Es leuchtet ein aus dem Obigen, daß die allgemeine Voraussetzung des wahren Amtes in der Selbständigkeit der Vollziehung und Regierung gegenüber der Gesetzgebung, aber andererseits auch in dem organischen Proceß liegt, der beide Elemente wieder in Harmonie bringt. Nirgends erscheinen diese Grundlagen des verfassungsmäßigen Staatslebens so greifbar, als im Amt. Sein Recht ist in Wahrheit das Maß des letztern.
Daraus ergibt sich, weßhalb es in England eigentlich kein Amt im wahren Sinne des Wortes gibt noch geben kann. Denn in Eng- land hat die Verwaltung, vor allem die des Innern, gar keine Selbst- thätigkeit gegenüber der Gesetzgebung. Sie hat grundsätzlich kein Recht als das, die gegebenen Gesetze zu vollziehen; ja ihre einzelne Vollziehung ist selbst immer nur die Exekution eines Richterspruches, und die Ver- antwortlichkeit des Beamteten ist nur eine juristische; sie ist keine ethische, und kann es nicht sein. Es gibt daher in England keinen Beamten- stand; es gibt keinen Beruf für das Amt; es gibt nicht einmal ein Richteramt, sondern die Geschwornengerichte sind in der That die Aufhebung des selbständigen ethischen Beamtenstandes im Richterthum. Es gibt daher auch kein Amtsrecht; es gibt zwar Herkommen, das man hält, aber kein Gesetz, das man halten muß. Wesentlich wirkt dazu die Selbstverwaltung. Sie hat ihrerseits die Gesetzgebung zwar über sich, aber nichts anderes. Sie gehorcht nur dem Gesetz, niemals dem Gesammtinteresse als solchen, soweit es nicht ihr eigenes ist. Das Ge- sammtinteresse hat eben kein Organ für sich; es ist niemanden außerhalb den Volksvertretern die sittliche Pflicht auferlegt, dasselbe zu verstehen und zu vertreten. Daher ist der Beamtenstand, wenn man von ihm überhaupt reden will, ein höchst unvollkommener in England; vielleicht der unvollkommenste in ganz Europa, und nur die Tüchtigkeit des In- dividuums ist der Schutz gegen all das Uebel, das daraus entsteht. England beginnt das zu begreifen; man sieht deutlich das Ringen nach der Herstellung des wahren Beamtenthums; aber es wird noch viel sich mühen und viel im Einzelnen leiden, ehe es dahin gelangt.
Und wieder ist Frankreich das Gegentheil. In Frankreich ist die Verwaltung nicht bloß eine große, sondern sie ist eine zu große Macht. Sie ist ein innerlich festgeschlossenes Ganze; sie läßt nicht ein- mal das Gesetz in ihre Thätigkeiten hineingreifen; sie entscheidet mit grundsätzlicher Ausschließung des Gerichts nur selbst, und ganz einseitig über den Beamteten. Der Einfluß der Gesetzgebung auf das Einzelne in der Verwaltung existirt daher nicht; da wo die Ausführung beginnt, beginnt auch der Grundsatz, daß der einzelne Beamte nur dem höheren Organe verantwortlich ist. Die Folge ist, daß zwar für die Regierung
Es leuchtet ein aus dem Obigen, daß die allgemeine Vorausſetzung des wahren Amtes in der Selbſtändigkeit der Vollziehung und Regierung gegenüber der Geſetzgebung, aber andererſeits auch in dem organiſchen Proceß liegt, der beide Elemente wieder in Harmonie bringt. Nirgends erſcheinen dieſe Grundlagen des verfaſſungsmäßigen Staatslebens ſo greifbar, als im Amt. Sein Recht iſt in Wahrheit das Maß des letztern.
Daraus ergibt ſich, weßhalb es in England eigentlich kein Amt im wahren Sinne des Wortes gibt noch geben kann. Denn in Eng- land hat die Verwaltung, vor allem die des Innern, gar keine Selbſt- thätigkeit gegenüber der Geſetzgebung. Sie hat grundſätzlich kein Recht als das, die gegebenen Geſetze zu vollziehen; ja ihre einzelne Vollziehung iſt ſelbſt immer nur die Exekution eines Richterſpruches, und die Ver- antwortlichkeit des Beamteten iſt nur eine juriſtiſche; ſie iſt keine ethiſche, und kann es nicht ſein. Es gibt daher in England keinen Beamten- ſtand; es gibt keinen Beruf für das Amt; es gibt nicht einmal ein Richteramt, ſondern die Geſchwornengerichte ſind in der That die Aufhebung des ſelbſtändigen ethiſchen Beamtenſtandes im Richterthum. Es gibt daher auch kein Amtsrecht; es gibt zwar Herkommen, das man hält, aber kein Geſetz, das man halten muß. Weſentlich wirkt dazu die Selbſtverwaltung. Sie hat ihrerſeits die Geſetzgebung zwar über ſich, aber nichts anderes. Sie gehorcht nur dem Geſetz, niemals dem Geſammtintereſſe als ſolchen, ſoweit es nicht ihr eigenes iſt. Das Ge- ſammtintereſſe hat eben kein Organ für ſich; es iſt niemanden außerhalb den Volksvertretern die ſittliche Pflicht auferlegt, daſſelbe zu verſtehen und zu vertreten. Daher iſt der Beamtenſtand, wenn man von ihm überhaupt reden will, ein höchſt unvollkommener in England; vielleicht der unvollkommenſte in ganz Europa, und nur die Tüchtigkeit des In- dividuums iſt der Schutz gegen all das Uebel, das daraus entſteht. England beginnt das zu begreifen; man ſieht deutlich das Ringen nach der Herſtellung des wahren Beamtenthums; aber es wird noch viel ſich mühen und viel im Einzelnen leiden, ehe es dahin gelangt.
Und wieder iſt Frankreich das Gegentheil. In Frankreich iſt die Verwaltung nicht bloß eine große, ſondern ſie iſt eine zu große Macht. Sie iſt ein innerlich feſtgeſchloſſenes Ganze; ſie läßt nicht ein- mal das Geſetz in ihre Thätigkeiten hineingreifen; ſie entſcheidet mit grundſätzlicher Ausſchließung des Gerichts nur ſelbſt, und ganz einſeitig über den Beamteten. Der Einfluß der Geſetzgebung auf das Einzelne in der Verwaltung exiſtirt daher nicht; da wo die Ausführung beginnt, beginnt auch der Grundſatz, daß der einzelne Beamte nur dem höheren Organe verantwortlich iſt. Die Folge iſt, daß zwar für die Regierung
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Es leuchtet ein aus dem Obigen, daß die allgemeine Vorausſetzung
des wahren Amtes in der Selbſtändigkeit der Vollziehung und Regierung
gegenüber der Geſetzgebung, aber andererſeits auch in dem organiſchen
Proceß liegt, der beide Elemente wieder in Harmonie bringt. Nirgends
erſcheinen dieſe Grundlagen des verfaſſungsmäßigen Staatslebens ſo
greifbar, als im Amt. Sein Recht iſt in Wahrheit das Maß des
letztern.
Daraus ergibt ſich, weßhalb es in England eigentlich kein Amt
im wahren Sinne des Wortes gibt noch geben kann. Denn in Eng-
land hat die Verwaltung, vor allem die des Innern, gar keine Selbſt-
thätigkeit gegenüber der Geſetzgebung. Sie hat grundſätzlich kein Recht
als das, die gegebenen Geſetze zu vollziehen; ja ihre einzelne Vollziehung
iſt ſelbſt immer nur die Exekution eines Richterſpruches, und die Ver-
antwortlichkeit des Beamteten iſt nur eine juriſtiſche; ſie iſt keine ethiſche,
und kann es nicht ſein. Es gibt daher in England keinen Beamten-
ſtand; es gibt keinen Beruf für das Amt; es gibt nicht einmal ein
Richteramt, ſondern die Geſchwornengerichte ſind in der That die
Aufhebung des ſelbſtändigen ethiſchen Beamtenſtandes im Richterthum.
Es gibt daher auch kein Amtsrecht; es gibt zwar Herkommen, das man
hält, aber kein Geſetz, das man halten muß. Weſentlich wirkt dazu
die Selbſtverwaltung. Sie hat ihrerſeits die Geſetzgebung zwar über
ſich, aber nichts anderes. Sie gehorcht nur dem Geſetz, niemals dem
Geſammtintereſſe als ſolchen, ſoweit es nicht ihr eigenes iſt. Das Ge-
ſammtintereſſe hat eben kein Organ für ſich; es iſt niemanden außerhalb
den Volksvertretern die ſittliche Pflicht auferlegt, daſſelbe zu verſtehen
und zu vertreten. Daher iſt der Beamtenſtand, wenn man von ihm
überhaupt reden will, ein höchſt unvollkommener in England; vielleicht
der unvollkommenſte in ganz Europa, und nur die Tüchtigkeit des In-
dividuums iſt der Schutz gegen all das Uebel, das daraus entſteht.
England beginnt das zu begreifen; man ſieht deutlich das Ringen nach
der Herſtellung des wahren Beamtenthums; aber es wird noch viel ſich
mühen und viel im Einzelnen leiden, ehe es dahin gelangt.
Und wieder iſt Frankreich das Gegentheil. In Frankreich iſt
die Verwaltung nicht bloß eine große, ſondern ſie iſt eine zu große
Macht. Sie iſt ein innerlich feſtgeſchloſſenes Ganze; ſie läßt nicht ein-
mal das Geſetz in ihre Thätigkeiten hineingreifen; ſie entſcheidet mit
grundſätzlicher Ausſchließung des Gerichts nur ſelbſt, und ganz einſeitig
über den Beamteten. Der Einfluß der Geſetzgebung auf das Einzelne
in der Verwaltung exiſtirt daher nicht; da wo die Ausführung beginnt,
beginnt auch der Grundſatz, daß der einzelne Beamte nur dem höheren
Organe verantwortlich iſt. Die Folge iſt, daß zwar für die Regierung
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/318>, abgerufen am 26.11.2024.
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