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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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gebildet, daß das Amt in Organismus und Recht ein Theil der
Verfassung
sein, und daß die Gesetzgebung diese Standespflichten
und Standesrechte der Beamteten nach allen Seiten hin aufrecht zu
halten habe. Die Theorie hat das nicht geschaffen; aber man muß ihr
zur Ehre nachsagen, daß sie es verstanden, gefördert und gefestigt hat.
Und einen großen Schatz besitzt Deutschland in dieser seiner, ihm eigen-
thümlichen und hoffentlich unverlierbaren Idee des Beamtenthums.

Dasjenige nun, was wir den Inhalt des Amtswesens nennen,
wird erst auf der Grundlage dieser großen, wenn auch allgemeinen
Thatsachen recht klar werden. Denn in der That sind alle einzelnen
Sätze des Folgenden doch nur die Consequenzen jener Elemente; aus
ihnen haben sie sich gebildet, und auf sie müssen sie zurückgeführt
werden. Unsere Darstellung kann natürlich daher nur einen ersten
Versuch bilden.

Das englische Amtswesen hat in der That noch niemand verstanden als
Gneist; selbst Vincke in seiner Darstellung der inneren Verfassung Großbrit-
tanniens hat kaum Andeutungen. Die übrigen Deutschen, die mehr beiläufig
auf die Sache kommen, sehen eigentlich nicht viel mehr darin, als entweder das
Recht der gerichtlichen Verantwortlichkeit des Beamteten, oder die Selbstwahl
desselben, wobei noch in der Regel der Friedensrichter ganz mißverstanden und
als ein Beamteter der Selbstverwaltung angesehen wird. Erst Gneist hat das
wahre Wesen der Sache erfaßt, denn er ist der Erste, der es mit deutschem
Leben in Vergleichung zu bringen die Kraft hatte. Es bleibt uns nichts übrig,
als auf sein Werk und namentlich den Schluß des ersten Bandes hinzuweisen.

Es ist sehr bezeichnend für Frankreich, daß es trotz der großen Ausbildung
des droit administratif keine Darstellung des Amtswesens und des Amtsrechts
hat. Die französische Sprache hat eigentlich auch kein Wort für Amt und Be-
amteten, denn es entspricht weder der Ausdruck Magistrature, das dem Wort
Obrigkeit am nächsten kommt, noch fonctionnaire, noch employe. Es gibt daher
auch keine Gesetzgebung über das Staatsdienerrecht; die betreffenden übrigens
sehr reichhaltigen Gesetze beziehen sich nur auf die Organisation und die Com-
petenz. Frankreichs Amtswesen kann überhaupt nur in inniger Verbindung mit
dem ganzen Verwaltungsrecht verstanden werden. Einen Versuch, den Geist des
Amtswesens in Frankreich und seine Geschichte darzustellen, enthält die schöne
Abhandlung von Barante, Questions constitutionnelles (1849) Ch. IV. des
emplois publics.
Das gegenwärtige Recht ist mit großer Klarheit aufgestellt
in Block, Dictionnaire de l'Administration v. fonctionnaires.

Daß dagegen in Deutschland das Amt Gegenstand einer großen und ein-
gehenden Literatur geworden, liegt schon in dem deutschen Wesen desselben.
Und es ist selbst bei untergeordneten Arbeiten auf diesem Gebiete merkwürdig,
wie groß die Uebereinstimmung in der Grundauffassung, in Philosophie und
Staatsrecht ist, so lange und so weit beide sich überhaupt mit dem Gegenstande
beschäftigen.


gebildet, daß das Amt in Organismus und Recht ein Theil der
Verfaſſung
ſein, und daß die Geſetzgebung dieſe Standespflichten
und Standesrechte der Beamteten nach allen Seiten hin aufrecht zu
halten habe. Die Theorie hat das nicht geſchaffen; aber man muß ihr
zur Ehre nachſagen, daß ſie es verſtanden, gefördert und gefeſtigt hat.
Und einen großen Schatz beſitzt Deutſchland in dieſer ſeiner, ihm eigen-
thümlichen und hoffentlich unverlierbaren Idee des Beamtenthums.

Dasjenige nun, was wir den Inhalt des Amtsweſens nennen,
wird erſt auf der Grundlage dieſer großen, wenn auch allgemeinen
Thatſachen recht klar werden. Denn in der That ſind alle einzelnen
Sätze des Folgenden doch nur die Conſequenzen jener Elemente; aus
ihnen haben ſie ſich gebildet, und auf ſie müſſen ſie zurückgeführt
werden. Unſere Darſtellung kann natürlich daher nur einen erſten
Verſuch bilden.

Das engliſche Amtsweſen hat in der That noch niemand verſtanden als
Gneiſt; ſelbſt Vincke in ſeiner Darſtellung der inneren Verfaſſung Großbrit-
tanniens hat kaum Andeutungen. Die übrigen Deutſchen, die mehr beiläufig
auf die Sache kommen, ſehen eigentlich nicht viel mehr darin, als entweder das
Recht der gerichtlichen Verantwortlichkeit des Beamteten, oder die Selbſtwahl
deſſelben, wobei noch in der Regel der Friedensrichter ganz mißverſtanden und
als ein Beamteter der Selbſtverwaltung angeſehen wird. Erſt Gneiſt hat das
wahre Weſen der Sache erfaßt, denn er iſt der Erſte, der es mit deutſchem
Leben in Vergleichung zu bringen die Kraft hatte. Es bleibt uns nichts übrig,
als auf ſein Werk und namentlich den Schluß des erſten Bandes hinzuweiſen.

Es iſt ſehr bezeichnend für Frankreich, daß es trotz der großen Ausbildung
des droit administratif keine Darſtellung des Amtsweſens und des Amtsrechts
hat. Die franzöſiſche Sprache hat eigentlich auch kein Wort für Amt und Be-
amteten, denn es entſpricht weder der Ausdruck Magistrature, das dem Wort
Obrigkeit am nächſten kommt, noch fonctionnaire, noch employé. Es gibt daher
auch keine Geſetzgebung über das Staatsdienerrecht; die betreffenden übrigens
ſehr reichhaltigen Geſetze beziehen ſich nur auf die Organiſation und die Com-
petenz. Frankreichs Amtsweſen kann überhaupt nur in inniger Verbindung mit
dem ganzen Verwaltungsrecht verſtanden werden. Einen Verſuch, den Geiſt des
Amtsweſens in Frankreich und ſeine Geſchichte darzuſtellen, enthält die ſchöne
Abhandlung von Barante, Questions constitutionnelles (1849) Ch. IV. des
emplois publics.
Das gegenwärtige Recht iſt mit großer Klarheit aufgeſtellt
in Block, Dictionnaire de l’Administration v. fonctionnaires.

Daß dagegen in Deutſchland das Amt Gegenſtand einer großen und ein-
gehenden Literatur geworden, liegt ſchon in dem deutſchen Weſen deſſelben.
Und es iſt ſelbſt bei untergeordneten Arbeiten auf dieſem Gebiete merkwürdig,
wie groß die Uebereinſtimmung in der Grundauffaſſung, in Philoſophie und
Staatsrecht iſt, ſo lange und ſo weit beide ſich überhaupt mit dem Gegenſtande
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[296/0320] gebildet, daß das Amt in Organismus und Recht ein Theil der Verfaſſung ſein, und daß die Geſetzgebung dieſe Standespflichten und Standesrechte der Beamteten nach allen Seiten hin aufrecht zu halten habe. Die Theorie hat das nicht geſchaffen; aber man muß ihr zur Ehre nachſagen, daß ſie es verſtanden, gefördert und gefeſtigt hat. Und einen großen Schatz beſitzt Deutſchland in dieſer ſeiner, ihm eigen- thümlichen und hoffentlich unverlierbaren Idee des Beamtenthums. Dasjenige nun, was wir den Inhalt des Amtsweſens nennen, wird erſt auf der Grundlage dieſer großen, wenn auch allgemeinen Thatſachen recht klar werden. Denn in der That ſind alle einzelnen Sätze des Folgenden doch nur die Conſequenzen jener Elemente; aus ihnen haben ſie ſich gebildet, und auf ſie müſſen ſie zurückgeführt werden. Unſere Darſtellung kann natürlich daher nur einen erſten Verſuch bilden. Das engliſche Amtsweſen hat in der That noch niemand verſtanden als Gneiſt; ſelbſt Vincke in ſeiner Darſtellung der inneren Verfaſſung Großbrit- tanniens hat kaum Andeutungen. Die übrigen Deutſchen, die mehr beiläufig auf die Sache kommen, ſehen eigentlich nicht viel mehr darin, als entweder das Recht der gerichtlichen Verantwortlichkeit des Beamteten, oder die Selbſtwahl deſſelben, wobei noch in der Regel der Friedensrichter ganz mißverſtanden und als ein Beamteter der Selbſtverwaltung angeſehen wird. Erſt Gneiſt hat das wahre Weſen der Sache erfaßt, denn er iſt der Erſte, der es mit deutſchem Leben in Vergleichung zu bringen die Kraft hatte. Es bleibt uns nichts übrig, als auf ſein Werk und namentlich den Schluß des erſten Bandes hinzuweiſen. Es iſt ſehr bezeichnend für Frankreich, daß es trotz der großen Ausbildung des droit administratif keine Darſtellung des Amtsweſens und des Amtsrechts hat. Die franzöſiſche Sprache hat eigentlich auch kein Wort für Amt und Be- amteten, denn es entſpricht weder der Ausdruck Magistrature, das dem Wort Obrigkeit am nächſten kommt, noch fonctionnaire, noch employé. Es gibt daher auch keine Geſetzgebung über das Staatsdienerrecht; die betreffenden übrigens ſehr reichhaltigen Geſetze beziehen ſich nur auf die Organiſation und die Com- petenz. Frankreichs Amtsweſen kann überhaupt nur in inniger Verbindung mit dem ganzen Verwaltungsrecht verſtanden werden. Einen Verſuch, den Geiſt des Amtsweſens in Frankreich und ſeine Geſchichte darzuſtellen, enthält die ſchöne Abhandlung von Barante, Questions constitutionnelles (1849) Ch. IV. des emplois publics. Das gegenwärtige Recht iſt mit großer Klarheit aufgeſtellt in Block, Dictionnaire de l’Administration v. fonctionnaires. Daß dagegen in Deutſchland das Amt Gegenſtand einer großen und ein- gehenden Literatur geworden, liegt ſchon in dem deutſchen Weſen deſſelben. Und es iſt ſelbſt bei untergeordneten Arbeiten auf dieſem Gebiete merkwürdig, wie groß die Uebereinſtimmung in der Grundauffaſſung, in Philoſophie und Staatsrecht iſt, ſo lange und ſo weit beide ſich überhaupt mit dem Gegenſtande beſchäftigen.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/320>, abgerufen am 25.11.2024.