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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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Der Rath hat sich eine individuelle Ueberzeugung nicht bloß zu bilden,
sondern sie auch selbständig zu vertreten, da im Grunde nur der Fürst
persönlich entscheidet; der Referent hat keine Entscheidung, sondern nur
eine Ansicht aufzustellen, und die Entscheidung gehört dem Minister.
Er muß ihm daher die Elemente der Entscheidung vorlegen; diese sind
erstlich die Thatsachen, und zweitens ein Antrag. Der Vortrag des
Referenten wird daher stets den Charakter eines Berichtes haben, während
der Vortrag des Rathes ein begründetes Urtheil ist. Die Selbstthätig-
keit des Rathes ist daher größer; aber die Einheit der Aktion kann nur
auf dem Referate beruhen. Die Gesammtheit der Referenten für den
Minister und unter ihm bildet das Ministerium. Daß jeder Referent
wieder ein eigenes Organ für seine Thätigkeit, sein Bureau, hat,
versteht sich. Wie es genannt wird, ist einerlei. Die Sektion ist
eine Gesammtheit von Referenten oder Bureaus mit gleichartigem Ge-
biet. Sie ist eigentlich die Form, in welcher sich das Collegialsystem
im Ministerialsystem wiederholt, denn der Sektionschef hat nichts zu
entscheiden, sondern die Referate berathen zu lassen. Hier sind in der
Ausführung verschiedene Modalitäten möglich und vorhanden. Sie
ändern das Wesen der Sache nicht. Das Ministerium ist in allen
Staaten Europas grundsätzlich gleichgestaltet.

4) Das Recht des Ministeriums, vertreten in dem Rechte des
Ministers, ist nun demgemäß nichts anderes als der Ausdruck seiner
organischen Funktion im gesammten Organismus. Es erscheint daher
in zwei Grundformen.

Zuerst beruht die organische Stellung des Ministeriums darauf,
das entscheidende Organ für die Vollziehung überhaupt zu sein. Es
muß daher das Recht in Anspruch nehmen, daß jeder Akt der Voll-
ziehung als von ihm ausgehend gesetzt werde. Es kann daher im
Ministerialsystem gar kein Gebiet des wirklichen Staatslebens geben,
das nicht in irgend einer Weise unter irgend einem Ministerium stünde,
nur mit Ausnahme der Organe der Staatsgewalt. Ohne die strenge
Durchführung dieses Grundsatzes ist keine Durchführung der Verant-
wortlichkeit denkbar.

So einfach dieser Grundsatz für den Regierungsorganismus oder
das Amtswesen ist, so schwierig und bedeutungsvoll wird derselbe für
die Thätigkeit der Selbstverwaltung und der Vereine. Beiden steht,
wie wir sehen werden, ein Recht der selbständigen vollziehenden Thätig-
keit zu. Dieselbe greift auf allen Punkten gleichsam mitten in die Funktion
der Regierung hinein. Es sind verhältnißmäßig nur sehr wenige Ge-
biete der letzteren, die nicht durch Landschaft, Gemeinde und Vereine
bestimmt werden. Das Princip der freien Persönlichkeit fordert diese

Der Rath hat ſich eine individuelle Ueberzeugung nicht bloß zu bilden,
ſondern ſie auch ſelbſtändig zu vertreten, da im Grunde nur der Fürſt
perſönlich entſcheidet; der Referent hat keine Entſcheidung, ſondern nur
eine Anſicht aufzuſtellen, und die Entſcheidung gehört dem Miniſter.
Er muß ihm daher die Elemente der Entſcheidung vorlegen; dieſe ſind
erſtlich die Thatſachen, und zweitens ein Antrag. Der Vortrag des
Referenten wird daher ſtets den Charakter eines Berichtes haben, während
der Vortrag des Rathes ein begründetes Urtheil iſt. Die Selbſtthätig-
keit des Rathes iſt daher größer; aber die Einheit der Aktion kann nur
auf dem Referate beruhen. Die Geſammtheit der Referenten für den
Miniſter und unter ihm bildet das Miniſterium. Daß jeder Referent
wieder ein eigenes Organ für ſeine Thätigkeit, ſein Bureau, hat,
verſteht ſich. Wie es genannt wird, iſt einerlei. Die Sektion iſt
eine Geſammtheit von Referenten oder Bureaus mit gleichartigem Ge-
biet. Sie iſt eigentlich die Form, in welcher ſich das Collegialſyſtem
im Miniſterialſyſtem wiederholt, denn der Sektionschef hat nichts zu
entſcheiden, ſondern die Referate berathen zu laſſen. Hier ſind in der
Ausführung verſchiedene Modalitäten möglich und vorhanden. Sie
ändern das Weſen der Sache nicht. Das Miniſterium iſt in allen
Staaten Europas grundſätzlich gleichgeſtaltet.

4) Das Recht des Miniſteriums, vertreten in dem Rechte des
Miniſters, iſt nun demgemäß nichts anderes als der Ausdruck ſeiner
organiſchen Funktion im geſammten Organismus. Es erſcheint daher
in zwei Grundformen.

Zuerſt beruht die organiſche Stellung des Miniſteriums darauf,
das entſcheidende Organ für die Vollziehung überhaupt zu ſein. Es
muß daher das Recht in Anſpruch nehmen, daß jeder Akt der Voll-
ziehung als von ihm ausgehend geſetzt werde. Es kann daher im
Miniſterialſyſtem gar kein Gebiet des wirklichen Staatslebens geben,
das nicht in irgend einer Weiſe unter irgend einem Miniſterium ſtünde,
nur mit Ausnahme der Organe der Staatsgewalt. Ohne die ſtrenge
Durchführung dieſes Grundſatzes iſt keine Durchführung der Verant-
wortlichkeit denkbar.

So einfach dieſer Grundſatz für den Regierungsorganismus oder
das Amtsweſen iſt, ſo ſchwierig und bedeutungsvoll wird derſelbe für
die Thätigkeit der Selbſtverwaltung und der Vereine. Beiden ſteht,
wie wir ſehen werden, ein Recht der ſelbſtändigen vollziehenden Thätig-
keit zu. Dieſelbe greift auf allen Punkten gleichſam mitten in die Funktion
der Regierung hinein. Es ſind verhältnißmäßig nur ſehr wenige Ge-
biete der letzteren, die nicht durch Landſchaft, Gemeinde und Vereine
beſtimmt werden. Das Princip der freien Perſönlichkeit fordert dieſe

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[309/0333] Der Rath hat ſich eine individuelle Ueberzeugung nicht bloß zu bilden, ſondern ſie auch ſelbſtändig zu vertreten, da im Grunde nur der Fürſt perſönlich entſcheidet; der Referent hat keine Entſcheidung, ſondern nur eine Anſicht aufzuſtellen, und die Entſcheidung gehört dem Miniſter. Er muß ihm daher die Elemente der Entſcheidung vorlegen; dieſe ſind erſtlich die Thatſachen, und zweitens ein Antrag. Der Vortrag des Referenten wird daher ſtets den Charakter eines Berichtes haben, während der Vortrag des Rathes ein begründetes Urtheil iſt. Die Selbſtthätig- keit des Rathes iſt daher größer; aber die Einheit der Aktion kann nur auf dem Referate beruhen. Die Geſammtheit der Referenten für den Miniſter und unter ihm bildet das Miniſterium. Daß jeder Referent wieder ein eigenes Organ für ſeine Thätigkeit, ſein Bureau, hat, verſteht ſich. Wie es genannt wird, iſt einerlei. Die Sektion iſt eine Geſammtheit von Referenten oder Bureaus mit gleichartigem Ge- biet. Sie iſt eigentlich die Form, in welcher ſich das Collegialſyſtem im Miniſterialſyſtem wiederholt, denn der Sektionschef hat nichts zu entſcheiden, ſondern die Referate berathen zu laſſen. Hier ſind in der Ausführung verſchiedene Modalitäten möglich und vorhanden. Sie ändern das Weſen der Sache nicht. Das Miniſterium iſt in allen Staaten Europas grundſätzlich gleichgeſtaltet. 4) Das Recht des Miniſteriums, vertreten in dem Rechte des Miniſters, iſt nun demgemäß nichts anderes als der Ausdruck ſeiner organiſchen Funktion im geſammten Organismus. Es erſcheint daher in zwei Grundformen. Zuerſt beruht die organiſche Stellung des Miniſteriums darauf, das entſcheidende Organ für die Vollziehung überhaupt zu ſein. Es muß daher das Recht in Anſpruch nehmen, daß jeder Akt der Voll- ziehung als von ihm ausgehend geſetzt werde. Es kann daher im Miniſterialſyſtem gar kein Gebiet des wirklichen Staatslebens geben, das nicht in irgend einer Weiſe unter irgend einem Miniſterium ſtünde, nur mit Ausnahme der Organe der Staatsgewalt. Ohne die ſtrenge Durchführung dieſes Grundſatzes iſt keine Durchführung der Verant- wortlichkeit denkbar. So einfach dieſer Grundſatz für den Regierungsorganismus oder das Amtsweſen iſt, ſo ſchwierig und bedeutungsvoll wird derſelbe für die Thätigkeit der Selbſtverwaltung und der Vereine. Beiden ſteht, wie wir ſehen werden, ein Recht der ſelbſtändigen vollziehenden Thätig- keit zu. Dieſelbe greift auf allen Punkten gleichſam mitten in die Funktion der Regierung hinein. Es ſind verhältnißmäßig nur ſehr wenige Ge- biete der letzteren, die nicht durch Landſchaft, Gemeinde und Vereine beſtimmt werden. Das Princip der freien Perſönlichkeit fordert dieſe

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/333>, abgerufen am 24.11.2024.