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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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der regierenden Häuser begründet gewesen. Der neue Landesherr suc-
cedirte daher einfach in das Recht des alten, und die Lande, indem sie
sich unterwarfen, stellten daher stets die ganz selbstverständliche, von
keinem Successor jemals bezweifelte Forderung auf, daß er die alten
Landesrechte und Verfassungen unangetastet lassen solle. Schon vor
den napoleonischen Kriegen zeigten daher die einzelnen Staaten ein
buntes Bild der inneren Verwaltung; man fand deßhalb nichts beson-
ders darin, bei der neuen Ordnung der Dinge wenigstens das Princip
anzuerkennen, daß jeder Theil sich auch künftig nach seinem eigenen Rechte
verwalten dürfe. Nur war diese bis dahin souveräne Verwaltung der
Landschaften, Städte, Herrschaften, Bisthümer u. s. w. jetzt eine Ver-
waltung innerhalb einer Staatsverwaltung; sie war aus einer
Staatsverwaltung formell zu einer Selbstverwaltung geworden,
während sie ihrer inneren Ordnung nach sich ganz gleich blieb.

Offenbar nun war das ein tiefer Widerspruch mit den Ideen,
welche denn doch der neuen Staatsbildung, oft geradezu gegen den
Willen der Landesherren, zu Grunde lagen. Jene historischen Formen
der Selbstverwaltung der Landestheile beruhten ganz und gar auf dem
ständischen Princip, und waren eben dadurch theils unendlich verschieden,
so daß eine Gleichartigkeit nicht zu erzielen war, theils waren sie unzweck-
mäßig gegenüber den Anforderungen der neueren Zeit, theils erzeugten
sie offenbare Ungerechtigkeiten. Es konnte daher nicht fehlen, daß in der
Verwirrung, welche durch starres Aufrechthalten der alten örtlichen
Lebensformen in jede Staatsverwaltung gekommen wäre, der Gedanke
und die Nothwendigkeit einer wirklich staatlichen Verwaltung sich un-
widerstehlich Bahn brachen. Frankreichs Macht und Herrlichkeit in
seiner gewaltigen, centralisirten Verwaltung zeigte, von welcher ent-
scheidenden Bedeutung gerade eine solche Einheit und Gleichheit in der
Verwaltung sein müsse. Es war dem glänzenden Beispiel sowenig zu
widerstehen als dem steigenden inneren Bedürfniß. Wir haben gesehen,
wie das letztere sich Luft schaffte in der bereits im ersten Jahrzehent
beginnenden gründlichen Umgestaltung der Staatsverwaltung. So wie
sie auftritt, entsteht nun die zweite Frage, wie sich dieselbe mit ihrem
einheitlichen Princip zu jenem historischen Rechte der örtlichen Selbst-
verwaltung zu verhalten habe. Und hier bildete sich nun der Grundsatz
aus, der auch gegenwärtig noch das ganze Gebiet dieser Erscheinungen
beherrscht. Man griff wieder dazu, die Form zu ändern, aber das
Princip stehen zu lassen. Man ließ daher den örtlichen, histo-
risch gebildeten Einheiten und Körpern, den Gemeinden, Landestheilen
und selbst den Corporationen das Recht, eine Selbstverwaltung zu be-
sitzen, aber man ordnete diese Selbstverwaltung nach ziemlich einheitlichen

Stein, die Verwaltungslehre. I. 26

der regierenden Häuſer begründet geweſen. Der neue Landesherr ſuc-
cedirte daher einfach in das Recht des alten, und die Lande, indem ſie
ſich unterwarfen, ſtellten daher ſtets die ganz ſelbſtverſtändliche, von
keinem Succeſſor jemals bezweifelte Forderung auf, daß er die alten
Landesrechte und Verfaſſungen unangetaſtet laſſen ſolle. Schon vor
den napoleoniſchen Kriegen zeigten daher die einzelnen Staaten ein
buntes Bild der inneren Verwaltung; man fand deßhalb nichts beſon-
ders darin, bei der neuen Ordnung der Dinge wenigſtens das Princip
anzuerkennen, daß jeder Theil ſich auch künftig nach ſeinem eigenen Rechte
verwalten dürfe. Nur war dieſe bis dahin ſouveräne Verwaltung der
Landſchaften, Städte, Herrſchaften, Bisthümer u. ſ. w. jetzt eine Ver-
waltung innerhalb einer Staatsverwaltung; ſie war aus einer
Staatsverwaltung formell zu einer Selbſtverwaltung geworden,
während ſie ihrer inneren Ordnung nach ſich ganz gleich blieb.

Offenbar nun war das ein tiefer Widerſpruch mit den Ideen,
welche denn doch der neuen Staatsbildung, oft geradezu gegen den
Willen der Landesherren, zu Grunde lagen. Jene hiſtoriſchen Formen
der Selbſtverwaltung der Landestheile beruhten ganz und gar auf dem
ſtändiſchen Princip, und waren eben dadurch theils unendlich verſchieden,
ſo daß eine Gleichartigkeit nicht zu erzielen war, theils waren ſie unzweck-
mäßig gegenüber den Anforderungen der neueren Zeit, theils erzeugten
ſie offenbare Ungerechtigkeiten. Es konnte daher nicht fehlen, daß in der
Verwirrung, welche durch ſtarres Aufrechthalten der alten örtlichen
Lebensformen in jede Staatsverwaltung gekommen wäre, der Gedanke
und die Nothwendigkeit einer wirklich ſtaatlichen Verwaltung ſich un-
widerſtehlich Bahn brachen. Frankreichs Macht und Herrlichkeit in
ſeiner gewaltigen, centraliſirten Verwaltung zeigte, von welcher ent-
ſcheidenden Bedeutung gerade eine ſolche Einheit und Gleichheit in der
Verwaltung ſein müſſe. Es war dem glänzenden Beiſpiel ſowenig zu
widerſtehen als dem ſteigenden inneren Bedürfniß. Wir haben geſehen,
wie das letztere ſich Luft ſchaffte in der bereits im erſten Jahrzehent
beginnenden gründlichen Umgeſtaltung der Staatsverwaltung. So wie
ſie auftritt, entſteht nun die zweite Frage, wie ſich dieſelbe mit ihrem
einheitlichen Princip zu jenem hiſtoriſchen Rechte der örtlichen Selbſt-
verwaltung zu verhalten habe. Und hier bildete ſich nun der Grundſatz
aus, der auch gegenwärtig noch das ganze Gebiet dieſer Erſcheinungen
beherrſcht. Man griff wieder dazu, die Form zu ändern, aber das
Princip ſtehen zu laſſen. Man ließ daher den örtlichen, hiſto-
riſch gebildeten Einheiten und Körpern, den Gemeinden, Landestheilen
und ſelbſt den Corporationen das Recht, eine Selbſtverwaltung zu be-
ſitzen, aber man ordnete dieſe Selbſtverwaltung nach ziemlich einheitlichen

Stein, die Verwaltungslehre. I. 26
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[401/0425] der regierenden Häuſer begründet geweſen. Der neue Landesherr ſuc- cedirte daher einfach in das Recht des alten, und die Lande, indem ſie ſich unterwarfen, ſtellten daher ſtets die ganz ſelbſtverſtändliche, von keinem Succeſſor jemals bezweifelte Forderung auf, daß er die alten Landesrechte und Verfaſſungen unangetaſtet laſſen ſolle. Schon vor den napoleoniſchen Kriegen zeigten daher die einzelnen Staaten ein buntes Bild der inneren Verwaltung; man fand deßhalb nichts beſon- ders darin, bei der neuen Ordnung der Dinge wenigſtens das Princip anzuerkennen, daß jeder Theil ſich auch künftig nach ſeinem eigenen Rechte verwalten dürfe. Nur war dieſe bis dahin ſouveräne Verwaltung der Landſchaften, Städte, Herrſchaften, Bisthümer u. ſ. w. jetzt eine Ver- waltung innerhalb einer Staatsverwaltung; ſie war aus einer Staatsverwaltung formell zu einer Selbſtverwaltung geworden, während ſie ihrer inneren Ordnung nach ſich ganz gleich blieb. Offenbar nun war das ein tiefer Widerſpruch mit den Ideen, welche denn doch der neuen Staatsbildung, oft geradezu gegen den Willen der Landesherren, zu Grunde lagen. Jene hiſtoriſchen Formen der Selbſtverwaltung der Landestheile beruhten ganz und gar auf dem ſtändiſchen Princip, und waren eben dadurch theils unendlich verſchieden, ſo daß eine Gleichartigkeit nicht zu erzielen war, theils waren ſie unzweck- mäßig gegenüber den Anforderungen der neueren Zeit, theils erzeugten ſie offenbare Ungerechtigkeiten. Es konnte daher nicht fehlen, daß in der Verwirrung, welche durch ſtarres Aufrechthalten der alten örtlichen Lebensformen in jede Staatsverwaltung gekommen wäre, der Gedanke und die Nothwendigkeit einer wirklich ſtaatlichen Verwaltung ſich un- widerſtehlich Bahn brachen. Frankreichs Macht und Herrlichkeit in ſeiner gewaltigen, centraliſirten Verwaltung zeigte, von welcher ent- ſcheidenden Bedeutung gerade eine ſolche Einheit und Gleichheit in der Verwaltung ſein müſſe. Es war dem glänzenden Beiſpiel ſowenig zu widerſtehen als dem ſteigenden inneren Bedürfniß. Wir haben geſehen, wie das letztere ſich Luft ſchaffte in der bereits im erſten Jahrzehent beginnenden gründlichen Umgeſtaltung der Staatsverwaltung. So wie ſie auftritt, entſteht nun die zweite Frage, wie ſich dieſelbe mit ihrem einheitlichen Princip zu jenem hiſtoriſchen Rechte der örtlichen Selbſt- verwaltung zu verhalten habe. Und hier bildete ſich nun der Grundſatz aus, der auch gegenwärtig noch das ganze Gebiet dieſer Erſcheinungen beherrſcht. Man griff wieder dazu, die Form zu ändern, aber das Princip ſtehen zu laſſen. Man ließ daher den örtlichen, hiſto- riſch gebildeten Einheiten und Körpern, den Gemeinden, Landestheilen und ſelbſt den Corporationen das Recht, eine Selbſtverwaltung zu be- ſitzen, aber man ordnete dieſe Selbſtverwaltung nach ziemlich einheitlichen Stein, die Verwaltungslehre. I. 26

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/425>, abgerufen am 22.11.2024.