Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite
Die einzelnen großen Organismen der vollziehenden Gewalt.

Die Aufgabe des Folgenden ist es nun, die einzelnen großen Orga-
nismen der vollziehenden Gewalt für sich darzustellen, wie sie in dem
Bisherigen angedeutet sind. Wir müssen dabei von dem Satze aus-
gehen, daß diese Organismen durch den Begriff und das Wesen des
Staats absolut gegeben sind, und daher in jedem Staate vorkommen.
Der Unterschied der Staaten beruht nun auf dem Maße ihrer Ent-
wicklung und dem öffentlich rechtlichen Verhältniß derselben zu einander.
Sie sind daher die unabweisbaren Grundlagen jeder Vergleichung; die
Richtigkeit derselben hat ihr Kriterium äußerlich darin, daß es gar kein
Verhältniß des praktischen Lebens der Vollziehung gibt, das sich nicht
in einfacher und natürlicher Weise in die folgenden Grundbegriffe --
den Knochenbau der Verwaltung -- gleichsam von selbst einreiht. Wir
müssen immer darauf zurückkommen, daß jedermann es für etwas sehr
Unverständiges halten würde, eine willkürliche oder zufällig wechselnde
Eintheilung etwa in den Naturwissenschaften zu setzen; wie ist es dann
denkbar, daß während man doch von Begriff und Natur der Staaten
redet, bei diesen nicht eine eben so feste Grundlage ihres Lebens vor-
handen sein sollte? Und so stellen wir die folgenden Kategorien als die
allgemein gültigen auf, und werden versuchen, ihnen durch Hinweisung
auf die socialen Entwicklungen ihren Inhalt zu geben.

Der erste Organismus entsteht, indem ich die höchste persönliche
Form des Staates, das Staatsoberhaupt, als selbständiges Haupt der
vollziehenden Gewalt denke, und enthält die beiden Organismen der
Staatswürden und des Staatsrathes neben dem Staatsoberhaupt.

Der zweite Organismus ist der der Regierungsgewalt, und er-
scheint im Amtswesen, welches wieder die beiden Grundformen des
Ministerial- und des Behördensystems zeigt.

Der dritte Organismus ist der, den wir als den der Selbstver-
waltung bezeichnen, und der in drei Grundformen zerfällt, die Land-
schaft
, die Gemeinden und die Körperschaften.

Der vierte Organismus ist endlich der des Vereinswesens
mit seinem eigenthümlichen Systeme, das unten dargestellt wird.

Alle diese Organismen sind nun beständig thätig. Sie wirken
zwar jeder zunächst in seiner Weise, aber dennoch immer im innigsten
Zusammenhange mit einander. So bilden sie in ihrer eigenthümlichen
Thätigkeit das Leben des Staats. Aber sie sind hier, in der Lehre
von der Vollziehung noch ohne ihr bestimmtes Objekt gedacht; sie sind
die Organismen der Kraft des Staats, die Organe seiner That

Die einzelnen großen Organismen der vollziehenden Gewalt.

Die Aufgabe des Folgenden iſt es nun, die einzelnen großen Orga-
nismen der vollziehenden Gewalt für ſich darzuſtellen, wie ſie in dem
Bisherigen angedeutet ſind. Wir müſſen dabei von dem Satze aus-
gehen, daß dieſe Organismen durch den Begriff und das Weſen des
Staats abſolut gegeben ſind, und daher in jedem Staate vorkommen.
Der Unterſchied der Staaten beruht nun auf dem Maße ihrer Ent-
wicklung und dem öffentlich rechtlichen Verhältniß derſelben zu einander.
Sie ſind daher die unabweisbaren Grundlagen jeder Vergleichung; die
Richtigkeit derſelben hat ihr Kriterium äußerlich darin, daß es gar kein
Verhältniß des praktiſchen Lebens der Vollziehung gibt, das ſich nicht
in einfacher und natürlicher Weiſe in die folgenden Grundbegriffe —
den Knochenbau der Verwaltung — gleichſam von ſelbſt einreiht. Wir
müſſen immer darauf zurückkommen, daß jedermann es für etwas ſehr
Unverſtändiges halten würde, eine willkürliche oder zufällig wechſelnde
Eintheilung etwa in den Naturwiſſenſchaften zu ſetzen; wie iſt es dann
denkbar, daß während man doch von Begriff und Natur der Staaten
redet, bei dieſen nicht eine eben ſo feſte Grundlage ihres Lebens vor-
handen ſein ſollte? Und ſo ſtellen wir die folgenden Kategorien als die
allgemein gültigen auf, und werden verſuchen, ihnen durch Hinweiſung
auf die ſocialen Entwicklungen ihren Inhalt zu geben.

Der erſte Organismus entſteht, indem ich die höchſte perſönliche
Form des Staates, das Staatsoberhaupt, als ſelbſtändiges Haupt der
vollziehenden Gewalt denke, und enthält die beiden Organismen der
Staatswürden und des Staatsrathes neben dem Staatsoberhaupt.

Der zweite Organismus iſt der der Regierungsgewalt, und er-
ſcheint im Amtsweſen, welches wieder die beiden Grundformen des
Miniſterial- und des Behördenſyſtems zeigt.

Der dritte Organismus iſt der, den wir als den der Selbſtver-
waltung bezeichnen, und der in drei Grundformen zerfällt, die Land-
ſchaft
, die Gemeinden und die Körperſchaften.

Der vierte Organismus iſt endlich der des Vereinsweſens
mit ſeinem eigenthümlichen Syſteme, das unten dargeſtellt wird.

Alle dieſe Organismen ſind nun beſtändig thätig. Sie wirken
zwar jeder zunächſt in ſeiner Weiſe, aber dennoch immer im innigſten
Zuſammenhange mit einander. So bilden ſie in ihrer eigenthümlichen
Thätigkeit das Leben des Staats. Aber ſie ſind hier, in der Lehre
von der Vollziehung noch ohne ihr beſtimmtes Objekt gedacht; ſie ſind
die Organismen der Kraft des Staats, die Organe ſeiner That

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0282" n="258"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Die einzelnen großen Organismen der vollziehenden Gewalt.</hi> </head><lb/>
            <p>Die Aufgabe des Folgenden i&#x017F;t es nun, die einzelnen großen Orga-<lb/>
nismen der vollziehenden Gewalt für &#x017F;ich darzu&#x017F;tellen, wie &#x017F;ie in dem<lb/>
Bisherigen angedeutet &#x017F;ind. Wir mü&#x017F;&#x017F;en dabei von dem Satze aus-<lb/>
gehen, daß die&#x017F;e Organismen durch den Begriff und das We&#x017F;en des<lb/>
Staats <hi rendition="#g">ab&#x017F;olut</hi> gegeben &#x017F;ind, und daher in <hi rendition="#g">jedem</hi> Staate vorkommen.<lb/>
Der Unter&#x017F;chied der Staaten beruht nun auf dem Maße ihrer Ent-<lb/>
wicklung und dem öffentlich rechtlichen Verhältniß der&#x017F;elben zu einander.<lb/>
Sie &#x017F;ind daher die unabweisbaren Grundlagen jeder Vergleichung; die<lb/>
Richtigkeit der&#x017F;elben hat ihr Kriterium äußerlich darin, daß es gar kein<lb/>
Verhältniß des prakti&#x017F;chen Lebens der Vollziehung gibt, das &#x017F;ich nicht<lb/>
in einfacher und natürlicher Wei&#x017F;e in die folgenden Grundbegriffe &#x2014;<lb/>
den Knochenbau der Verwaltung &#x2014; gleich&#x017F;am von &#x017F;elb&#x017F;t einreiht. Wir<lb/>&#x017F;&#x017F;en immer darauf zurückkommen, daß jedermann es für etwas &#x017F;ehr<lb/>
Unver&#x017F;tändiges halten würde, eine willkürliche oder zufällig wech&#x017F;elnde<lb/>
Eintheilung etwa in den Naturwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften zu &#x017F;etzen; wie i&#x017F;t es dann<lb/>
denkbar, daß während man doch von Begriff und Natur der Staaten<lb/>
redet, bei die&#x017F;en nicht eine eben &#x017F;o fe&#x017F;te Grundlage ihres Lebens vor-<lb/>
handen &#x017F;ein &#x017F;ollte? Und &#x017F;o &#x017F;tellen wir die folgenden Kategorien als die<lb/>
allgemein gültigen auf, und werden ver&#x017F;uchen, ihnen durch Hinwei&#x017F;ung<lb/>
auf die &#x017F;ocialen Entwicklungen ihren Inhalt zu geben.</p><lb/>
            <p>Der <hi rendition="#g">er&#x017F;te</hi> Organismus ent&#x017F;teht, indem ich die höch&#x017F;te per&#x017F;önliche<lb/>
Form des Staates, das Staatsoberhaupt, als &#x017F;elb&#x017F;tändiges Haupt der<lb/>
vollziehenden Gewalt denke, und enthält die beiden Organismen der<lb/><hi rendition="#g">Staatswürden</hi> und des <hi rendition="#g">Staatsrathes</hi> neben dem Staatsoberhaupt.</p><lb/>
            <p>Der <hi rendition="#g">zweite</hi> Organismus i&#x017F;t der der Regierungsgewalt, und er-<lb/>
&#x017F;cheint im Amtswe&#x017F;en, welches wieder die beiden Grundformen des<lb/><hi rendition="#g">Mini&#x017F;terial</hi>- und des <hi rendition="#g">Behörden&#x017F;y&#x017F;tems</hi> zeigt.</p><lb/>
            <p>Der <hi rendition="#g">dritte</hi> Organismus i&#x017F;t der, den wir als den der Selb&#x017F;tver-<lb/>
waltung bezeichnen, und der in drei Grundformen zerfällt, die <hi rendition="#g">Land-<lb/>
&#x017F;chaft</hi>, die <hi rendition="#g">Gemeinden</hi> und die <hi rendition="#g">Körper&#x017F;chaften</hi>.</p><lb/>
            <p>Der <hi rendition="#g">vierte</hi> Organismus i&#x017F;t endlich der des <hi rendition="#g">Vereinswe&#x017F;ens</hi><lb/>
mit &#x017F;einem eigenthümlichen Sy&#x017F;teme, das unten darge&#x017F;tellt wird.</p><lb/>
            <p>Alle die&#x017F;e Organismen &#x017F;ind nun <hi rendition="#g">be&#x017F;tändig</hi> thätig. Sie wirken<lb/>
zwar jeder zunäch&#x017F;t in &#x017F;einer Wei&#x017F;e, aber dennoch immer im innig&#x017F;ten<lb/>
Zu&#x017F;ammenhange mit einander. So bilden &#x017F;ie in ihrer eigenthümlichen<lb/>
Thätigkeit das Leben des Staats. Aber &#x017F;ie &#x017F;ind hier, in der Lehre<lb/>
von der Vollziehung noch ohne ihr be&#x017F;timmtes Objekt gedacht; &#x017F;ie &#x017F;ind<lb/>
die Organismen der <hi rendition="#g">Kraft des Staats</hi>, die Organe &#x017F;einer That<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0282] Die einzelnen großen Organismen der vollziehenden Gewalt. Die Aufgabe des Folgenden iſt es nun, die einzelnen großen Orga- nismen der vollziehenden Gewalt für ſich darzuſtellen, wie ſie in dem Bisherigen angedeutet ſind. Wir müſſen dabei von dem Satze aus- gehen, daß dieſe Organismen durch den Begriff und das Weſen des Staats abſolut gegeben ſind, und daher in jedem Staate vorkommen. Der Unterſchied der Staaten beruht nun auf dem Maße ihrer Ent- wicklung und dem öffentlich rechtlichen Verhältniß derſelben zu einander. Sie ſind daher die unabweisbaren Grundlagen jeder Vergleichung; die Richtigkeit derſelben hat ihr Kriterium äußerlich darin, daß es gar kein Verhältniß des praktiſchen Lebens der Vollziehung gibt, das ſich nicht in einfacher und natürlicher Weiſe in die folgenden Grundbegriffe — den Knochenbau der Verwaltung — gleichſam von ſelbſt einreiht. Wir müſſen immer darauf zurückkommen, daß jedermann es für etwas ſehr Unverſtändiges halten würde, eine willkürliche oder zufällig wechſelnde Eintheilung etwa in den Naturwiſſenſchaften zu ſetzen; wie iſt es dann denkbar, daß während man doch von Begriff und Natur der Staaten redet, bei dieſen nicht eine eben ſo feſte Grundlage ihres Lebens vor- handen ſein ſollte? Und ſo ſtellen wir die folgenden Kategorien als die allgemein gültigen auf, und werden verſuchen, ihnen durch Hinweiſung auf die ſocialen Entwicklungen ihren Inhalt zu geben. Der erſte Organismus entſteht, indem ich die höchſte perſönliche Form des Staates, das Staatsoberhaupt, als ſelbſtändiges Haupt der vollziehenden Gewalt denke, und enthält die beiden Organismen der Staatswürden und des Staatsrathes neben dem Staatsoberhaupt. Der zweite Organismus iſt der der Regierungsgewalt, und er- ſcheint im Amtsweſen, welches wieder die beiden Grundformen des Miniſterial- und des Behördenſyſtems zeigt. Der dritte Organismus iſt der, den wir als den der Selbſtver- waltung bezeichnen, und der in drei Grundformen zerfällt, die Land- ſchaft, die Gemeinden und die Körperſchaften. Der vierte Organismus iſt endlich der des Vereinsweſens mit ſeinem eigenthümlichen Syſteme, das unten dargeſtellt wird. Alle dieſe Organismen ſind nun beſtändig thätig. Sie wirken zwar jeder zunächſt in ſeiner Weiſe, aber dennoch immer im innigſten Zuſammenhange mit einander. So bilden ſie in ihrer eigenthümlichen Thätigkeit das Leben des Staats. Aber ſie ſind hier, in der Lehre von der Vollziehung noch ohne ihr beſtimmtes Objekt gedacht; ſie ſind die Organismen der Kraft des Staats, die Organe ſeiner That

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/282
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/282>, abgerufen am 22.11.2024.