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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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Berücksichtigung der früheren gesetzlich bestandenen ständischen Rechte
als der gegenwärtig bestehenden Verhältnisse zu ordnen."

Es war schon vor fünfzig Jahren allen Denkenden klar, daß dieser
eigenthümliche Versuch, die Landschaften zur Volksvertretung zu machen,
nur ein Uebergangsstadium bilden könne. Denn diese Landschaften hatten
einen Antheil an der Gesetzgebung, ohne eine Volksvertretung zu sein,
und einen Antheil an der Verwaltung, ohne die Verantwortlichkeit
durchführen zu können. Diese wunderliche und höchst verschieden ge-
staltete Ordnung nannte man nun mit einem Gesammtnamen die land-
ständischen oder ständischen Verfassungen. Sie selbst aber waren
in den einzelnen Staaten höchst ungleichartig. Man kann sie nicht
darstellen, ohne Verfassung und Verwaltung zu verschmelzen, wie ja
in der That Gesetz und Verordnung damals verschmolzen waren. Auch
gibt es hier keine Einheit. Man muß Gruppen bilden, die sich sehr
wesentlich unterscheiden.

Die beiden großen Staaten, Oesterreich und Preußen, blieben vor
der Hand auf dem Standpunkte des vorigen Jahrhunderts, indem sie
weder eine staatsbürgerliche, noch eine ständische Verfassung gaben.
Sie ließen aber dabei beide das Princip der Landschaften bestehen;
Namen und Ehrenrechte waren noch die alten, aber eine Theilnahme
an Gesetzgebung und Verwaltung ward nicht verliehen. Preußen ge-
langte jedoch durch das Gesetz vom 3. Juli 1823 zur Herstellung der
Provinzialstände. Die Provinzialstände sind dadurch eine feste
Kategorie im Staatsrecht geworden. Sie sind die Form, in welcher
die Landschaft als Selbstverwaltungskörper in den staatlichen
Organismus eingereiht worden
. Und hier sieht man wieder die
Zweitheilung des deutschen Wesens. Ihre Funktion ist die französische
des Conseil general, nur ausgedehnt über "alle Gesetze, welche die
Provinz angehen." Ihre Organisation ist dagegen die deutsche, auf
Grundlage der ständischen Unterschiede. Wie es den Conseils generaux
ausdrücklich verboten ist, mit einander zu verkehren (Ges. vom 10. Juli
1833, Art. 14), oder sich über Dinge zu äußern, welche nicht in ihrer
strengen Competenz liegen (ebendas. Art. 16. 17), so auch den "Provin-
zialständen" Preußens. (Rönne I. §. 6. 7.) Dagegen haben sie nicht
die Steuervertheilung, wohl aber das Recht, daß "ihren Beschlüssen die
Communalangelegenheiten der Provinz unter königlicher Genehmigung
überlassen werden." Es war offenbar: diese Organisation war der
Versuch, die Landschaft als reine Organe der Selbstverwaltung hin-
zustellen, und damit sich für das Bedürfniß nach einer Verfassung, einer
Theilnahme des Volkes an der Gesetzgebung, abzufinden. Auf diesem
Standpunkt bleibt Preußen stehen; aber auch für die Selbstverwaltung

Berückſichtigung der früheren geſetzlich beſtandenen ſtändiſchen Rechte
als der gegenwärtig beſtehenden Verhältniſſe zu ordnen.“

Es war ſchon vor fünfzig Jahren allen Denkenden klar, daß dieſer
eigenthümliche Verſuch, die Landſchaften zur Volksvertretung zu machen,
nur ein Uebergangsſtadium bilden könne. Denn dieſe Landſchaften hatten
einen Antheil an der Geſetzgebung, ohne eine Volksvertretung zu ſein,
und einen Antheil an der Verwaltung, ohne die Verantwortlichkeit
durchführen zu können. Dieſe wunderliche und höchſt verſchieden ge-
ſtaltete Ordnung nannte man nun mit einem Geſammtnamen die land-
ſtändiſchen oder ſtändiſchen Verfaſſungen. Sie ſelbſt aber waren
in den einzelnen Staaten höchſt ungleichartig. Man kann ſie nicht
darſtellen, ohne Verfaſſung und Verwaltung zu verſchmelzen, wie ja
in der That Geſetz und Verordnung damals verſchmolzen waren. Auch
gibt es hier keine Einheit. Man muß Gruppen bilden, die ſich ſehr
weſentlich unterſcheiden.

Die beiden großen Staaten, Oeſterreich und Preußen, blieben vor
der Hand auf dem Standpunkte des vorigen Jahrhunderts, indem ſie
weder eine ſtaatsbürgerliche, noch eine ſtändiſche Verfaſſung gaben.
Sie ließen aber dabei beide das Princip der Landſchaften beſtehen;
Namen und Ehrenrechte waren noch die alten, aber eine Theilnahme
an Geſetzgebung und Verwaltung ward nicht verliehen. Preußen ge-
langte jedoch durch das Geſetz vom 3. Juli 1823 zur Herſtellung der
Provinzialſtände. Die Provinzialſtände ſind dadurch eine feſte
Kategorie im Staatsrecht geworden. Sie ſind die Form, in welcher
die Landſchaft als Selbſtverwaltungskörper in den ſtaatlichen
Organismus eingereiht worden
. Und hier ſieht man wieder die
Zweitheilung des deutſchen Weſens. Ihre Funktion iſt die franzöſiſche
des Conseil général, nur ausgedehnt über „alle Geſetze, welche die
Provinz angehen.“ Ihre Organiſation iſt dagegen die deutſche, auf
Grundlage der ſtändiſchen Unterſchiede. Wie es den Conseils généraux
ausdrücklich verboten iſt, mit einander zu verkehren (Geſ. vom 10. Juli
1833, Art. 14), oder ſich über Dinge zu äußern, welche nicht in ihrer
ſtrengen Competenz liegen (ebendaſ. Art. 16. 17), ſo auch den „Provin-
zialſtänden“ Preußens. (Rönne I. §. 6. 7.) Dagegen haben ſie nicht
die Steuervertheilung, wohl aber das Recht, daß „ihren Beſchlüſſen die
Communalangelegenheiten der Provinz unter königlicher Genehmigung
überlaſſen werden.“ Es war offenbar: dieſe Organiſation war der
Verſuch, die Landſchaft als reine Organe der Selbſtverwaltung hin-
zuſtellen, und damit ſich für das Bedürfniß nach einer Verfaſſung, einer
Theilnahme des Volkes an der Geſetzgebung, abzufinden. Auf dieſem
Standpunkt bleibt Preußen ſtehen; aber auch für die Selbſtverwaltung

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[427/0451] Berückſichtigung der früheren geſetzlich beſtandenen ſtändiſchen Rechte als der gegenwärtig beſtehenden Verhältniſſe zu ordnen.“ Es war ſchon vor fünfzig Jahren allen Denkenden klar, daß dieſer eigenthümliche Verſuch, die Landſchaften zur Volksvertretung zu machen, nur ein Uebergangsſtadium bilden könne. Denn dieſe Landſchaften hatten einen Antheil an der Geſetzgebung, ohne eine Volksvertretung zu ſein, und einen Antheil an der Verwaltung, ohne die Verantwortlichkeit durchführen zu können. Dieſe wunderliche und höchſt verſchieden ge- ſtaltete Ordnung nannte man nun mit einem Geſammtnamen die land- ſtändiſchen oder ſtändiſchen Verfaſſungen. Sie ſelbſt aber waren in den einzelnen Staaten höchſt ungleichartig. Man kann ſie nicht darſtellen, ohne Verfaſſung und Verwaltung zu verſchmelzen, wie ja in der That Geſetz und Verordnung damals verſchmolzen waren. Auch gibt es hier keine Einheit. Man muß Gruppen bilden, die ſich ſehr weſentlich unterſcheiden. Die beiden großen Staaten, Oeſterreich und Preußen, blieben vor der Hand auf dem Standpunkte des vorigen Jahrhunderts, indem ſie weder eine ſtaatsbürgerliche, noch eine ſtändiſche Verfaſſung gaben. Sie ließen aber dabei beide das Princip der Landſchaften beſtehen; Namen und Ehrenrechte waren noch die alten, aber eine Theilnahme an Geſetzgebung und Verwaltung ward nicht verliehen. Preußen ge- langte jedoch durch das Geſetz vom 3. Juli 1823 zur Herſtellung der Provinzialſtände. Die Provinzialſtände ſind dadurch eine feſte Kategorie im Staatsrecht geworden. Sie ſind die Form, in welcher die Landſchaft als Selbſtverwaltungskörper in den ſtaatlichen Organismus eingereiht worden. Und hier ſieht man wieder die Zweitheilung des deutſchen Weſens. Ihre Funktion iſt die franzöſiſche des Conseil général, nur ausgedehnt über „alle Geſetze, welche die Provinz angehen.“ Ihre Organiſation iſt dagegen die deutſche, auf Grundlage der ſtändiſchen Unterſchiede. Wie es den Conseils généraux ausdrücklich verboten iſt, mit einander zu verkehren (Geſ. vom 10. Juli 1833, Art. 14), oder ſich über Dinge zu äußern, welche nicht in ihrer ſtrengen Competenz liegen (ebendaſ. Art. 16. 17), ſo auch den „Provin- zialſtänden“ Preußens. (Rönne I. §. 6. 7.) Dagegen haben ſie nicht die Steuervertheilung, wohl aber das Recht, daß „ihren Beſchlüſſen die Communalangelegenheiten der Provinz unter königlicher Genehmigung überlaſſen werden.“ Es war offenbar: dieſe Organiſation war der Verſuch, die Landſchaft als reine Organe der Selbſtverwaltung hin- zuſtellen, und damit ſich für das Bedürfniß nach einer Verfaſſung, einer Theilnahme des Volkes an der Geſetzgebung, abzufinden. Auf dieſem Standpunkt bleibt Preußen ſtehen; aber auch für die Selbſtverwaltung

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/451>, abgerufen am 22.11.2024.