Staats zum Inhalt, und muß daher in allen Formen und Gestaltun- gen, die sie annehmen mag, immer dieselbe sein. Sie muß von diesem Standpunkt betrachtet, nichts zum Inhalt haben, als eben den Willen des Staats, wo ein solcher Wille bestimmt und gegeben vorliegt; wo aber ein solcher ausdrücklicher Wille mangelt, da muß sie aus dem Wesen des Staats die Aufgabe und Richtung ihrer Thätigkeit schöpfen, und die formelle Willensbildung des Staats durch ihren eigenen Willen ersetzen. Sie erscheint daher hier nur noch als die reine Kraft des, seinen Willen vollziehenden oder durch seine Thätigkeit sein Wesen verwirk- lichenden Staats, noch ohne Rücksicht auf die Objekte desselben; und in diesem Sinne nennen wir sie die vollziehende Gewalt, und diese abstrakt, und noch ohne bestimmten Inhalt gedachte Thätigkeit dieser Gewalt die Vollziehung.
Andrerseits ist diese vollziehende Gewalt für sich gedacht, nur der Organismus der Möglichkeit der Thätigkeit, oder die Kraft für sich. Die wirkliche Thätigkeit entsteht, sowie diese Vollziehung nun die wirk- lichen Verhältnisse und Gegenstände des Staatslebens ergreift, und in ihnen den Willen oder das Wesen des Staats concret zur Verwirklichung bringen will. Hier empfängt die vollziehende Gewalt ihre Aufgabe an ihrem Objekte; sie muß wie schon gesagt, dasselbe innerlich und äußer- lich verarbeiten; die Gesetze des Lebens dieser Objekte bringen sich zur Geltung und geben der Vollziehung Gestalt und Maß, Mittel und Ziel; die großen Gebiete desselben theilen die letzten selbst wieder in große, ihnen entsprechende Funktionen, und die Vollziehung, insofern sie auf diese Weise Gestalt, Eintheilung und Namen durch Natur und Kraft ihrer Objekte empfängt, heißt dann die Verwaltung.
Man kann daher sagen, daß das thätige Leben des Staats sich in diesen zwei Grundformen, Vollziehung und Verwaltung darstellt; jene die Kraft an sich, aus welcher die Thätigkeit hervorgeht, diese die wirk- liche Thätigkeit, welche die Kraft enthält. Es leuchtet ein, daß in diesem Sinne Vollziehung und Verwaltung zugleich den Ausdruck der beiden Beziehungen enthalten, in denen die Thätigkeit des Staats steht. Die Vollziehung bedeutet und enthält das Verhältniß der Thätigkeit zum Willen und Wesen zu Gesetz und Natur des Staats, die Verwaltung das Verhältniß desselben zum concreten Leben, das der Staat umfaßt, und zu der Macht der Thatsachen in seinem materiellen Dasein. Da- her lassen sich beide äußerlich gar nicht trennen; es giebt keine Voll- ziehung ohne eine Verwaltung, und keine Verwaltung ohne eine Voll- ziehung; sie sind stets verbunden wie zwei Seiten derselben Fläche, aber dennoch stets verschieden wie jene. Allerdings können wir in der Psycho- logie des Einzelnen jenen Unterschied thatsächlich nicht verfolgen; die
Staats zum Inhalt, und muß daher in allen Formen und Geſtaltun- gen, die ſie annehmen mag, immer dieſelbe ſein. Sie muß von dieſem Standpunkt betrachtet, nichts zum Inhalt haben, als eben den Willen des Staats, wo ein ſolcher Wille beſtimmt und gegeben vorliegt; wo aber ein ſolcher ausdrücklicher Wille mangelt, da muß ſie aus dem Weſen des Staats die Aufgabe und Richtung ihrer Thätigkeit ſchöpfen, und die formelle Willensbildung des Staats durch ihren eigenen Willen erſetzen. Sie erſcheint daher hier nur noch als die reine Kraft des, ſeinen Willen vollziehenden oder durch ſeine Thätigkeit ſein Weſen verwirk- lichenden Staats, noch ohne Rückſicht auf die Objekte deſſelben; und in dieſem Sinne nennen wir ſie die vollziehende Gewalt, und dieſe abſtrakt, und noch ohne beſtimmten Inhalt gedachte Thätigkeit dieſer Gewalt die Vollziehung.
Andrerſeits iſt dieſe vollziehende Gewalt für ſich gedacht, nur der Organismus der Möglichkeit der Thätigkeit, oder die Kraft für ſich. Die wirkliche Thätigkeit entſteht, ſowie dieſe Vollziehung nun die wirk- lichen Verhältniſſe und Gegenſtände des Staatslebens ergreift, und in ihnen den Willen oder das Weſen des Staats concret zur Verwirklichung bringen will. Hier empfängt die vollziehende Gewalt ihre Aufgabe an ihrem Objekte; ſie muß wie ſchon geſagt, daſſelbe innerlich und äußer- lich verarbeiten; die Geſetze des Lebens dieſer Objekte bringen ſich zur Geltung und geben der Vollziehung Geſtalt und Maß, Mittel und Ziel; die großen Gebiete deſſelben theilen die letzten ſelbſt wieder in große, ihnen entſprechende Funktionen, und die Vollziehung, inſofern ſie auf dieſe Weiſe Geſtalt, Eintheilung und Namen durch Natur und Kraft ihrer Objekte empfängt, heißt dann die Verwaltung.
Man kann daher ſagen, daß das thätige Leben des Staats ſich in dieſen zwei Grundformen, Vollziehung und Verwaltung darſtellt; jene die Kraft an ſich, aus welcher die Thätigkeit hervorgeht, dieſe die wirk- liche Thätigkeit, welche die Kraft enthält. Es leuchtet ein, daß in dieſem Sinne Vollziehung und Verwaltung zugleich den Ausdruck der beiden Beziehungen enthalten, in denen die Thätigkeit des Staats ſteht. Die Vollziehung bedeutet und enthält das Verhältniß der Thätigkeit zum Willen und Weſen zu Geſetz und Natur des Staats, die Verwaltung das Verhältniß deſſelben zum concreten Leben, das der Staat umfaßt, und zu der Macht der Thatſachen in ſeinem materiellen Daſein. Da- her laſſen ſich beide äußerlich gar nicht trennen; es giebt keine Voll- ziehung ohne eine Verwaltung, und keine Verwaltung ohne eine Voll- ziehung; ſie ſind ſtets verbunden wie zwei Seiten derſelben Fläche, aber dennoch ſtets verſchieden wie jene. Allerdings können wir in der Pſycho- logie des Einzelnen jenen Unterſchied thatſächlich nicht verfolgen; die
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[9/0033]
Staats zum Inhalt, und muß daher in allen Formen und Geſtaltun-
gen, die ſie annehmen mag, immer dieſelbe ſein. Sie muß von dieſem
Standpunkt betrachtet, nichts zum Inhalt haben, als eben den Willen
des Staats, wo ein ſolcher Wille beſtimmt und gegeben vorliegt; wo
aber ein ſolcher ausdrücklicher Wille mangelt, da muß ſie aus dem
Weſen des Staats die Aufgabe und Richtung ihrer Thätigkeit ſchöpfen,
und die formelle Willensbildung des Staats durch ihren eigenen Willen
erſetzen. Sie erſcheint daher hier nur noch als die reine Kraft des, ſeinen
Willen vollziehenden oder durch ſeine Thätigkeit ſein Weſen verwirk-
lichenden Staats, noch ohne Rückſicht auf die Objekte deſſelben; und in
dieſem Sinne nennen wir ſie die vollziehende Gewalt, und dieſe
abſtrakt, und noch ohne beſtimmten Inhalt gedachte Thätigkeit dieſer
Gewalt die Vollziehung.
Andrerſeits iſt dieſe vollziehende Gewalt für ſich gedacht, nur der
Organismus der Möglichkeit der Thätigkeit, oder die Kraft für ſich.
Die wirkliche Thätigkeit entſteht, ſowie dieſe Vollziehung nun die wirk-
lichen Verhältniſſe und Gegenſtände des Staatslebens ergreift, und in
ihnen den Willen oder das Weſen des Staats concret zur Verwirklichung
bringen will. Hier empfängt die vollziehende Gewalt ihre Aufgabe an
ihrem Objekte; ſie muß wie ſchon geſagt, daſſelbe innerlich und äußer-
lich verarbeiten; die Geſetze des Lebens dieſer Objekte bringen ſich zur
Geltung und geben der Vollziehung Geſtalt und Maß, Mittel und Ziel;
die großen Gebiete deſſelben theilen die letzten ſelbſt wieder in große,
ihnen entſprechende Funktionen, und die Vollziehung, inſofern ſie
auf dieſe Weiſe Geſtalt, Eintheilung und Namen durch Natur und
Kraft ihrer Objekte empfängt, heißt dann die Verwaltung.
Man kann daher ſagen, daß das thätige Leben des Staats ſich in
dieſen zwei Grundformen, Vollziehung und Verwaltung darſtellt; jene
die Kraft an ſich, aus welcher die Thätigkeit hervorgeht, dieſe die wirk-
liche Thätigkeit, welche die Kraft enthält. Es leuchtet ein, daß in dieſem
Sinne Vollziehung und Verwaltung zugleich den Ausdruck der beiden
Beziehungen enthalten, in denen die Thätigkeit des Staats ſteht. Die
Vollziehung bedeutet und enthält das Verhältniß der Thätigkeit zum
Willen und Weſen zu Geſetz und Natur des Staats, die Verwaltung
das Verhältniß deſſelben zum concreten Leben, das der Staat umfaßt,
und zu der Macht der Thatſachen in ſeinem materiellen Daſein. Da-
her laſſen ſich beide äußerlich gar nicht trennen; es giebt keine Voll-
ziehung ohne eine Verwaltung, und keine Verwaltung ohne eine Voll-
ziehung; ſie ſind ſtets verbunden wie zwei Seiten derſelben Fläche, aber
dennoch ſtets verſchieden wie jene. Allerdings können wir in der Pſycho-
logie des Einzelnen jenen Unterſchied thatſächlich nicht verfolgen; die
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/33>, abgerufen am 23.11.2024.
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