fordert das Wesen des Staats, daß sich der Einzelne überhaupt, und daß sich mithin auch die Organismen, welche die Theilnahme des Ein- zelnen an der Staatsthätigkeit enthalten, die Verwaltungskörper und die Vereine, dem Staate unterordnen. Den Staat als solchen aber vertritt der Regierungsorganismus, das Amtswesen, auf allen Gebieten der praktischen Thätigkeit. Damit treten sich nun die beiden großen Formen alles persönlichen Lebens, die allgemeine und die Einzelpersön- lichkeit entgegen, und während es kein Zweifel ist, daß jede derselben ihren eigenen Organismus in der Verwaltung hat und haben soll, ent- steht dagegen die Frage, ob und in wie weit eine Unterordnung der einen Klasse von Organisationen unter die andere stattfinden kann und muß.
Der naturgemäße Gang, der in solchen Gegensätzen stets erscheint, ist auch hier aufgetreten. Die erste Bewegung, welche bei jeder Er- scheinung wesentlich verschiedener Kräfte stattfindet, ist die Scheidung beider, und die Entwicklung des Gegensatzes. Und dieß ist auch hier ein- getreten, und nicht etwa bloß als ein vorübergehender historischer Zustand. Es ist vielmehr die Grundlage selbst schon ein Gegensatz, und so lange es daher jene Organismen geben wird, so lange wird auch dieser Gegen- satz lebendig bleiben. Immer haben Selbstverwaltung und Vereine die Aktion des Regierungsorganismus so weit als möglich von sich ge- wiesen, immer hat die Regierungsgewalt andererseits getrachtet, sich dieselben entweder unmittelbar einzuverleiben oder doch sie direkt sich unterordnen, und immer wird das bis zu einem gewissen Grade ge- schehen. Und es ist nicht bloß unvermeidlich, daß das geschehe, sondern dieser Gegensatz in abstrakter Form gedacht, ist vielmehr selbst ein noth- wendiges und organisches Element des Gesammtlebens, und jeder Staat muß als gefährdet erscheinen, wo derselbe vollkommen verschwunden ist. Denn in der That vertreten beide Grundformen des Organismus nicht etwa bloß ihren eigenen Antheil an der vollziehenden Gewalt, indem sie sich selbst gegenüber dem andern vertheidigen; und eben so wenig handelt es sich bloß um den Werth der Maßregeln oder die Wichtigkeit der Interessen, welche beide einander gegenüber zur Geltung bringen, und die in der Selbständigkeit der Organe, durch welche sie vertreten werden, ihre eigene Selbständigkeit erkennen. Sie sind vielmehr beide, wie wir schon gesagt, Ausdrücke der beiden großen Elemente des mensch- lichen Lebens überhaupt, des Ganzen und des Einzelnen, und das Recht, welches jene Organe fordern und vertheidigen, ist damit identisch mit der Existenz dieser ihrer eigenen Grundlage. Nicht daher daß jener Gegensatz da ist, ist ein Uebelstand, und nicht ihn als solchen zu ver- nichten, ist die wahre Aufgabe, sondern es kommt vielmehr darauf an, jene Elemente in ihr harmonisches Verhältniß zu einander zu stellen.
fordert das Weſen des Staats, daß ſich der Einzelne überhaupt, und daß ſich mithin auch die Organismen, welche die Theilnahme des Ein- zelnen an der Staatsthätigkeit enthalten, die Verwaltungskörper und die Vereine, dem Staate unterordnen. Den Staat als ſolchen aber vertritt der Regierungsorganismus, das Amtsweſen, auf allen Gebieten der praktiſchen Thätigkeit. Damit treten ſich nun die beiden großen Formen alles perſönlichen Lebens, die allgemeine und die Einzelperſön- lichkeit entgegen, und während es kein Zweifel iſt, daß jede derſelben ihren eigenen Organismus in der Verwaltung hat und haben ſoll, ent- ſteht dagegen die Frage, ob und in wie weit eine Unterordnung der einen Klaſſe von Organiſationen unter die andere ſtattfinden kann und muß.
Der naturgemäße Gang, der in ſolchen Gegenſätzen ſtets erſcheint, iſt auch hier aufgetreten. Die erſte Bewegung, welche bei jeder Er- ſcheinung weſentlich verſchiedener Kräfte ſtattfindet, iſt die Scheidung beider, und die Entwicklung des Gegenſatzes. Und dieß iſt auch hier ein- getreten, und nicht etwa bloß als ein vorübergehender hiſtoriſcher Zuſtand. Es iſt vielmehr die Grundlage ſelbſt ſchon ein Gegenſatz, und ſo lange es daher jene Organismen geben wird, ſo lange wird auch dieſer Gegen- ſatz lebendig bleiben. Immer haben Selbſtverwaltung und Vereine die Aktion des Regierungsorganismus ſo weit als möglich von ſich ge- wieſen, immer hat die Regierungsgewalt andererſeits getrachtet, ſich dieſelben entweder unmittelbar einzuverleiben oder doch ſie direkt ſich unterordnen, und immer wird das bis zu einem gewiſſen Grade ge- ſchehen. Und es iſt nicht bloß unvermeidlich, daß das geſchehe, ſondern dieſer Gegenſatz in abſtrakter Form gedacht, iſt vielmehr ſelbſt ein noth- wendiges und organiſches Element des Geſammtlebens, und jeder Staat muß als gefährdet erſcheinen, wo derſelbe vollkommen verſchwunden iſt. Denn in der That vertreten beide Grundformen des Organismus nicht etwa bloß ihren eigenen Antheil an der vollziehenden Gewalt, indem ſie ſich ſelbſt gegenüber dem andern vertheidigen; und eben ſo wenig handelt es ſich bloß um den Werth der Maßregeln oder die Wichtigkeit der Intereſſen, welche beide einander gegenüber zur Geltung bringen, und die in der Selbſtändigkeit der Organe, durch welche ſie vertreten werden, ihre eigene Selbſtändigkeit erkennen. Sie ſind vielmehr beide, wie wir ſchon geſagt, Ausdrücke der beiden großen Elemente des menſch- lichen Lebens überhaupt, des Ganzen und des Einzelnen, und das Recht, welches jene Organe fordern und vertheidigen, iſt damit identiſch mit der Exiſtenz dieſer ihrer eigenen Grundlage. Nicht daher daß jener Gegenſatz da iſt, iſt ein Uebelſtand, und nicht ihn als ſolchen zu ver- nichten, iſt die wahre Aufgabe, ſondern es kommt vielmehr darauf an, jene Elemente in ihr harmoniſches Verhältniß zu einander zu ſtellen.
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fordert das Weſen des Staats, daß ſich der Einzelne überhaupt, und
daß ſich mithin auch die Organismen, welche die Theilnahme des Ein-
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die Vereine, dem Staate unterordnen. Den Staat als ſolchen aber
vertritt der Regierungsorganismus, das Amtsweſen, auf allen Gebieten
der praktiſchen Thätigkeit. Damit treten ſich nun die beiden großen
Formen alles perſönlichen Lebens, die allgemeine und die Einzelperſön-
lichkeit entgegen, und während es kein Zweifel iſt, daß jede derſelben
ihren eigenen Organismus in der Verwaltung hat und haben ſoll, ent-
ſteht dagegen die Frage, ob und in wie weit eine Unterordnung der
einen Klaſſe von Organiſationen unter die andere ſtattfinden kann und muß.
Der naturgemäße Gang, der in ſolchen Gegenſätzen ſtets erſcheint,
iſt auch hier aufgetreten. Die erſte Bewegung, welche bei jeder Er-
ſcheinung weſentlich verſchiedener Kräfte ſtattfindet, iſt die Scheidung
beider, und die Entwicklung des Gegenſatzes. Und dieß iſt auch hier ein-
getreten, und nicht etwa bloß als ein vorübergehender hiſtoriſcher Zuſtand.
Es iſt vielmehr die Grundlage ſelbſt ſchon ein Gegenſatz, und ſo lange
es daher jene Organismen geben wird, ſo lange wird auch dieſer Gegen-
ſatz lebendig bleiben. Immer haben Selbſtverwaltung und Vereine
die Aktion des Regierungsorganismus ſo weit als möglich von ſich ge-
wieſen, immer hat die Regierungsgewalt andererſeits getrachtet, ſich
dieſelben entweder unmittelbar einzuverleiben oder doch ſie direkt ſich
unterordnen, und immer wird das bis zu einem gewiſſen Grade ge-
ſchehen. Und es iſt nicht bloß unvermeidlich, daß das geſchehe, ſondern
dieſer Gegenſatz in abſtrakter Form gedacht, iſt vielmehr ſelbſt ein noth-
wendiges und organiſches Element des Geſammtlebens, und jeder Staat
muß als gefährdet erſcheinen, wo derſelbe vollkommen verſchwunden iſt.
Denn in der That vertreten beide Grundformen des Organismus nicht
etwa bloß ihren eigenen Antheil an der vollziehenden Gewalt, indem
ſie ſich ſelbſt gegenüber dem andern vertheidigen; und eben ſo wenig
handelt es ſich bloß um den Werth der Maßregeln oder die Wichtigkeit
der Intereſſen, welche beide einander gegenüber zur Geltung bringen,
und die in der Selbſtändigkeit der Organe, durch welche ſie vertreten
werden, ihre eigene Selbſtändigkeit erkennen. Sie ſind vielmehr beide,
wie wir ſchon geſagt, Ausdrücke der beiden großen Elemente des menſch-
lichen Lebens überhaupt, des Ganzen und des Einzelnen, und das
Recht, welches jene Organe fordern und vertheidigen, iſt damit identiſch
mit der Exiſtenz dieſer ihrer eigenen Grundlage. Nicht daher daß jener
Gegenſatz da iſt, iſt ein Uebelſtand, und nicht ihn als ſolchen zu ver-
nichten, iſt die wahre Aufgabe, ſondern es kommt vielmehr darauf an,
jene Elemente in ihr harmoniſches Verhältniß zu einander zu ſtellen.
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/258>, abgerufen am 22.11.2024.
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