unzusammenhängend und zerstreuen ihre Wirkung; ja das neunzehnte Jahrhundert vermag nicht einmal die Höhe festzuhalten, die politisch in den Werken von H. Berg und juristisch in denen von Fischer schon gewonnen war. Die Codifikation ist der Idee der Verwaltung gegenüber unmächtig; es ist klar, daß das neunzehnte Jahrhundert einen andern Inhalt zur Geltung zu bringen hat. Und dieser nun ist der sociale Standpunkt der inneren Verwaltung.
Dieser sociale Standpunkt beginnt seinerseits mit der Behandlung des Armenwesens, und lange glaubte man, daß hierin das sociale Element ausschließlich liege. Allein mit der Mitte unseres Jahrhun- derts tritt an seine Stelle das Bewußtsein von dem Gegensatz der Classen, und es wird klar, daß zuletzt alle innere Verwaltung ihren Schlußpunkt in der Frage habe, was denn der Staat für diese Classenbewegung zu thun habe und thun könne? Je weiter wir kommen, je bestimmter wird es uns, daß diese Frage nicht etwa ein für sich bestehendes, in einem einzelnen Gebiete erschöpftes Gebiet enthält, sondern daß sie vielmehr die ganze innere Verwaltung durchdringt. Das ist der Standpunkt, auf dem wir stehen. Seine Voraussetzungen sind einerseits die freie Entwicklung der Selbstverwal- tung und des Vereinswesens, andererseits ein einheitliches, organisches System der inneren Verwaltung. Daß wir beider Dinge bedürfen, ist nicht mehr zu bezweifeln. Für beides arbeiten wir. Das erstere kann uns die Kraft geben, die sociale Frage zu lösen, das zweite die Kate- gorien, durch welche wir ihren Inhalt verstehen. Aber die Lösung selbst gehört der Zukunft; denn nirgends mehr als hier soll man die Gegenwart mit ihren Zweifeln, Kämpfen und selbst mit ihren Erfolgen als einen Durchgangspunkt für eine höhere, bessere Zukunft zu erkennen wissen.
Die nationale Gestalt des inneren Verwaltungsrechts und die vergleichende Rechtswissenschaft.
Ohne Zweifel nun hat diese innere Verwaltung neben ihrer all- gemeinen europäischen Entwicklung, wie wir sie so eben charakterisirt, zugleich in jedem Staat eine individuelle Gestalt, welche in vielfacher Beziehung von der jedes andern wesentlich verschieden ist und daher auch zuerst als ein selbständiges Ganze betrachtet werden muß.
Andererseits aber sind die großen Grundlagen des Lebens wieder in allen Staaten gleichartig und durch die Gemeinsamkeit der Gesittung, der Wissenschaft und der Erfahrung in gleichmäßiger Weise ausgebildet. Es ist bei genauerer Betrachtung nicht fraglich, daß gerade im Gebiete
unzuſammenhängend und zerſtreuen ihre Wirkung; ja das neunzehnte Jahrhundert vermag nicht einmal die Höhe feſtzuhalten, die politiſch in den Werken von H. Berg und juriſtiſch in denen von Fiſcher ſchon gewonnen war. Die Codifikation iſt der Idee der Verwaltung gegenüber unmächtig; es iſt klar, daß das neunzehnte Jahrhundert einen andern Inhalt zur Geltung zu bringen hat. Und dieſer nun iſt der ſociale Standpunkt der inneren Verwaltung.
Dieſer ſociale Standpunkt beginnt ſeinerſeits mit der Behandlung des Armenweſens, und lange glaubte man, daß hierin das ſociale Element ausſchließlich liege. Allein mit der Mitte unſeres Jahrhun- derts tritt an ſeine Stelle das Bewußtſein von dem Gegenſatz der Claſſen, und es wird klar, daß zuletzt alle innere Verwaltung ihren Schlußpunkt in der Frage habe, was denn der Staat für dieſe Claſſenbewegung zu thun habe und thun könne? Je weiter wir kommen, je beſtimmter wird es uns, daß dieſe Frage nicht etwa ein für ſich beſtehendes, in einem einzelnen Gebiete erſchöpftes Gebiet enthält, ſondern daß ſie vielmehr die ganze innere Verwaltung durchdringt. Das iſt der Standpunkt, auf dem wir ſtehen. Seine Vorausſetzungen ſind einerſeits die freie Entwicklung der Selbſtverwal- tung und des Vereinsweſens, andererſeits ein einheitliches, organiſches Syſtem der inneren Verwaltung. Daß wir beider Dinge bedürfen, iſt nicht mehr zu bezweifeln. Für beides arbeiten wir. Das erſtere kann uns die Kraft geben, die ſociale Frage zu löſen, das zweite die Kate- gorien, durch welche wir ihren Inhalt verſtehen. Aber die Löſung ſelbſt gehört der Zukunft; denn nirgends mehr als hier ſoll man die Gegenwart mit ihren Zweifeln, Kämpfen und ſelbſt mit ihren Erfolgen als einen Durchgangspunkt für eine höhere, beſſere Zukunft zu erkennen wiſſen.
Die nationale Geſtalt des inneren Verwaltungsrechts und die vergleichende Rechtswiſſenſchaft.
Ohne Zweifel nun hat dieſe innere Verwaltung neben ihrer all- gemeinen europäiſchen Entwicklung, wie wir ſie ſo eben charakteriſirt, zugleich in jedem Staat eine individuelle Geſtalt, welche in vielfacher Beziehung von der jedes andern weſentlich verſchieden iſt und daher auch zuerſt als ein ſelbſtändiges Ganze betrachtet werden muß.
Andererſeits aber ſind die großen Grundlagen des Lebens wieder in allen Staaten gleichartig und durch die Gemeinſamkeit der Geſittung, der Wiſſenſchaft und der Erfahrung in gleichmäßiger Weiſe ausgebildet. Es iſt bei genauerer Betrachtung nicht fraglich, daß gerade im Gebiete
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[51/0075]
unzuſammenhängend und zerſtreuen ihre Wirkung; ja das neunzehnte
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in den Werken von H. Berg und juriſtiſch in denen von Fiſcher
ſchon gewonnen war. Die Codifikation iſt der Idee der Verwaltung
gegenüber unmächtig; es iſt klar, daß das neunzehnte Jahrhundert
einen andern Inhalt zur Geltung zu bringen hat. Und dieſer nun iſt
der ſociale Standpunkt der inneren Verwaltung.
Dieſer ſociale Standpunkt beginnt ſeinerſeits mit der Behandlung
des Armenweſens, und lange glaubte man, daß hierin das ſociale
Element ausſchließlich liege. Allein mit der Mitte unſeres Jahrhun-
derts tritt an ſeine Stelle das Bewußtſein von dem Gegenſatz der
Claſſen, und es wird klar, daß zuletzt alle innere Verwaltung ihren
Schlußpunkt in der Frage habe, was denn der Staat für dieſe
Claſſenbewegung zu thun habe und thun könne? Je weiter
wir kommen, je beſtimmter wird es uns, daß dieſe Frage nicht etwa
ein für ſich beſtehendes, in einem einzelnen Gebiete erſchöpftes Gebiet
enthält, ſondern daß ſie vielmehr die ganze innere Verwaltung
durchdringt. Das iſt der Standpunkt, auf dem wir ſtehen. Seine
Vorausſetzungen ſind einerſeits die freie Entwicklung der Selbſtverwal-
tung und des Vereinsweſens, andererſeits ein einheitliches, organiſches
Syſtem der inneren Verwaltung. Daß wir beider Dinge bedürfen, iſt
nicht mehr zu bezweifeln. Für beides arbeiten wir. Das erſtere kann
uns die Kraft geben, die ſociale Frage zu löſen, das zweite die Kate-
gorien, durch welche wir ihren Inhalt verſtehen. Aber die Löſung
ſelbſt gehört der Zukunft; denn nirgends mehr als hier ſoll man die
Gegenwart mit ihren Zweifeln, Kämpfen und ſelbſt mit ihren Erfolgen
als einen Durchgangspunkt für eine höhere, beſſere Zukunft zu erkennen
wiſſen.
Die nationale Geſtalt des inneren Verwaltungsrechts und die
vergleichende Rechtswiſſenſchaft.
Ohne Zweifel nun hat dieſe innere Verwaltung neben ihrer all-
gemeinen europäiſchen Entwicklung, wie wir ſie ſo eben charakteriſirt,
zugleich in jedem Staat eine individuelle Geſtalt, welche in vielfacher
Beziehung von der jedes andern weſentlich verſchieden iſt und daher
auch zuerſt als ein ſelbſtändiges Ganze betrachtet werden muß.
Andererſeits aber ſind die großen Grundlagen des Lebens wieder
in allen Staaten gleichartig und durch die Gemeinſamkeit der Geſittung,
der Wiſſenſchaft und der Erfahrung in gleichmäßiger Weiſe ausgebildet.
Es iſt bei genauerer Betrachtung nicht fraglich, daß gerade im Gebiete
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/75>, abgerufen am 21.11.2024.
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