freihandels, von dem die Zollfrage nur eine specielle Anwendung ist. Aber auch diese Idee hatte noch so lange keinen Körper, als ihr das Vereinswesen fehlte; denn nicht darauf kam es an, daß überhaupt nichts für die Industrie geschehe, sondern darauf, daß das Noth- wendige durch das freie Element des Vereins geschehe. Und so stehen wir erst mit dem letzteren vor der zweiten und größeren Epoche der freien wirthschaftlichen Entwicklung der Industrie.
Syſtem des Induſtrieweſens.
Wenn ſchon bei dem Gewerbe der leitende Gedanke für die Thätig- keit der Verwaltung und die öffentliche Rechtsbildung die Selbſtthätig- keit der kleinen Unternehmungen ſein muß, ſo iſt dieß natürlich bei der Induſtrie, in der jede Unternehmung zugleich ihr eigenes Capital beſitzt, in noch höherem Grade der Fall. Die Induſtrie ſoll ſich nicht bloß im Allgemeinen ſelber helfen, und die Hülfe von Seiten der Regierung ſoll nur eine ausnahmsweiſe ſein, ſondern ſie ſoll ſogar, ſo weit ſie vermag, ihre eigene Organiſation und ihr eigenes Recht bilden. Die größte Bedeutung der Induſtrie liegt für das Verwaltungsrecht deßhalb eben darin, daß ſie das mächtigſte Gebiet der freien Verwal- tung iſt. In dieſem Punkte beruht ihr wichtigſter Einfluß auf das Geſammtleben des öffentlichen Rechts; ſie iſt es in der That, welche man als die Erzieherin der wirthſchaftlichen Selbſtändigkeit in jedem Volke anzuſehen hat. Und daraus folgt nun, daß ſie zugleich das- jenige Organ am ſtärkſten entwickelt, das wir als die Baſis der freien Verwaltung anſehen müſſen, das wirthſchaftliche Vereinsweſen, an welches ſich hier das geſellſchaftliche anſchließt. Dieſes Princip durchdringt das ganze Gebiet des Induſtrieweſens und gibt ihm ſeine Selbſtändigkeit; man kann ſagen, daß während alle andern Theile uns zeigen, was die Regierung zu thun hat, die Induſtrie uns zeigt, was ohne ſie geſchehen kann und geſchehen ſoll. Im Induſtrieweſen hat die Thätigkeit der Regierung einen ſtreng ſuppletoriſchen Cha- rakter; und das im Einzelnen nachzuweiſen, iſt die Sache des Syſtems des Induſtrieweſens.
Von dieſem Standpunkt aus muß namentlich die Wirkung Adam Smiths auf dem Continent betrachtet werden. Adam Smith iſt es, der die alte Tra- dition von der Nothwendigkeit einer direkten Unterſtützung der Induſtrie durch die Regierungen, wie ſie das Merkantilſyſtem groß gezogen, zuerſt geradezu und unbedingt verneint: ſein Wort, es ſei eine „impertinence and presump- tion to watch over the industry of private people“ iſt das Schlagwort ge- worden, das den Continent zunächſt von der Bevormundung im Gebiete der Volkswirthſchaft befreit, und die Geſetze der Nationalökonomie an die Stelle der Verordnungen der Behörden geſetzt hat. In ihm liegt ein unmeßbarer Fortſchritt, und dieſer Gedanke von Adam Smith iſt der erſte und eigent- liche Inhalt der Idee des Freihandels, von dem die Zollfrage nur eine ſpecielle Anwendung iſt. Aber auch dieſe Idee hatte noch ſo lange keinen Körper, als ihr das Vereinsweſen fehlte; denn nicht darauf kam es an, daß überhaupt nichts für die Induſtrie geſchehe, ſondern darauf, daß das Noth- wendige durch das freie Element des Vereins geſchehe. Und ſo ſtehen wir erſt mit dem letzteren vor der zweiten und größeren Epoche der freien wirthſchaftlichen Entwicklung der Induſtrie.
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Syſtem des Induſtrieweſens.
Wenn ſchon bei dem Gewerbe der leitende Gedanke für die Thätig-
keit der Verwaltung und die öffentliche Rechtsbildung die Selbſtthätig-
keit der kleinen Unternehmungen ſein muß, ſo iſt dieß natürlich bei der
Induſtrie, in der jede Unternehmung zugleich ihr eigenes Capital beſitzt,
in noch höherem Grade der Fall. Die Induſtrie ſoll ſich nicht bloß im
Allgemeinen ſelber helfen, und die Hülfe von Seiten der Regierung
ſoll nur eine ausnahmsweiſe ſein, ſondern ſie ſoll ſogar, ſo weit ſie
vermag, ihre eigene Organiſation und ihr eigenes Recht bilden. Die
größte Bedeutung der Induſtrie liegt für das Verwaltungsrecht deßhalb
eben darin, daß ſie das mächtigſte Gebiet der freien Verwal-
tung iſt. In dieſem Punkte beruht ihr wichtigſter Einfluß auf das
Geſammtleben des öffentlichen Rechts; ſie iſt es in der That, welche
man als die Erzieherin der wirthſchaftlichen Selbſtändigkeit in jedem
Volke anzuſehen hat. Und daraus folgt nun, daß ſie zugleich das-
jenige Organ am ſtärkſten entwickelt, das wir als die Baſis der freien
Verwaltung anſehen müſſen, das wirthſchaftliche Vereinsweſen, an
welches ſich hier das geſellſchaftliche anſchließt. Dieſes Princip
durchdringt das ganze Gebiet des Induſtrieweſens und gibt ihm ſeine
Selbſtändigkeit; man kann ſagen, daß während alle andern Theile uns
zeigen, was die Regierung zu thun hat, die Induſtrie uns zeigt, was
ohne ſie geſchehen kann und geſchehen ſoll. Im Induſtrieweſen hat
die Thätigkeit der Regierung einen ſtreng ſuppletoriſchen Cha-
rakter; und das im Einzelnen nachzuweiſen, iſt die Sache des Syſtems
des Induſtrieweſens.
Von dieſem Standpunkt aus muß namentlich die Wirkung Adam Smiths
auf dem Continent betrachtet werden. Adam Smith iſt es, der die alte Tra-
dition von der Nothwendigkeit einer direkten Unterſtützung der Induſtrie durch
die Regierungen, wie ſie das Merkantilſyſtem groß gezogen, zuerſt geradezu
und unbedingt verneint: ſein Wort, es ſei eine „impertinence and presump-
tion to watch over the industry of private people“ iſt das Schlagwort ge-
worden, das den Continent zunächſt von der Bevormundung im Gebiete der
Volkswirthſchaft befreit, und die Geſetze der Nationalökonomie an die Stelle
der Verordnungen der Behörden geſetzt hat. In ihm liegt ein unmeßbarer
Fortſchritt, und dieſer Gedanke von Adam Smith iſt der erſte und eigent-
liche Inhalt der Idee des Freihandels, von dem die Zollfrage nur
eine ſpecielle Anwendung iſt. Aber auch dieſe Idee hatte noch ſo lange keinen
Körper, als ihr das Vereinsweſen fehlte; denn nicht darauf kam es an, daß
überhaupt nichts für die Induſtrie geſchehe, ſondern darauf, daß das Noth-
wendige durch das freie Element des Vereins geſchehe. Und ſo ſtehen
wir erſt mit dem letzteren vor der zweiten und größeren Epoche der freien
wirthſchaftlichen Entwicklung der Induſtrie.
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/378>, abgerufen am 22.11.2024.
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