Entscheidung der Verwaltung unterwerfen. In diesem Falle gibt es innerhalb der gerichtlichen Competenz eine zweite administrative; aber ein Theil des Klag- rechts ist dann gesetzlich dem Beschwerderecht unterworfen; oder es gibt Justiz- sachen, welche gesetzlich Administrativsachen sind. Das aber kann nur durch be- sondere Gesetze geschehen, und daher auch in jedem Staate verschieden sein, während das positive Recht des einen Staates keine Consequenz für den andern bildet. Es ist klar, daß damit keine wissenschaftliche Begriffsbestim- mung gefunden werden kann; die ganze Bestimmung ist historisch aus den deut- schen Rechtsverhältnissen und der französischen justice administrative entstanden, und erscheint zuletzt als eine Sache der Zweckmäßigkeit. Geht man nun gar so weit wie die deutsche Theorie, aus diesen verschiedenen gesetzlichen Ausnahmen von dem Principe selbst ein Princip für die Entscheidung einzelner Fälle be- stimmen, und daraus ein geltendes deutsches Verordnungsrecht bilden zu wollen, so wird man in unabsehbare Widersprüche verfallen.
Um nun aber den Zustand der deutschen Auffassung erklären zu können, muß man zwei Perioden derselben, und mit ihnen zwei Tendenzen unter- scheiden.
Die erste dieser Perioden reicht bis zur Bildung der neuen Verfassungen. Ihre Grundlage ist der früher schon geschilderte Zustand der Gesetzgebung. Die Theilnahme der Landesvertretung war bei der Gesetzgebung faktisch aufgehoben; die Verordnung war Gesetz und der Landesherr daher mit der vollen Kraft der Gesetzgebung ausgerüstet. Eine Gränze für Klag- und Beschwerderecht war mithin unauffindbar; im Grunde war das Klagrecht überhaupt gegenüber dem Inhalt der landesherrlichen Verordnung verschwunden. Die auf's höchste ge- fährdete Selbständigkeit des Staatsbürgerthums flüchtete sich daher gegenüber dieser Allgewalt der Verwaltung -- oder wie sie damals hieß, der Polizei -- in das Gebiet des Privatrechts, indem sie den Besitz öffentlicher Rechte zugleich als Privatrecht erklärte. So entstand die Theorie, daß jede Verordnung alsdann Gegenstand der Klage, also Justizsache sei, wenn sie einen Privatrechts- titel angreife, während die Verhältnisse des öffentlichen Interesses nur Gegen- stand der Beschwerde werden. Wir verweisen in dieser Beziehung namentlich auf Berg, Polizeirecht, I. 144 ff. Seine Hauptgrundsätze, die auf den histo- rischen Verhältnissen beruhen und nur durch sie erklärt werden können, sind: die Vermuthung ist stets für Justizsache (und also für das Klagrecht), die Prävention entscheidet; bei Eigenthumsfragen ist unbedingtes Klagrecht gestattet (schon bei Pütter, im Jus publ.); die Ueberschreitung der Po- lizeigewalt gehört vor den Richter, und gibt daher ein Klagrecht; das Ver- fahren ist dabei das des bürgerlichen Processes; das Beschwerderecht ist neben diesem Klagrecht ganz selbständig. Läßt man nun die unglückliche Aufthei- lung in Justiz- und Administrativsache weg, so liegt hier schon ein System vor, das auch unsrer Zeit vollkommen genügen könnte. Die Staatsgewalt ihrerseits verhielt sich gegen diese Theorie ziemlich gleichgültig; sie hielt einfach daran fest, daß sie das Recht habe, zu bestimmen, welche Thatsachen sie ihren Behörden zur Entscheidung vorbehalte. Natürlich entstand auf diese Weise für die Wissen- schaft kein Princip und für die Praxis keine Gleichartigkeit; das deutsche Recht
Entſcheidung der Verwaltung unterwerfen. In dieſem Falle gibt es innerhalb der gerichtlichen Competenz eine zweite adminiſtrative; aber ein Theil des Klag- rechts iſt dann geſetzlich dem Beſchwerderecht unterworfen; oder es gibt Juſtiz- ſachen, welche geſetzlich Adminiſtrativſachen ſind. Das aber kann nur durch be- ſondere Geſetze geſchehen, und daher auch in jedem Staate verſchieden ſein, während das poſitive Recht des einen Staates keine Conſequenz für den andern bildet. Es iſt klar, daß damit keine wiſſenſchaftliche Begriffsbeſtim- mung gefunden werden kann; die ganze Beſtimmung iſt hiſtoriſch aus den deut- ſchen Rechtsverhältniſſen und der franzöſiſchen justice administrative entſtanden, und erſcheint zuletzt als eine Sache der Zweckmäßigkeit. Geht man nun gar ſo weit wie die deutſche Theorie, aus dieſen verſchiedenen geſetzlichen Ausnahmen von dem Principe ſelbſt ein Princip für die Entſcheidung einzelner Fälle be- ſtimmen, und daraus ein geltendes deutſches Verordnungsrecht bilden zu wollen, ſo wird man in unabſehbare Widerſprüche verfallen.
Um nun aber den Zuſtand der deutſchen Auffaſſung erklären zu können, muß man zwei Perioden derſelben, und mit ihnen zwei Tendenzen unter- ſcheiden.
Die erſte dieſer Perioden reicht bis zur Bildung der neuen Verfaſſungen. Ihre Grundlage iſt der früher ſchon geſchilderte Zuſtand der Geſetzgebung. Die Theilnahme der Landesvertretung war bei der Geſetzgebung faktiſch aufgehoben; die Verordnung war Geſetz und der Landesherr daher mit der vollen Kraft der Geſetzgebung ausgerüſtet. Eine Gränze für Klag- und Beſchwerderecht war mithin unauffindbar; im Grunde war das Klagrecht überhaupt gegenüber dem Inhalt der landesherrlichen Verordnung verſchwunden. Die auf’s höchſte ge- fährdete Selbſtändigkeit des Staatsbürgerthums flüchtete ſich daher gegenüber dieſer Allgewalt der Verwaltung — oder wie ſie damals hieß, der Polizei — in das Gebiet des Privatrechts, indem ſie den Beſitz öffentlicher Rechte zugleich als Privatrecht erklärte. So entſtand die Theorie, daß jede Verordnung alsdann Gegenſtand der Klage, alſo Juſtizſache ſei, wenn ſie einen Privatrechts- titel angreife, während die Verhältniſſe des öffentlichen Intereſſes nur Gegen- ſtand der Beſchwerde werden. Wir verweiſen in dieſer Beziehung namentlich auf Berg, Polizeirecht, I. 144 ff. Seine Hauptgrundſätze, die auf den hiſto- riſchen Verhältniſſen beruhen und nur durch ſie erklärt werden können, ſind: die Vermuthung iſt ſtets für Juſtizſache (und alſo für das Klagrecht), die Prävention entſcheidet; bei Eigenthumsfragen iſt unbedingtes Klagrecht geſtattet (ſchon bei Pütter, im Jus publ.); die Ueberſchreitung der Po- lizeigewalt gehört vor den Richter, und gibt daher ein Klagrecht; das Ver- fahren iſt dabei das des bürgerlichen Proceſſes; das Beſchwerderecht iſt neben dieſem Klagrecht ganz ſelbſtändig. Läßt man nun die unglückliche Aufthei- lung in Juſtiz- und Adminiſtrativſache weg, ſo liegt hier ſchon ein Syſtem vor, das auch unſrer Zeit vollkommen genügen könnte. Die Staatsgewalt ihrerſeits verhielt ſich gegen dieſe Theorie ziemlich gleichgültig; ſie hielt einfach daran feſt, daß ſie das Recht habe, zu beſtimmen, welche Thatſachen ſie ihren Behörden zur Entſcheidung vorbehalte. Natürlich entſtand auf dieſe Weiſe für die Wiſſen- ſchaft kein Princip und für die Praxis keine Gleichartigkeit; das deutſche Recht
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[142/0166]
Entſcheidung der Verwaltung unterwerfen. In dieſem Falle gibt es innerhalb
der gerichtlichen Competenz eine zweite adminiſtrative; aber ein Theil des Klag-
rechts iſt dann geſetzlich dem Beſchwerderecht unterworfen; oder es gibt Juſtiz-
ſachen, welche geſetzlich Adminiſtrativſachen ſind. Das aber kann nur durch be-
ſondere Geſetze geſchehen, und daher auch in jedem Staate verſchieden ſein,
während das poſitive Recht des einen Staates keine Conſequenz für den
andern bildet. Es iſt klar, daß damit keine wiſſenſchaftliche Begriffsbeſtim-
mung gefunden werden kann; die ganze Beſtimmung iſt hiſtoriſch aus den deut-
ſchen Rechtsverhältniſſen und der franzöſiſchen justice administrative entſtanden,
und erſcheint zuletzt als eine Sache der Zweckmäßigkeit. Geht man nun gar ſo
weit wie die deutſche Theorie, aus dieſen verſchiedenen geſetzlichen Ausnahmen
von dem Principe ſelbſt ein Princip für die Entſcheidung einzelner Fälle be-
ſtimmen, und daraus ein geltendes deutſches Verordnungsrecht bilden zu
wollen, ſo wird man in unabſehbare Widerſprüche verfallen.
Um nun aber den Zuſtand der deutſchen Auffaſſung erklären zu können,
muß man zwei Perioden derſelben, und mit ihnen zwei Tendenzen unter-
ſcheiden.
Die erſte dieſer Perioden reicht bis zur Bildung der neuen Verfaſſungen.
Ihre Grundlage iſt der früher ſchon geſchilderte Zuſtand der Geſetzgebung. Die
Theilnahme der Landesvertretung war bei der Geſetzgebung faktiſch aufgehoben;
die Verordnung war Geſetz und der Landesherr daher mit der vollen Kraft
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mithin unauffindbar; im Grunde war das Klagrecht überhaupt gegenüber dem
Inhalt der landesherrlichen Verordnung verſchwunden. Die auf’s höchſte ge-
fährdete Selbſtändigkeit des Staatsbürgerthums flüchtete ſich daher gegenüber
dieſer Allgewalt der Verwaltung — oder wie ſie damals hieß, der Polizei — in
das Gebiet des Privatrechts, indem ſie den Beſitz öffentlicher Rechte zugleich als
Privatrecht erklärte. So entſtand die Theorie, daß jede Verordnung alsdann
Gegenſtand der Klage, alſo Juſtizſache ſei, wenn ſie einen Privatrechts-
titel angreife, während die Verhältniſſe des öffentlichen Intereſſes nur Gegen-
ſtand der Beſchwerde werden. Wir verweiſen in dieſer Beziehung namentlich
auf Berg, Polizeirecht, I. 144 ff. Seine Hauptgrundſätze, die auf den hiſto-
riſchen Verhältniſſen beruhen und nur durch ſie erklärt werden können, ſind:
die Vermuthung iſt ſtets für Juſtizſache (und alſo für das Klagrecht), die
Prävention entſcheidet; bei Eigenthumsfragen iſt unbedingtes Klagrecht
geſtattet (ſchon bei Pütter, im Jus publ.); die Ueberſchreitung der Po-
lizeigewalt gehört vor den Richter, und gibt daher ein Klagrecht; das Ver-
fahren iſt dabei das des bürgerlichen Proceſſes; das Beſchwerderecht iſt neben
dieſem Klagrecht ganz ſelbſtändig. Läßt man nun die unglückliche Aufthei-
lung in Juſtiz- und Adminiſtrativſache weg, ſo liegt hier ſchon ein Syſtem vor,
das auch unſrer Zeit vollkommen genügen könnte. Die Staatsgewalt ihrerſeits
verhielt ſich gegen dieſe Theorie ziemlich gleichgültig; ſie hielt einfach daran feſt,
daß ſie das Recht habe, zu beſtimmen, welche Thatſachen ſie ihren Behörden
zur Entſcheidung vorbehalte. Natürlich entſtand auf dieſe Weiſe für die Wiſſen-
ſchaft kein Princip und für die Praxis keine Gleichartigkeit; das deutſche Recht
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/166>, abgerufen am 21.11.2024.
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