Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

des Staatsoberhaupts ein willkürlicher, so reden wir vom Despotis-
mus
; ist seine Absicht eine auf die Entwicklung des Volks gerichtete,
so entsteht der aufgeklärte Despotismus will er nur die Herrschaft
als solche, so entsteht die Tyrannis; nie aber ist dieser Zustand ein
freier. Seine Heimath ist der Orient. Durch ihn gehen mit der Frei-
heit der Einzelnen die Völker und Staaten als Ganzes zu Grunde.

Den Gegensatz dazu bildet dasjenige staatliche Princip, nach wel-
chem wieder die vollziehende Gewalt unselbständig ist, und die Gesetz-
gebung, durch die Gesammtheit des Volkes gebildet, selbst die Voll-
ziehung übernimmt. Hier wird jedes Gesetz zugleich Verordnung.
Die Folge ist, daß die Vollziehung zu nichts berechtigt ist, als was
das Gesetz ausdrücklich vorgeschrieben hat, und daß daher zwar die
Freiheit gewahrt ist, aber die Entwicklung des wirklichen Lebens still
steht. Die weitere Folge aber besteht dann in der Herrschaft der In-
teressen über die Gesetzgebung; es entsteht die Verwaltung der
Majorität der Interessen
und damit die Hemmung der freien
gesellschaftlichen Bewegung. Diesen Zustand nennen wir die Republik;
die Herrschaft der Mächtigen über die Unmächtigen im Namen ihrer
Interessen die Classenherrschaft; der Kampf der unterworfenen
Classe gegen die herrschende ist der Bürgerkrieg; die Folge ist die Auf-
lösung der Freiheit durch denselben. Ihr Typus ist die alte Welt der
Griechen und Römer; durch sie ist der Begriff und das Recht des Ge-
setzes entstanden, aber das der freien Vollziehung untergegangen; auch
sie vermag nicht, ein Verwaltungsrecht zu bilden.

Erst die germanische Welt scheidet nun fest und bestimmt im
Princip, wenn auch langsam und unter den härtesten Kämpfen, die
Gesetzgebung von der Vollziehung. Sie trägt das Princip der Bildung
des Staatslebens durch die organisirte Gesammtheit der Staatsbürger
von Anfang an in sich; aber sie stellt das der selbständigen Staats-
gewalt im Königthum daneben hin. So liegt in ihr von Anfang
an der Keim des Begriffes vom Gesetz als Wille des Volkes im
Unterschiede vom Begriff der Verordnung als Wille des Königs.
Jahrhunderte hindurch vermag nun auch diese Welt wieder in ihrem
Königthum den Begriff und das Recht des Staatsoberhaupts von dem
der auch ihm gegenüber selbständigen Gewalt nicht zu scheiden; der
öffentlich rechtliche Charakter der Geschlechter- und der Ständeordnung
ist eben diese Vermischung des Staatsoberhaupts und seiner Vollziehung;
und diese Vermengung hat zur Folge, daß das Princip der Unverant-
wortlichkeit, das im unabweisbaren Wesen des Staatsoberhaupts liegt,
die Bildung eines eigentlichen, freien Verwaltungsrechts und die Klärung
über das Verhältniß zwischen Gesetz und Verordnung nicht zuläßt. Erst

Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. 2

des Staatsoberhaupts ein willkürlicher, ſo reden wir vom Deſpotis-
mus
; iſt ſeine Abſicht eine auf die Entwicklung des Volks gerichtete,
ſo entſteht der aufgeklärte Deſpotismus will er nur die Herrſchaft
als ſolche, ſo entſteht die Tyrannis; nie aber iſt dieſer Zuſtand ein
freier. Seine Heimath iſt der Orient. Durch ihn gehen mit der Frei-
heit der Einzelnen die Völker und Staaten als Ganzes zu Grunde.

Den Gegenſatz dazu bildet dasjenige ſtaatliche Princip, nach wel-
chem wieder die vollziehende Gewalt unſelbſtändig iſt, und die Geſetz-
gebung, durch die Geſammtheit des Volkes gebildet, ſelbſt die Voll-
ziehung übernimmt. Hier wird jedes Geſetz zugleich Verordnung.
Die Folge iſt, daß die Vollziehung zu nichts berechtigt iſt, als was
das Geſetz ausdrücklich vorgeſchrieben hat, und daß daher zwar die
Freiheit gewahrt iſt, aber die Entwicklung des wirklichen Lebens ſtill
ſteht. Die weitere Folge aber beſteht dann in der Herrſchaft der In-
tereſſen über die Geſetzgebung; es entſteht die Verwaltung der
Majorität der Intereſſen
und damit die Hemmung der freien
geſellſchaftlichen Bewegung. Dieſen Zuſtand nennen wir die Republik;
die Herrſchaft der Mächtigen über die Unmächtigen im Namen ihrer
Intereſſen die Claſſenherrſchaft; der Kampf der unterworfenen
Claſſe gegen die herrſchende iſt der Bürgerkrieg; die Folge iſt die Auf-
löſung der Freiheit durch denſelben. Ihr Typus iſt die alte Welt der
Griechen und Römer; durch ſie iſt der Begriff und das Recht des Ge-
ſetzes entſtanden, aber das der freien Vollziehung untergegangen; auch
ſie vermag nicht, ein Verwaltungsrecht zu bilden.

Erſt die germaniſche Welt ſcheidet nun feſt und beſtimmt im
Princip, wenn auch langſam und unter den härteſten Kämpfen, die
Geſetzgebung von der Vollziehung. Sie trägt das Princip der Bildung
des Staatslebens durch die organiſirte Geſammtheit der Staatsbürger
von Anfang an in ſich; aber ſie ſtellt das der ſelbſtändigen Staats-
gewalt im Königthum daneben hin. So liegt in ihr von Anfang
an der Keim des Begriffes vom Geſetz als Wille des Volkes im
Unterſchiede vom Begriff der Verordnung als Wille des Königs.
Jahrhunderte hindurch vermag nun auch dieſe Welt wieder in ihrem
Königthum den Begriff und das Recht des Staatsoberhaupts von dem
der auch ihm gegenüber ſelbſtändigen Gewalt nicht zu ſcheiden; der
öffentlich rechtliche Charakter der Geſchlechter- und der Ständeordnung
iſt eben dieſe Vermiſchung des Staatsoberhaupts und ſeiner Vollziehung;
und dieſe Vermengung hat zur Folge, daß das Princip der Unverant-
wortlichkeit, das im unabweisbaren Weſen des Staatsoberhaupts liegt,
die Bildung eines eigentlichen, freien Verwaltungsrechts und die Klärung
über das Verhältniß zwiſchen Geſetz und Verordnung nicht zuläßt. Erſt

Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0041" n="17"/>
des Staatsoberhaupts ein willkürlicher, &#x017F;o reden wir vom <hi rendition="#g">De&#x017F;potis-<lb/>
mus</hi>; i&#x017F;t &#x017F;eine Ab&#x017F;icht eine auf die Entwicklung des Volks gerichtete,<lb/>
&#x017F;o ent&#x017F;teht der <hi rendition="#g">aufgeklärte</hi> De&#x017F;potismus will er nur die Herr&#x017F;chaft<lb/>
als &#x017F;olche, &#x017F;o ent&#x017F;teht die <hi rendition="#g">Tyrannis</hi>; nie aber i&#x017F;t die&#x017F;er Zu&#x017F;tand ein<lb/>
freier. Seine Heimath i&#x017F;t der Orient. Durch ihn gehen mit der Frei-<lb/>
heit der Einzelnen die Völker und Staaten als Ganzes zu Grunde.</p><lb/>
              <p>Den Gegen&#x017F;atz dazu bildet dasjenige &#x017F;taatliche Princip, nach wel-<lb/>
chem wieder die vollziehende Gewalt un&#x017F;elb&#x017F;tändig i&#x017F;t, und die Ge&#x017F;etz-<lb/>
gebung, durch die Ge&#x017F;ammtheit des Volkes gebildet, &#x017F;elb&#x017F;t die Voll-<lb/>
ziehung übernimmt. Hier wird jedes <hi rendition="#g">Ge&#x017F;etz zugleich Verordnung</hi>.<lb/>
Die Folge i&#x017F;t, daß die Vollziehung zu nichts berechtigt i&#x017F;t, als was<lb/>
das Ge&#x017F;etz ausdrücklich vorge&#x017F;chrieben hat, und daß daher zwar die<lb/>
Freiheit gewahrt i&#x017F;t, aber die Entwicklung des wirklichen Lebens &#x017F;till<lb/>
&#x017F;teht. Die weitere Folge aber be&#x017F;teht dann in der Herr&#x017F;chaft der In-<lb/>
tere&#x017F;&#x017F;en über die Ge&#x017F;etzgebung; es ent&#x017F;teht die <hi rendition="#g">Verwaltung der<lb/>
Majorität der Intere&#x017F;&#x017F;en</hi> und damit die Hemmung der freien<lb/>
ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Bewegung. Die&#x017F;en Zu&#x017F;tand nennen wir die <hi rendition="#g">Republik</hi>;<lb/>
die Herr&#x017F;chaft der Mächtigen über die Unmächtigen im Namen ihrer<lb/>
Intere&#x017F;&#x017F;en die <hi rendition="#g">Cla&#x017F;&#x017F;enherr&#x017F;chaft</hi>; der Kampf der unterworfenen<lb/>
Cla&#x017F;&#x017F;e gegen die herr&#x017F;chende i&#x017F;t der Bürgerkrieg; die Folge i&#x017F;t die Auf-<lb/>&#x017F;ung der Freiheit durch den&#x017F;elben. Ihr Typus i&#x017F;t die alte Welt der<lb/>
Griechen und Römer; durch &#x017F;ie i&#x017F;t der Begriff und das Recht des Ge-<lb/>
&#x017F;etzes ent&#x017F;tanden, aber das der freien Vollziehung untergegangen; auch<lb/>
&#x017F;ie vermag nicht, ein Verwaltungsrecht zu bilden.</p><lb/>
              <p>Er&#x017F;t die germani&#x017F;che Welt <hi rendition="#g">&#x017F;cheidet</hi> nun fe&#x017F;t und be&#x017F;timmt im<lb/>
Princip, wenn auch lang&#x017F;am und unter den härte&#x017F;ten Kämpfen, die<lb/>
Ge&#x017F;etzgebung von der Vollziehung. Sie trägt das Princip der Bildung<lb/>
des Staatslebens durch die organi&#x017F;irte Ge&#x017F;ammtheit der Staatsbürger<lb/>
von Anfang an in &#x017F;ich; aber &#x017F;ie &#x017F;tellt das der &#x017F;elb&#x017F;tändigen Staats-<lb/>
gewalt im Königthum <hi rendition="#g">daneben</hi> hin. So liegt in ihr von Anfang<lb/>
an der Keim des Begriffes vom <hi rendition="#g">Ge&#x017F;etz</hi> als Wille des Volkes im<lb/>
Unter&#x017F;chiede vom Begriff der <hi rendition="#g">Verordnung</hi> als Wille des Königs.<lb/>
Jahrhunderte hindurch vermag nun auch die&#x017F;e Welt wieder in ihrem<lb/>
Königthum den Begriff und das Recht des Staatsoberhaupts von dem<lb/>
der auch ihm gegenüber &#x017F;elb&#x017F;tändigen Gewalt nicht zu &#x017F;cheiden; der<lb/>
öffentlich rechtliche Charakter der Ge&#x017F;chlechter- und der Ständeordnung<lb/>
i&#x017F;t eben die&#x017F;e Vermi&#x017F;chung des Staatsoberhaupts und &#x017F;einer Vollziehung;<lb/>
und die&#x017F;e Vermengung hat zur Folge, daß das Princip der Unverant-<lb/>
wortlichkeit, das im unabweisbaren We&#x017F;en des Staatsoberhaupts liegt,<lb/>
die Bildung eines eigentlichen, freien Verwaltungsrechts und die Klärung<lb/>
über das Verhältniß zwi&#x017F;chen Ge&#x017F;etz und Verordnung nicht zuläßt. Er&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Stein</hi>, Handbuch der Verwaltungslehre. 2</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0041] des Staatsoberhaupts ein willkürlicher, ſo reden wir vom Deſpotis- mus; iſt ſeine Abſicht eine auf die Entwicklung des Volks gerichtete, ſo entſteht der aufgeklärte Deſpotismus will er nur die Herrſchaft als ſolche, ſo entſteht die Tyrannis; nie aber iſt dieſer Zuſtand ein freier. Seine Heimath iſt der Orient. Durch ihn gehen mit der Frei- heit der Einzelnen die Völker und Staaten als Ganzes zu Grunde. Den Gegenſatz dazu bildet dasjenige ſtaatliche Princip, nach wel- chem wieder die vollziehende Gewalt unſelbſtändig iſt, und die Geſetz- gebung, durch die Geſammtheit des Volkes gebildet, ſelbſt die Voll- ziehung übernimmt. Hier wird jedes Geſetz zugleich Verordnung. Die Folge iſt, daß die Vollziehung zu nichts berechtigt iſt, als was das Geſetz ausdrücklich vorgeſchrieben hat, und daß daher zwar die Freiheit gewahrt iſt, aber die Entwicklung des wirklichen Lebens ſtill ſteht. Die weitere Folge aber beſteht dann in der Herrſchaft der In- tereſſen über die Geſetzgebung; es entſteht die Verwaltung der Majorität der Intereſſen und damit die Hemmung der freien geſellſchaftlichen Bewegung. Dieſen Zuſtand nennen wir die Republik; die Herrſchaft der Mächtigen über die Unmächtigen im Namen ihrer Intereſſen die Claſſenherrſchaft; der Kampf der unterworfenen Claſſe gegen die herrſchende iſt der Bürgerkrieg; die Folge iſt die Auf- löſung der Freiheit durch denſelben. Ihr Typus iſt die alte Welt der Griechen und Römer; durch ſie iſt der Begriff und das Recht des Ge- ſetzes entſtanden, aber das der freien Vollziehung untergegangen; auch ſie vermag nicht, ein Verwaltungsrecht zu bilden. Erſt die germaniſche Welt ſcheidet nun feſt und beſtimmt im Princip, wenn auch langſam und unter den härteſten Kämpfen, die Geſetzgebung von der Vollziehung. Sie trägt das Princip der Bildung des Staatslebens durch die organiſirte Geſammtheit der Staatsbürger von Anfang an in ſich; aber ſie ſtellt das der ſelbſtändigen Staats- gewalt im Königthum daneben hin. So liegt in ihr von Anfang an der Keim des Begriffes vom Geſetz als Wille des Volkes im Unterſchiede vom Begriff der Verordnung als Wille des Königs. Jahrhunderte hindurch vermag nun auch dieſe Welt wieder in ihrem Königthum den Begriff und das Recht des Staatsoberhaupts von dem der auch ihm gegenüber ſelbſtändigen Gewalt nicht zu ſcheiden; der öffentlich rechtliche Charakter der Geſchlechter- und der Ständeordnung iſt eben dieſe Vermiſchung des Staatsoberhaupts und ſeiner Vollziehung; und dieſe Vermengung hat zur Folge, daß das Princip der Unverant- wortlichkeit, das im unabweisbaren Weſen des Staatsoberhaupts liegt, die Bildung eines eigentlichen, freien Verwaltungsrechts und die Klärung über das Verhältniß zwiſchen Geſetz und Verordnung nicht zuläßt. Erſt Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/41
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/41>, abgerufen am 23.11.2024.