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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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Widerspruch mit dem Gesetze steht, so gibt der Nachweis, daß die an-
genommene Competenz mit einer Verordnung wirklich im Widerspruch
stehe, noch der Partei keineswegs ein formelles Recht darauf, daß die
höhere Gewalt auch in dem gegebenen Falle ihre Verordnung für ihren
eignen Beschluß als objektiv gültig anerkenne. Sie hat im Gegen-
theil gewiß die volle Freiheit, selbst gegen ihre allgemeine Verordnung
im einzelnen Falle zu entscheiden und der Competenz des Organes auch
dann die geltende Kraft zu verleihen, wenn sie mit ihren allgemeinen
Beschlüssen in Widerspruch tritt. Die tiefern Gründe dieses Rechts
liegen in dem Wesen der lebendigen Vollziehung selbst. Erscheint diese
völlige Freiheit der Bewegung als bedenklich für den öffentlichen Rechts-
zustand, so ist es Sache der Gesetzgebung, hier eben gesetzliche Compe-
tenzen aufzustellen. So lange das nicht geschehen ist, ist ein objektives
Recht des Einzelnen auf eine Competenz nicht denkbar; die Regierung
ist vollkommen frei, auch die größte Ueberschreitung der Competenz
anzuerkennen. Die Anwendung eines Klagerechts ist hier gänzlich
ausgeschlossen.

Nur in dem Falle kann eine solche Freiheit nicht anerkannt werden,
wenn ein bürgerliches Rechtsverhältniß in Folge einer bestehenden
Competenz erzeugt ist. Alsdann kann die Negierung nachträglich nicht
erklären, daß dasselbe ungültig sei, da die Competenz zugleich das
Mandat für die Abschließung des bürgerlichen Rechtsverhältnisses ent-
hält, und dieß durch Aenderung der Competenz nicht nachträglich geändert
werden kann. Eben so wenig wird ein bürgerlicher Rechtsakt, der mit
Ueberschreitung der bestehenden Competenz eingegangen ward, durch
nachträgliche Anerkennung dieser Ueberschreitung ohne Zustimmung --
ausdrückliche oder stillschweigende -- des Contrahenten ohne weiteres
gültig. Hier tritt eben darum das Klagrecht statt des Beschwerderechts
ein, weil es sich um das Verhalten der Competenz zu einem Gesetze --
dem bürgerlichen -- handelt. (Ueber das französische Recht s. unten.)

Es folgt aus diesen Grundsätzen, daß ein Competenzstreit im
weitern oder uneigentlichen Sinne auch da erhoben ist, wo die Partei zwar
nicht eine Ueberschreitung der verordnungsmäßen Competenz behauptet,
oder um die Aenderung der letztern im Gesuchswege bittet. Das
Verfahren ist dabei natürlich das gleiche.

Dieß Verfahren liegt nun offenbar im Wesen des Competenz-
streites selbst so tief begründet, daß es sich von selbst ergibt, und höchst
einfach erscheint. Die Grundsätze sind folgende.

a) Kein Organ kann über seine eigene Competenz entscheiden. Es
muß daher die Beschwerde oder das Gesuch stets bei der höhern Stelle
angebracht werden. Es ist durchaus kein Grund, in dieser Beziehung

Widerſpruch mit dem Geſetze ſteht, ſo gibt der Nachweis, daß die an-
genommene Competenz mit einer Verordnung wirklich im Widerſpruch
ſtehe, noch der Partei keineswegs ein formelles Recht darauf, daß die
höhere Gewalt auch in dem gegebenen Falle ihre Verordnung für ihren
eignen Beſchluß als objektiv gültig anerkenne. Sie hat im Gegen-
theil gewiß die volle Freiheit, ſelbſt gegen ihre allgemeine Verordnung
im einzelnen Falle zu entſcheiden und der Competenz des Organes auch
dann die geltende Kraft zu verleihen, wenn ſie mit ihren allgemeinen
Beſchlüſſen in Widerſpruch tritt. Die tiefern Gründe dieſes Rechts
liegen in dem Weſen der lebendigen Vollziehung ſelbſt. Erſcheint dieſe
völlige Freiheit der Bewegung als bedenklich für den öffentlichen Rechts-
zuſtand, ſo iſt es Sache der Geſetzgebung, hier eben geſetzliche Compe-
tenzen aufzuſtellen. So lange das nicht geſchehen iſt, iſt ein objektives
Recht des Einzelnen auf eine Competenz nicht denkbar; die Regierung
iſt vollkommen frei, auch die größte Ueberſchreitung der Competenz
anzuerkennen. Die Anwendung eines Klagerechts iſt hier gänzlich
ausgeſchloſſen.

Nur in dem Falle kann eine ſolche Freiheit nicht anerkannt werden,
wenn ein bürgerliches Rechtsverhältniß in Folge einer beſtehenden
Competenz erzeugt iſt. Alsdann kann die Negierung nachträglich nicht
erklären, daß daſſelbe ungültig ſei, da die Competenz zugleich das
Mandat für die Abſchließung des bürgerlichen Rechtsverhältniſſes ent-
hält, und dieß durch Aenderung der Competenz nicht nachträglich geändert
werden kann. Eben ſo wenig wird ein bürgerlicher Rechtsakt, der mit
Ueberſchreitung der beſtehenden Competenz eingegangen ward, durch
nachträgliche Anerkennung dieſer Ueberſchreitung ohne Zuſtimmung —
ausdrückliche oder ſtillſchweigende — des Contrahenten ohne weiteres
gültig. Hier tritt eben darum das Klagrecht ſtatt des Beſchwerderechts
ein, weil es ſich um das Verhalten der Competenz zu einem Geſetze —
dem bürgerlichen — handelt. (Ueber das franzöſiſche Recht ſ. unten.)

Es folgt aus dieſen Grundſätzen, daß ein Competenzſtreit im
weitern oder uneigentlichen Sinne auch da erhoben iſt, wo die Partei zwar
nicht eine Ueberſchreitung der verordnungsmäßen Competenz behauptet,
oder um die Aenderung der letztern im Geſuchswege bittet. Das
Verfahren iſt dabei natürlich das gleiche.

Dieß Verfahren liegt nun offenbar im Weſen des Competenz-
ſtreites ſelbſt ſo tief begründet, daß es ſich von ſelbſt ergibt, und höchſt
einfach erſcheint. Die Grundſätze ſind folgende.

a) Kein Organ kann über ſeine eigene Competenz entſcheiden. Es
muß daher die Beſchwerde oder das Geſuch ſtets bei der höhern Stelle
angebracht werden. Es iſt durchaus kein Grund, in dieſer Beziehung

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[167/0191] Widerſpruch mit dem Geſetze ſteht, ſo gibt der Nachweis, daß die an- genommene Competenz mit einer Verordnung wirklich im Widerſpruch ſtehe, noch der Partei keineswegs ein formelles Recht darauf, daß die höhere Gewalt auch in dem gegebenen Falle ihre Verordnung für ihren eignen Beſchluß als objektiv gültig anerkenne. Sie hat im Gegen- theil gewiß die volle Freiheit, ſelbſt gegen ihre allgemeine Verordnung im einzelnen Falle zu entſcheiden und der Competenz des Organes auch dann die geltende Kraft zu verleihen, wenn ſie mit ihren allgemeinen Beſchlüſſen in Widerſpruch tritt. Die tiefern Gründe dieſes Rechts liegen in dem Weſen der lebendigen Vollziehung ſelbſt. Erſcheint dieſe völlige Freiheit der Bewegung als bedenklich für den öffentlichen Rechts- zuſtand, ſo iſt es Sache der Geſetzgebung, hier eben geſetzliche Compe- tenzen aufzuſtellen. So lange das nicht geſchehen iſt, iſt ein objektives Recht des Einzelnen auf eine Competenz nicht denkbar; die Regierung iſt vollkommen frei, auch die größte Ueberſchreitung der Competenz anzuerkennen. Die Anwendung eines Klagerechts iſt hier gänzlich ausgeſchloſſen. Nur in dem Falle kann eine ſolche Freiheit nicht anerkannt werden, wenn ein bürgerliches Rechtsverhältniß in Folge einer beſtehenden Competenz erzeugt iſt. Alsdann kann die Negierung nachträglich nicht erklären, daß daſſelbe ungültig ſei, da die Competenz zugleich das Mandat für die Abſchließung des bürgerlichen Rechtsverhältniſſes ent- hält, und dieß durch Aenderung der Competenz nicht nachträglich geändert werden kann. Eben ſo wenig wird ein bürgerlicher Rechtsakt, der mit Ueberſchreitung der beſtehenden Competenz eingegangen ward, durch nachträgliche Anerkennung dieſer Ueberſchreitung ohne Zuſtimmung — ausdrückliche oder ſtillſchweigende — des Contrahenten ohne weiteres gültig. Hier tritt eben darum das Klagrecht ſtatt des Beſchwerderechts ein, weil es ſich um das Verhalten der Competenz zu einem Geſetze — dem bürgerlichen — handelt. (Ueber das franzöſiſche Recht ſ. unten.) Es folgt aus dieſen Grundſätzen, daß ein Competenzſtreit im weitern oder uneigentlichen Sinne auch da erhoben iſt, wo die Partei zwar nicht eine Ueberſchreitung der verordnungsmäßen Competenz behauptet, oder um die Aenderung der letztern im Geſuchswege bittet. Das Verfahren iſt dabei natürlich das gleiche. Dieß Verfahren liegt nun offenbar im Weſen des Competenz- ſtreites ſelbſt ſo tief begründet, daß es ſich von ſelbſt ergibt, und höchſt einfach erſcheint. Die Grundſätze ſind folgende. a) Kein Organ kann über ſeine eigene Competenz entſcheiden. Es muß daher die Beſchwerde oder das Geſuch ſtets bei der höhern Stelle angebracht werden. Es iſt durchaus kein Grund, in dieſer Beziehung

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/191>, abgerufen am 21.11.2024.