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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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erzeugt die gerichtliche Competenz diese Harmonie für alle einzelnen
Fälle
. Und die wahre Verfassungsmäßigkeit der Verwaltung muß
daher, unter völliger Beseitigung des Unterschiedes zwischen Administra-
tiv- und Justizsachen, auf dem grundsätzlich durchgeführten Unterschiede
zwischen Klag- und Beschwerderecht, und der entschiedenen Competenz
des Gerichtes über die Gesetzesqualität öffentlicher Akte beruhen. Das
kann aber wiederum nur dann ohne Streit- und Competenzconflikt
durchgeführt werden, wenn der formelle Begriff des Gesetzes ver-
fassungsmäßig anerkannt ist. Mit dieser Anerkennung ist dann auch
der Competenzconflikt aufgehoben, und das harmonische Zusammenwirken
aller Organe dauernd gesichert.

Wir glauben, daß der Werth der obigen Darstellung gegenüber den be-
kannten Theorien von Bischof, Stahl u. A. wesentlich darin liegt, den In-
halt des richterlichen Urtheils auf den positiven Inhalt des einzelnen Rechts-
falles zurückgeführt und das Urtheil über Gesetz und Verordnung an sich definitiv
ausgeschlossen zu haben; denn die ganze entgegenstehende Theorie beruht eigentlich
auf diesem Punkte, während ebenso die der gerichtlichen Competenz günstige
Meinung ihrerseits immer die allgemeine Competenz statt der einzelnen fordert.
Wir stimmen daher vollkommen mit Gneist: "Soll der Richter auch über die
Frage zu befinden haben, ob ein Gesetz verfassungsmäßig zu Stande gekommen?"
(Gutachten für den vierten deutschen Juristentag, 1863) überein; nur antworten
wir nicht einfach mit Ja, sondern wir sagen "in seinen Entscheidungs-
gründen ja
, in seinem Urtheil nein." Es würde unsere Aufgabe über-
schreiten, hier die Kritik der einzelnen Literatur durchzugehen. Man vergleiche
im Allgemeinen Gneist a. a. O.; Verhandlungen des vierten deutschen
Juristentages (Gutachten von Stubenrauch und von Jacques), wo die
eigentliche Frage dadurch unklar wird, daß man sie auf das Recht der "Prüfung"
von Gesetz und Verordnung bezieht, ein Recht, welches natürlich gar nicht
zweifelhaft sein kann, während das, worauf es ankommt, die Frage ist, welche
Bedeutung das von Gneist ausgesprochene Resultat der Prüfung für die
Gültigkeit beider hat -- ein Punkt, der nicht zur Erledigung gelangt ist.
Namentlich Jacques ist darüber gänzlich unklar; doch sieht man, daß er viel
Gefühl für die Verfassungsmäßigkeit des Verwaltungsrechts besitzt. S. 256.
Zachariä (Deutsches Staatsrecht II. §. 177), Zöpfl (Deutsches Staatsrecht
II. §. 451. und a. m. O. -- So viel, glauben wir, wird indessen einleuchtend
sein, daß die entscheidende Beantwortung dieser Frage nur in einer allgemein
organischen Auffassung des verfassungsmäßigen Verwaltungsrechts gegeben werden
kann, und daß endlich der Grund der Unklarheit in der deutschen Literatur in
der Unfertigkeit des deutschen geltenden Staatsrechts liegt. Nur hier kann die
rechte Lösung, die Erhebung über den englischen und die Befreiung von dem
französischen Standpunkt gefunden werden.


erzeugt die gerichtliche Competenz dieſe Harmonie für alle einzelnen
Fälle
. Und die wahre Verfaſſungsmäßigkeit der Verwaltung muß
daher, unter völliger Beſeitigung des Unterſchiedes zwiſchen Adminiſtra-
tiv- und Juſtizſachen, auf dem grundſätzlich durchgeführten Unterſchiede
zwiſchen Klag- und Beſchwerderecht, und der entſchiedenen Competenz
des Gerichtes über die Geſetzesqualität öffentlicher Akte beruhen. Das
kann aber wiederum nur dann ohne Streit- und Competenzconflikt
durchgeführt werden, wenn der formelle Begriff des Geſetzes ver-
faſſungsmäßig anerkannt iſt. Mit dieſer Anerkennung iſt dann auch
der Competenzconflikt aufgehoben, und das harmoniſche Zuſammenwirken
aller Organe dauernd geſichert.

Wir glauben, daß der Werth der obigen Darſtellung gegenüber den be-
kannten Theorien von Biſchof, Stahl u. A. weſentlich darin liegt, den In-
halt des richterlichen Urtheils auf den poſitiven Inhalt des einzelnen Rechts-
falles zurückgeführt und das Urtheil über Geſetz und Verordnung an ſich definitiv
ausgeſchloſſen zu haben; denn die ganze entgegenſtehende Theorie beruht eigentlich
auf dieſem Punkte, während ebenſo die der gerichtlichen Competenz günſtige
Meinung ihrerſeits immer die allgemeine Competenz ſtatt der einzelnen fordert.
Wir ſtimmen daher vollkommen mit Gneiſt: „Soll der Richter auch über die
Frage zu befinden haben, ob ein Geſetz verfaſſungsmäßig zu Stande gekommen?“
(Gutachten für den vierten deutſchen Juriſtentag, 1863) überein; nur antworten
wir nicht einfach mit Ja, ſondern wir ſagen „in ſeinen Entſcheidungs-
gründen ja
, in ſeinem Urtheil nein.“ Es würde unſere Aufgabe über-
ſchreiten, hier die Kritik der einzelnen Literatur durchzugehen. Man vergleiche
im Allgemeinen Gneiſt a. a. O.; Verhandlungen des vierten deutſchen
Juriſtentages (Gutachten von Stubenrauch und von Jacques), wo die
eigentliche Frage dadurch unklar wird, daß man ſie auf das Recht der „Prüfung“
von Geſetz und Verordnung bezieht, ein Recht, welches natürlich gar nicht
zweifelhaft ſein kann, während das, worauf es ankommt, die Frage iſt, welche
Bedeutung das von Gneiſt ausgeſprochene Reſultat der Prüfung für die
Gültigkeit beider hat — ein Punkt, der nicht zur Erledigung gelangt iſt.
Namentlich Jacques iſt darüber gänzlich unklar; doch ſieht man, daß er viel
Gefühl für die Verfaſſungsmäßigkeit des Verwaltungsrechts beſitzt. S. 256.
Zachariä (Deutſches Staatsrecht II. §. 177), Zöpfl (Deutſches Staatsrecht
II. §. 451. und a. m. O. — So viel, glauben wir, wird indeſſen einleuchtend
ſein, daß die entſcheidende Beantwortung dieſer Frage nur in einer allgemein
organiſchen Auffaſſung des verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts gegeben werden
kann, und daß endlich der Grund der Unklarheit in der deutſchen Literatur in
der Unfertigkeit des deutſchen geltenden Staatsrechts liegt. Nur hier kann die
rechte Löſung, die Erhebung über den engliſchen und die Befreiung von dem
franzöſiſchen Standpunkt gefunden werden.


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[195/0219] erzeugt die gerichtliche Competenz dieſe Harmonie für alle einzelnen Fälle. Und die wahre Verfaſſungsmäßigkeit der Verwaltung muß daher, unter völliger Beſeitigung des Unterſchiedes zwiſchen Adminiſtra- tiv- und Juſtizſachen, auf dem grundſätzlich durchgeführten Unterſchiede zwiſchen Klag- und Beſchwerderecht, und der entſchiedenen Competenz des Gerichtes über die Geſetzesqualität öffentlicher Akte beruhen. Das kann aber wiederum nur dann ohne Streit- und Competenzconflikt durchgeführt werden, wenn der formelle Begriff des Geſetzes ver- faſſungsmäßig anerkannt iſt. Mit dieſer Anerkennung iſt dann auch der Competenzconflikt aufgehoben, und das harmoniſche Zuſammenwirken aller Organe dauernd geſichert. Wir glauben, daß der Werth der obigen Darſtellung gegenüber den be- kannten Theorien von Biſchof, Stahl u. A. weſentlich darin liegt, den In- halt des richterlichen Urtheils auf den poſitiven Inhalt des einzelnen Rechts- falles zurückgeführt und das Urtheil über Geſetz und Verordnung an ſich definitiv ausgeſchloſſen zu haben; denn die ganze entgegenſtehende Theorie beruht eigentlich auf dieſem Punkte, während ebenſo die der gerichtlichen Competenz günſtige Meinung ihrerſeits immer die allgemeine Competenz ſtatt der einzelnen fordert. Wir ſtimmen daher vollkommen mit Gneiſt: „Soll der Richter auch über die Frage zu befinden haben, ob ein Geſetz verfaſſungsmäßig zu Stande gekommen?“ (Gutachten für den vierten deutſchen Juriſtentag, 1863) überein; nur antworten wir nicht einfach mit Ja, ſondern wir ſagen „in ſeinen Entſcheidungs- gründen ja, in ſeinem Urtheil nein.“ Es würde unſere Aufgabe über- ſchreiten, hier die Kritik der einzelnen Literatur durchzugehen. Man vergleiche im Allgemeinen Gneiſt a. a. O.; Verhandlungen des vierten deutſchen Juriſtentages (Gutachten von Stubenrauch und von Jacques), wo die eigentliche Frage dadurch unklar wird, daß man ſie auf das Recht der „Prüfung“ von Geſetz und Verordnung bezieht, ein Recht, welches natürlich gar nicht zweifelhaft ſein kann, während das, worauf es ankommt, die Frage iſt, welche Bedeutung das von Gneiſt ausgeſprochene Reſultat der Prüfung für die Gültigkeit beider hat — ein Punkt, der nicht zur Erledigung gelangt iſt. Namentlich Jacques iſt darüber gänzlich unklar; doch ſieht man, daß er viel Gefühl für die Verfaſſungsmäßigkeit des Verwaltungsrechts beſitzt. S. 256. Zachariä (Deutſches Staatsrecht II. §. 177), Zöpfl (Deutſches Staatsrecht II. §. 451. und a. m. O. — So viel, glauben wir, wird indeſſen einleuchtend ſein, daß die entſcheidende Beantwortung dieſer Frage nur in einer allgemein organiſchen Auffaſſung des verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts gegeben werden kann, und daß endlich der Grund der Unklarheit in der deutſchen Literatur in der Unfertigkeit des deutſchen geltenden Staatsrechts liegt. Nur hier kann die rechte Löſung, die Erhebung über den engliſchen und die Befreiung von dem franzöſiſchen Standpunkt gefunden werden.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/219>, abgerufen am 21.11.2024.