hinein, und so entstanden beständige Reibungen, die natürlich noch größer wurden, wo diese Selbstverwaltung noch immer, wie in Bayern und Preußen, mit der alten Grundherrlichkeit so enge zusammenhängt, und deßhalb nach dem Muster des vorigen Jahrhunderts sich jeder amtlichen Verwaltung principiell und thatsächlich opponirt -- etwas, was in der Mairie undenkbar ist. An- dererseits aber hatte man dadurch in Deutschland faktisch in den drei Kate- gorien: Provinz, Kreis und Bezirk (Departement, Arrondissement und Canton) nicht drei Stufen, sondern drei Mittelbehörden, da die Ge- meinde im Grunde die unterste Stufe war. Daraus folgte, daß der praktische Gang der geschäftlichen Erledigungen ein unnöthig schleppender ward, und daß die Fragen, und mehr noch die Beschwerden über die unterste Mittelbehörde, den Amtmann, oder Landrath, oder Bezirkshauptmann, drei Instanzen durch- laufen mußten, ehe sie zum Ministerium kommen, wodurch im Grunde jedesmal vier Instanzen herauskommen. Diese beiden Gründe zusammenwirkend sind es, welche einen gewissen Antagonismus gegen das deutsche Behördensystem er- zeugt haben, der sich als die bekannte spezifische Klage der Vielregiererei, der Vielschreiberei und selbst der Büreaukratie erzeugt haben. Dazu kam der Grundsatz, daß die ganze Competenz und Thätigkeit dieser Mittel- behörden, wie namentlich in Preußen, nur durch die Instruktionen der Mini- sterien bestimmt ward; schon seit der großen Instruktion für die Regie- rungen von 1817 beginnt die Strenge der Büreaukratie sich ernsthaft fühlbar zu machen, und sich von ihnen auf die Thätigkeit der Landräthe auszudehnen. (Rönne, Preußisches Staatsrecht II. S. 167 ff. und 174.) Man wird jetzt begreifen, weßhalb diese Klage nur in Deutschland entstehen konnte, während Frankreich sie nicht kennt; denn in der That regiert der Verwaltungsorganismus Frankreichs nicht zu viel, sondern allein, aber in einfacherer Weise, und namentlich nicht im Gegensatze zur Selbstverwaltung, die sich in Deutschland durch das obige System mehr geengt und gedrückt, als wirklich beinträchtigt fühlte. Diesem Gefühle hat vielleicht niemand besseren Ausdruck gegeben, als Bülau (Be- hörden 1836), dessen Abschnitt "Mittelbehörden" S. 202 vielleicht der bedeu- tendste Theil des ganzen Werkes ist. Man wird von dem obigen Gesichtspunkte aus auch nunmehr verstehen, wenn Bülau sich im Allgemeinen so entschieden gegen das System der Mittelbehörden erklärt, und dieß mit dem Satze be- gründet: "Es ist die Summe alles Staatsrechts, aller Staatsweisheit, aller Staatswirthschaft und aller Finanzkunst, daß der Staat nichts thun soll, was er nicht seiner Bestimmung nach thun muß -- und überall lieber zu wenig, als zu viel" S. 205. "Diese Behörden," sagt er weiter, "werden immer nur Durchgangsposten sein. Das alte Sprichwort von dem Kaiser gilt auch vom Staate. Es ist für das Volk besser, wenn seine Behörden zu wenig, als wenn sie zu viel Zeit haben -- denn die Geschäfte werden vermehrt, aber es wird dadurch kein Geschäft weniger, sondern viele werden verdoppelt, werden von zwei Behörden betrieben" S. 211. Es ist kein Zweifel, daß er im Grunde ganz Recht hat, wenn er auch zu weit geht, und bis zur Verurtheilung aller Unterbehörden gelangt. "Die Endentscheidung wird immer vom Ministerium erfolgen. Entweder ist dieß geeignet, eine solche zu fällen; wozu bedarf es
hinein, und ſo entſtanden beſtändige Reibungen, die natürlich noch größer wurden, wo dieſe Selbſtverwaltung noch immer, wie in Bayern und Preußen, mit der alten Grundherrlichkeit ſo enge zuſammenhängt, und deßhalb nach dem Muſter des vorigen Jahrhunderts ſich jeder amtlichen Verwaltung principiell und thatſächlich opponirt — etwas, was in der Mairie undenkbar iſt. An- dererſeits aber hatte man dadurch in Deutſchland faktiſch in den drei Kate- gorien: Provinz, Kreis und Bezirk (Département, Arrondissement und Canton) nicht drei Stufen, ſondern drei Mittelbehörden, da die Ge- meinde im Grunde die unterſte Stufe war. Daraus folgte, daß der praktiſche Gang der geſchäftlichen Erledigungen ein unnöthig ſchleppender ward, und daß die Fragen, und mehr noch die Beſchwerden über die unterſte Mittelbehörde, den Amtmann, oder Landrath, oder Bezirkshauptmann, drei Inſtanzen durch- laufen mußten, ehe ſie zum Miniſterium kommen, wodurch im Grunde jedesmal vier Inſtanzen herauskommen. Dieſe beiden Gründe zuſammenwirkend ſind es, welche einen gewiſſen Antagonismus gegen das deutſche Behördenſyſtem er- zeugt haben, der ſich als die bekannte ſpezifiſche Klage der Vielregiererei, der Vielſchreiberei und ſelbſt der Büreaukratie erzeugt haben. Dazu kam der Grundſatz, daß die ganze Competenz und Thätigkeit dieſer Mittel- behörden, wie namentlich in Preußen, nur durch die Inſtruktionen der Mini- ſterien beſtimmt ward; ſchon ſeit der großen Inſtruktion für die Regie- rungen von 1817 beginnt die Strenge der Büreaukratie ſich ernſthaft fühlbar zu machen, und ſich von ihnen auf die Thätigkeit der Landräthe auszudehnen. (Rönne, Preußiſches Staatsrecht II. S. 167 ff. und 174.) Man wird jetzt begreifen, weßhalb dieſe Klage nur in Deutſchland entſtehen konnte, während Frankreich ſie nicht kennt; denn in der That regiert der Verwaltungsorganismus Frankreichs nicht zu viel, ſondern allein, aber in einfacherer Weiſe, und namentlich nicht im Gegenſatze zur Selbſtverwaltung, die ſich in Deutſchland durch das obige Syſtem mehr geengt und gedrückt, als wirklich beinträchtigt fühlte. Dieſem Gefühle hat vielleicht niemand beſſeren Ausdruck gegeben, als Bülau (Be- hörden 1836), deſſen Abſchnitt „Mittelbehörden“ S. 202 vielleicht der bedeu- tendſte Theil des ganzen Werkes iſt. Man wird von dem obigen Geſichtspunkte aus auch nunmehr verſtehen, wenn Bülau ſich im Allgemeinen ſo entſchieden gegen das Syſtem der Mittelbehörden erklärt, und dieß mit dem Satze be- gründet: „Es iſt die Summe alles Staatsrechts, aller Staatsweisheit, aller Staatswirthſchaft und aller Finanzkunſt, daß der Staat nichts thun ſoll, was er nicht ſeiner Beſtimmung nach thun muß — und überall lieber zu wenig, als zu viel“ S. 205. „Dieſe Behörden,“ ſagt er weiter, „werden immer nur Durchgangspoſten ſein. Das alte Sprichwort von dem Kaiſer gilt auch vom Staate. Es iſt für das Volk beſſer, wenn ſeine Behörden zu wenig, als wenn ſie zu viel Zeit haben — denn die Geſchäfte werden vermehrt, aber es wird dadurch kein Geſchäft weniger, ſondern viele werden verdoppelt, werden von zwei Behörden betrieben“ S. 211. Es iſt kein Zweifel, daß er im Grunde ganz Recht hat, wenn er auch zu weit geht, und bis zur Verurtheilung aller Unterbehörden gelangt. „Die Endentſcheidung wird immer vom Miniſterium erfolgen. Entweder iſt dieß geeignet, eine ſolche zu fällen; wozu bedarf es
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hinein, und ſo entſtanden beſtändige Reibungen, die natürlich noch größer
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mit der alten Grundherrlichkeit ſo enge zuſammenhängt, und deßhalb nach dem
Muſter des vorigen Jahrhunderts ſich jeder amtlichen Verwaltung principiell
und thatſächlich opponirt — etwas, was in der Mairie undenkbar iſt. An-
dererſeits aber hatte man dadurch in Deutſchland faktiſch in den drei Kate-
gorien: Provinz, Kreis und Bezirk (Département, Arrondissement und
Canton) nicht drei Stufen, ſondern drei Mittelbehörden, da die Ge-
meinde im Grunde die unterſte Stufe war. Daraus folgte, daß der praktiſche
Gang der geſchäftlichen Erledigungen ein unnöthig ſchleppender ward, und daß
die Fragen, und mehr noch die Beſchwerden über die unterſte Mittelbehörde,
den Amtmann, oder Landrath, oder Bezirkshauptmann, drei Inſtanzen durch-
laufen mußten, ehe ſie zum Miniſterium kommen, wodurch im Grunde jedesmal
vier Inſtanzen herauskommen. Dieſe beiden Gründe zuſammenwirkend ſind
es, welche einen gewiſſen Antagonismus gegen das deutſche Behördenſyſtem er-
zeugt haben, der ſich als die bekannte ſpezifiſche Klage der Vielregiererei,
der Vielſchreiberei und ſelbſt der Büreaukratie erzeugt haben. Dazu
kam der Grundſatz, daß die ganze Competenz und Thätigkeit dieſer Mittel-
behörden, wie namentlich in Preußen, nur durch die Inſtruktionen der Mini-
ſterien beſtimmt ward; ſchon ſeit der großen Inſtruktion für die Regie-
rungen von 1817 beginnt die Strenge der Büreaukratie ſich ernſthaft fühlbar
zu machen, und ſich von ihnen auf die Thätigkeit der Landräthe auszudehnen.
(Rönne, Preußiſches Staatsrecht II. S. 167 ff. und 174.) Man wird jetzt
begreifen, weßhalb dieſe Klage nur in Deutſchland entſtehen konnte, während
Frankreich ſie nicht kennt; denn in der That regiert der Verwaltungsorganismus
Frankreichs nicht zu viel, ſondern allein, aber in einfacherer Weiſe, und namentlich
nicht im Gegenſatze zur Selbſtverwaltung, die ſich in Deutſchland durch das
obige Syſtem mehr geengt und gedrückt, als wirklich beinträchtigt fühlte. Dieſem
Gefühle hat vielleicht niemand beſſeren Ausdruck gegeben, als Bülau (Be-
hörden 1836), deſſen Abſchnitt „Mittelbehörden“ S. 202 vielleicht der bedeu-
tendſte Theil des ganzen Werkes iſt. Man wird von dem obigen Geſichtspunkte
aus auch nunmehr verſtehen, wenn Bülau ſich im Allgemeinen ſo entſchieden
gegen das Syſtem der Mittelbehörden erklärt, und dieß mit dem Satze be-
gründet: „Es iſt die Summe alles Staatsrechts, aller Staatsweisheit, aller
Staatswirthſchaft und aller Finanzkunſt, daß der Staat nichts thun ſoll, was
er nicht ſeiner Beſtimmung nach thun muß — und überall lieber zu wenig,
als zu viel“ S. 205. „Dieſe Behörden,“ ſagt er weiter, „werden immer nur
Durchgangspoſten ſein. Das alte Sprichwort von dem Kaiſer gilt auch vom
Staate. Es iſt für das Volk beſſer, wenn ſeine Behörden zu wenig, als
wenn ſie zu viel Zeit haben — denn die Geſchäfte werden vermehrt, aber
es wird dadurch kein Geſchäft weniger, ſondern viele werden verdoppelt, werden
von zwei Behörden betrieben“ S. 211. Es iſt kein Zweifel, daß er im Grunde
ganz Recht hat, wenn er auch zu weit geht, und bis zur Verurtheilung aller
Unterbehörden gelangt. „Die Endentſcheidung wird immer vom Miniſterium
erfolgen. Entweder iſt dieß geeignet, eine ſolche zu fällen; wozu bedarf es
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/359>, abgerufen am 22.11.2024.
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