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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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vertretung doch im Grunde nur als eine Landschaftsvertretung erschien,
und für einen landschaftlichen Körper neben ihm gar kein Platz da
war. Die "Landschaft" ging daher als Begriff verloren; es entstand
statt ihrer der der "Provinzialstände" nach preußischem Muster, während
sie faktisch in einer ganzen Reihe von Verfassungen vorhanden war;
zugleich hielt man noch immer wunderlicher Weise den Ausdruck der
"landständischen Verfassung" als Gesammtbegriff für alle wirklichen
Verfassungen auf Grundlage des Staatsbürgerthums fest, während man
gleichzeitig über die Worte "constitutionelle" oder "parlamentarische"
Verfassung viel herumstritt, ohne zu einem Resultat zu gelangen, da
man hartnäckig dabei beharrte, die staatsbürgerliche Volksvertretung
fortwährend "die Stände" zu nennen (vergl. z. B. Zachariä, deutsches
Staats- und Bundesrecht II. §. 158) und im Namen des Rechts auf eine
"landständische Verfassung" eine wirklich staatsbürgerliche forderte. Diese
Verhältnisse klärten sich nun wenigstens nach einer Seite hin mit dem
Jahre 1848. Die Umgestaltungen dieses und der folgenden Jahre
haben bei allen sonstigen Verschiedenheiten in der Geschichte der Ver-
fassungen Einen gemeinschaftlichen Charakter. Sie haben aus den
früheren ständischen Verfassungen nunmehr staatsbürgerliche Verfassungen
gemacht, indem sie das Princip der Wahl aus den Staatsbürgern, der
Verantwortlichkeit für die Ministerien, und die Unterscheidung zwischen
Gesetz und Verordnung ziemlich durchgreifend zur Geltung brachten.
Und damit war nun auch die Zeit gekommen, wo die Frage nach der
Gestalt der Landschaften ihre definitive Gestalt gewinnen mußte. Hier
ist nun allerdings zu unterscheiden.

Die kleinen Staaten können gar keine Landschaften neben ihrer
verfassungsmäßigen Vertretung haben, da sie selbst ihrem Umfange und
ihrer Funktion nach eben nur Landschaften sind. Eben deßhalb hat
sich bei ihnen in ihren Verfassungen das landschaftliche Element in der
Bildung nicht bloß der ersten, sondern meistens auch der zweiten Kam-
mer, wo dieselben neben einander bestehen, sonst in der Bildung der
Volksvertretung selbst erhalten. Das erscheint theils darin, daß stän-
dische Elemente dauernd Sitz und Stimme in der Volksvertretung haben,
theils darin, daß in der letzteren als Wahlkörper historische Gemeinden
zum Grunde gelegt werden (wie namentlich hannöverisches Landes-
verfassungsgesetz
§. 91), theils darin, daß ein eigener Landtags-
ausschuß
errichtet ist, wie in Oldenburg (Staatsgrundgesetz Art. 185).
In andern ist dagegen auch dieß ständische Element verschwunden, wie
in Coburg, Waldeck u. a., so daß diese Länder staatsbürgerliche Grund-
lagen für ihre Landesverfassungen besitzen. Auf die freien Städte findet
natürlich der obige Begriff überhaupt keine Anwendung.


vertretung doch im Grunde nur als eine Landſchaftsvertretung erſchien,
und für einen landſchaftlichen Körper neben ihm gar kein Platz da
war. Die „Landſchaft“ ging daher als Begriff verloren; es entſtand
ſtatt ihrer der der „Provinzialſtände“ nach preußiſchem Muſter, während
ſie faktiſch in einer ganzen Reihe von Verfaſſungen vorhanden war;
zugleich hielt man noch immer wunderlicher Weiſe den Ausdruck der
„landſtändiſchen Verfaſſung“ als Geſammtbegriff für alle wirklichen
Verfaſſungen auf Grundlage des Staatsbürgerthums feſt, während man
gleichzeitig über die Worte „conſtitutionelle“ oder „parlamentariſche“
Verfaſſung viel herumſtritt, ohne zu einem Reſultat zu gelangen, da
man hartnäckig dabei beharrte, die ſtaatsbürgerliche Volksvertretung
fortwährend „die Stände“ zu nennen (vergl. z. B. Zachariä, deutſches
Staats- und Bundesrecht II. §. 158) und im Namen des Rechts auf eine
„landſtändiſche Verfaſſung“ eine wirklich ſtaatsbürgerliche forderte. Dieſe
Verhältniſſe klärten ſich nun wenigſtens nach einer Seite hin mit dem
Jahre 1848. Die Umgeſtaltungen dieſes und der folgenden Jahre
haben bei allen ſonſtigen Verſchiedenheiten in der Geſchichte der Ver-
faſſungen Einen gemeinſchaftlichen Charakter. Sie haben aus den
früheren ſtändiſchen Verfaſſungen nunmehr ſtaatsbürgerliche Verfaſſungen
gemacht, indem ſie das Princip der Wahl aus den Staatsbürgern, der
Verantwortlichkeit für die Miniſterien, und die Unterſcheidung zwiſchen
Geſetz und Verordnung ziemlich durchgreifend zur Geltung brachten.
Und damit war nun auch die Zeit gekommen, wo die Frage nach der
Geſtalt der Landſchaften ihre definitive Geſtalt gewinnen mußte. Hier
iſt nun allerdings zu unterſcheiden.

Die kleinen Staaten können gar keine Landſchaften neben ihrer
verfaſſungsmäßigen Vertretung haben, da ſie ſelbſt ihrem Umfange und
ihrer Funktion nach eben nur Landſchaften ſind. Eben deßhalb hat
ſich bei ihnen in ihren Verfaſſungen das landſchaftliche Element in der
Bildung nicht bloß der erſten, ſondern meiſtens auch der zweiten Kam-
mer, wo dieſelben neben einander beſtehen, ſonſt in der Bildung der
Volksvertretung ſelbſt erhalten. Das erſcheint theils darin, daß ſtän-
diſche Elemente dauernd Sitz und Stimme in der Volksvertretung haben,
theils darin, daß in der letzteren als Wahlkörper hiſtoriſche Gemeinden
zum Grunde gelegt werden (wie namentlich hannöveriſches Landes-
verfaſſungsgeſetz
§. 91), theils darin, daß ein eigener Landtags-
ausſchuß
errichtet iſt, wie in Oldenburg (Staatsgrundgeſetz Art. 185).
In andern iſt dagegen auch dieß ſtändiſche Element verſchwunden, wie
in Coburg, Waldeck u. a., ſo daß dieſe Länder ſtaatsbürgerliche Grund-
lagen für ihre Landesverfaſſungen beſitzen. Auf die freien Städte findet
natürlich der obige Begriff überhaupt keine Anwendung.


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[429/0453] vertretung doch im Grunde nur als eine Landſchaftsvertretung erſchien, und für einen landſchaftlichen Körper neben ihm gar kein Platz da war. Die „Landſchaft“ ging daher als Begriff verloren; es entſtand ſtatt ihrer der der „Provinzialſtände“ nach preußiſchem Muſter, während ſie faktiſch in einer ganzen Reihe von Verfaſſungen vorhanden war; zugleich hielt man noch immer wunderlicher Weiſe den Ausdruck der „landſtändiſchen Verfaſſung“ als Geſammtbegriff für alle wirklichen Verfaſſungen auf Grundlage des Staatsbürgerthums feſt, während man gleichzeitig über die Worte „conſtitutionelle“ oder „parlamentariſche“ Verfaſſung viel herumſtritt, ohne zu einem Reſultat zu gelangen, da man hartnäckig dabei beharrte, die ſtaatsbürgerliche Volksvertretung fortwährend „die Stände“ zu nennen (vergl. z. B. Zachariä, deutſches Staats- und Bundesrecht II. §. 158) und im Namen des Rechts auf eine „landſtändiſche Verfaſſung“ eine wirklich ſtaatsbürgerliche forderte. Dieſe Verhältniſſe klärten ſich nun wenigſtens nach einer Seite hin mit dem Jahre 1848. Die Umgeſtaltungen dieſes und der folgenden Jahre haben bei allen ſonſtigen Verſchiedenheiten in der Geſchichte der Ver- faſſungen Einen gemeinſchaftlichen Charakter. Sie haben aus den früheren ſtändiſchen Verfaſſungen nunmehr ſtaatsbürgerliche Verfaſſungen gemacht, indem ſie das Princip der Wahl aus den Staatsbürgern, der Verantwortlichkeit für die Miniſterien, und die Unterſcheidung zwiſchen Geſetz und Verordnung ziemlich durchgreifend zur Geltung brachten. Und damit war nun auch die Zeit gekommen, wo die Frage nach der Geſtalt der Landſchaften ihre definitive Geſtalt gewinnen mußte. Hier iſt nun allerdings zu unterſcheiden. Die kleinen Staaten können gar keine Landſchaften neben ihrer verfaſſungsmäßigen Vertretung haben, da ſie ſelbſt ihrem Umfange und ihrer Funktion nach eben nur Landſchaften ſind. Eben deßhalb hat ſich bei ihnen in ihren Verfaſſungen das landſchaftliche Element in der Bildung nicht bloß der erſten, ſondern meiſtens auch der zweiten Kam- mer, wo dieſelben neben einander beſtehen, ſonſt in der Bildung der Volksvertretung ſelbſt erhalten. Das erſcheint theils darin, daß ſtän- diſche Elemente dauernd Sitz und Stimme in der Volksvertretung haben, theils darin, daß in der letzteren als Wahlkörper hiſtoriſche Gemeinden zum Grunde gelegt werden (wie namentlich hannöveriſches Landes- verfaſſungsgeſetz §. 91), theils darin, daß ein eigener Landtags- ausſchuß errichtet iſt, wie in Oldenburg (Staatsgrundgeſetz Art. 185). In andern iſt dagegen auch dieß ſtändiſche Element verſchwunden, wie in Coburg, Waldeck u. a., ſo daß dieſe Länder ſtaatsbürgerliche Grund- lagen für ihre Landesverfaſſungen beſitzen. Auf die freien Städte findet natürlich der obige Begriff überhaupt keine Anwendung.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/453>, abgerufen am 22.11.2024.