Die Armenkrankenpflege ist nun das für die Krankheiten der Hausarmen organisirte Heilwesen. Dasselbe beruht bisher auf zwei Punkten: zuerst der unentgeldlichen Benützung der Apotheken, dann die Herstellung eigener Armenärzte. Die Nothwendigkeit dieser In- stitution kann nicht, wie in England und Frankreich, wo beides fehlt, ersetzt werden durch die Hospitäler. Aber eben so wenig genügt wie in Deutschland, das bloße Heilwesen durch die Armenärzte der Ge- meinde, um so weniger, als dieselben doch nur in den großen Städten eingerichtet werden. Die höhere, künftige Aufgabe der Armenärzte ist die Vertretung der Forderungen der Gesundheitspflege im Kreise der Armuth, namentlich in Beziehung auf Wohnungen und Arbeitslokale. Was sie hier zu thun haben, zeigt die Lehre vom Sanitätswesen. Wir sind von einer solchen Thätigkeit noch weit ent- fernt; vielleicht daß die Erkenntniß, daß in der Hälfte aller Fälle der Gesunde durch den Kranken und der Wohlhabende durch den Armen krank wird, der Gesundheitspflege des Armenwesens ihre rechte Ent- wicklung geben wird.
Das System der Armenkrankenpflege im obigen Sinne ist noch wenig be- handelt, und hat allerdings eine durchgreifende Anerkennung des Gesundheits- wesens als Theil der Verwaltungslehre zur Voraussetzung (s. Stein, Gesund- heitswesen S. 122 ff.).
3) Die eigentliche Armenunterstützung.
Die eigentliche Armenunterstützung umfaßt nun die Ge- sammtheit an Unterstützungen, die den erwachsenen Armen in ihrer Nothlage gegeben werden. Ihr Gebiet ist jetzt ein fest bestimmtes; aber gerade in ihm zeigen sich am deutlichsten die drei großen Stadien des Armenwesens, am deutlichsten das zufällige und unorganische Al- mosen, die Unterstützung durch kirchliche Corporationen, und endlich die organisirte Verwaltung des Unterstützungswesens, deren Basis die gesetzlich ausgesprochene Pflicht der Unterstützung durch die Gemeinde, deren System aber die Auflösung der Armuth in ihre ein- zelnen Zustände ist. Wissenschaft und Praxis haben an dem letzteren gleichmäßig gearbeitet; sein Inhalt ist ein dreifacher: die eigentliche Unterstützung, die Versorgungshäuser, wieder mit Versuchen zur Herstellung von Armenarbeit verbunden. Alle diese Thätig- keiten können vom Verein übernommen werden; allein die Selbstver- waltung ist das eigentliche Organ dafür, und kein Vereinswesen kann seine Pflicht und seine Funktion hier überflüssig machen.
b) Armenkrankenpflege.
Die Armenkrankenpflege iſt nun das für die Krankheiten der Hausarmen organiſirte Heilweſen. Daſſelbe beruht bisher auf zwei Punkten: zuerſt der unentgeldlichen Benützung der Apotheken, dann die Herſtellung eigener Armenärzte. Die Nothwendigkeit dieſer In- ſtitution kann nicht, wie in England und Frankreich, wo beides fehlt, erſetzt werden durch die Hoſpitäler. Aber eben ſo wenig genügt wie in Deutſchland, das bloße Heilweſen durch die Armenärzte der Ge- meinde, um ſo weniger, als dieſelben doch nur in den großen Städten eingerichtet werden. Die höhere, künftige Aufgabe der Armenärzte iſt die Vertretung der Forderungen der Geſundheitspflege im Kreiſe der Armuth, namentlich in Beziehung auf Wohnungen und Arbeitslokale. Was ſie hier zu thun haben, zeigt die Lehre vom Sanitätsweſen. Wir ſind von einer ſolchen Thätigkeit noch weit ent- fernt; vielleicht daß die Erkenntniß, daß in der Hälfte aller Fälle der Geſunde durch den Kranken und der Wohlhabende durch den Armen krank wird, der Geſundheitspflege des Armenweſens ihre rechte Ent- wicklung geben wird.
Das Syſtem der Armenkrankenpflege im obigen Sinne iſt noch wenig be- handelt, und hat allerdings eine durchgreifende Anerkennung des Geſundheits- weſens als Theil der Verwaltungslehre zur Vorausſetzung (ſ. Stein, Geſund- heitsweſen S. 122 ff.).
3) Die eigentliche Armenunterſtützung.
Die eigentliche Armenunterſtützung umfaßt nun die Ge- ſammtheit an Unterſtützungen, die den erwachſenen Armen in ihrer Nothlage gegeben werden. Ihr Gebiet iſt jetzt ein feſt beſtimmtes; aber gerade in ihm zeigen ſich am deutlichſten die drei großen Stadien des Armenweſens, am deutlichſten das zufällige und unorganiſche Al- moſen, die Unterſtützung durch kirchliche Corporationen, und endlich die organiſirte Verwaltung des Unterſtützungsweſens, deren Baſis die geſetzlich ausgeſprochene Pflicht der Unterſtützung durch die Gemeinde, deren Syſtem aber die Auflöſung der Armuth in ihre ein- zelnen Zuſtände iſt. Wiſſenſchaft und Praxis haben an dem letzteren gleichmäßig gearbeitet; ſein Inhalt iſt ein dreifacher: die eigentliche Unterſtützung, die Verſorgungshäuſer, wieder mit Verſuchen zur Herſtellung von Armenarbeit verbunden. Alle dieſe Thätig- keiten können vom Verein übernommen werden; allein die Selbſtver- waltung iſt das eigentliche Organ dafür, und kein Vereinsweſen kann ſeine Pflicht und ſeine Funktion hier überflüſſig machen.
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Hausarmen organiſirte Heilweſen. Daſſelbe beruht bisher auf zwei
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die Herſtellung eigener Armenärzte. Die Nothwendigkeit dieſer In-
ſtitution kann nicht, wie in England und Frankreich, wo beides fehlt,
erſetzt werden durch die Hoſpitäler. Aber eben ſo wenig genügt wie
in Deutſchland, das bloße Heilweſen durch die Armenärzte der Ge-
meinde, um ſo weniger, als dieſelben doch nur in den großen Städten
eingerichtet werden. Die höhere, künftige Aufgabe der Armenärzte
iſt die Vertretung der Forderungen der Geſundheitspflege im
Kreiſe der Armuth, namentlich in Beziehung auf Wohnungen und
Arbeitslokale. Was ſie hier zu thun haben, zeigt die Lehre vom
Sanitätsweſen. Wir ſind von einer ſolchen Thätigkeit noch weit ent-
fernt; vielleicht daß die Erkenntniß, daß in der Hälfte aller Fälle der
Geſunde durch den Kranken und der Wohlhabende durch den Armen
krank wird, der Geſundheitspflege des Armenweſens ihre rechte Ent-
wicklung geben wird.
Das Syſtem der Armenkrankenpflege im obigen Sinne iſt noch wenig be-
handelt, und hat allerdings eine durchgreifende Anerkennung des Geſundheits-
weſens als Theil der Verwaltungslehre zur Vorausſetzung (ſ. Stein, Geſund-
heitsweſen S. 122 ff.).
3) Die eigentliche Armenunterſtützung.
Die eigentliche Armenunterſtützung umfaßt nun die Ge-
ſammtheit an Unterſtützungen, die den erwachſenen Armen in ihrer
Nothlage gegeben werden. Ihr Gebiet iſt jetzt ein feſt beſtimmtes;
aber gerade in ihm zeigen ſich am deutlichſten die drei großen Stadien
des Armenweſens, am deutlichſten das zufällige und unorganiſche Al-
moſen, die Unterſtützung durch kirchliche Corporationen, und
endlich die organiſirte Verwaltung des Unterſtützungsweſens, deren
Baſis die geſetzlich ausgeſprochene Pflicht der Unterſtützung durch die
Gemeinde, deren Syſtem aber die Auflöſung der Armuth in ihre ein-
zelnen Zuſtände iſt. Wiſſenſchaft und Praxis haben an dem letzteren
gleichmäßig gearbeitet; ſein Inhalt iſt ein dreifacher: die eigentliche
Unterſtützung, die Verſorgungshäuſer, wieder mit Verſuchen
zur Herſtellung von Armenarbeit verbunden. Alle dieſe Thätig-
keiten können vom Verein übernommen werden; allein die Selbſtver-
waltung iſt das eigentliche Organ dafür, und kein Vereinsweſen kann
ſeine Pflicht und ſeine Funktion hier überflüſſig machen.
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/461>, abgerufen am 24.11.2024.
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