einem andern Orte entwickelt haben (Geschichte der socialen Bewegung in Frankreich, Bd. 1, Einleitung), daß nämlich jede Gesellschaftsordnung ihr eigenes öffentliches Recht erzeugt, und auch nur das ihr entsprechende öffentliche Recht erträgt. Diesem großen Gesetz der innern Staaten- bildung werden wir im Folgenden auf jedem Punkte der geschichtlichen Darstellung im Ganzen wie im Einzelnen begegnen. Es ist mächtig genug, das zweite Element, das natürliche Dasein des Staats, die Landes- und Volksgestaltung, zu beherrschen; dennoch wirkt auch dieses in seiner Weise, und so entsteht durch das Ineinandergreifen beider Faktoren das historisch geltende öffentliche Recht jeder Zeit und jedes Staats; und das Verständniß dieses Zusammenwirkens erzeugt die Wissenschaft der Geschichte desselben, die nicht bloß zu erzählen, son- dern die Erscheinungen auf ihren Grund zurückzuführen hat, indem sie jeden bestimmten Zustand des öffentlichen Rechts als die nothwendige, und in den Hauptfragen sogar sehr einfache Consequenz des Wirkens jener beiden Faktoren zeigt. Diese Wissenschaft ist bis jetzt, mit Aus- nahme dessen was Aristoteles in seiner Politik gesagt, noch in ihrem ersten Anfange. Sie ist bestimmt, die ganze Geschichte umzugestalten. Die dritte Grundform des öffentlichen Rechts entsteht dagegen, indem dasselbe, als das wesentlichste Element des Gesammtlebens der Menschheit, nicht mehr bloß der Wirksamkeit und bildenden Gewalt jener beiden Ele- mente überlassen, sondern selbst zum Gegenstande der Selbstbestimmung der staatlichen Persönlichkeit, das ist der Gesetzgebung, gemacht wird.
Hier nun beginnt ein wesentlich verschiedenes Gebiet von Erschei- nungen und Ausdrücken, deren genaue Bezeichnung als eine unerläß- liche Bedingung für das richtige formelle Verständniß aller bisherigen, wie der folgenden Begriffe angesehen werden muß.
Es kann nämlich zuerst die Willensbestimmung des Staats oder das Gesetz -- noch ganz gleichgültig gegen die besondere Bedeutung dieses Wortes -- eben jenes organische Verhältniß der Hauptelemente des Staats selbst, also des Staatsoberhaupts, der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt, zum Gegenstande des Staatswillens machen, und damit die im Gesetze ausdrücklich enthaltene und vorgeschriebene Ordnung zum Elemente unter einander, zum allein geltenden öffentlichen Rechte erheben. Ein solches, den Organismus des Staatslebens in seinen Grundlagen rechtlich feststellendes Gesetz nennen wir die Ver- fassung. Diese Verfassung wird ihrerseits stets theils auf den Ele- menten beruhen, welche die Wissenschaft bietet, theils auf den Rechts- bildungen des historischen Rechts. Immer aber fordert die Verfassung, daß sie, so weit sie mit ihren Bestimmungen reicht, als ausschließliche Quelle des öffentlichen Rechts erkannt werde und gültig sei.
einem andern Orte entwickelt haben (Geſchichte der ſocialen Bewegung in Frankreich, Bd. 1, Einleitung), daß nämlich jede Geſellſchaftsordnung ihr eigenes öffentliches Recht erzeugt, und auch nur das ihr entſprechende öffentliche Recht erträgt. Dieſem großen Geſetz der innern Staaten- bildung werden wir im Folgenden auf jedem Punkte der geſchichtlichen Darſtellung im Ganzen wie im Einzelnen begegnen. Es iſt mächtig genug, das zweite Element, das natürliche Daſein des Staats, die Landes- und Volksgeſtaltung, zu beherrſchen; dennoch wirkt auch dieſes in ſeiner Weiſe, und ſo entſteht durch das Ineinandergreifen beider Faktoren das hiſtoriſch geltende öffentliche Recht jeder Zeit und jedes Staats; und das Verſtändniß dieſes Zuſammenwirkens erzeugt die Wiſſenſchaft der Geſchichte deſſelben, die nicht bloß zu erzählen, ſon- dern die Erſcheinungen auf ihren Grund zurückzuführen hat, indem ſie jeden beſtimmten Zuſtand des öffentlichen Rechts als die nothwendige, und in den Hauptfragen ſogar ſehr einfache Conſequenz des Wirkens jener beiden Faktoren zeigt. Dieſe Wiſſenſchaft iſt bis jetzt, mit Aus- nahme deſſen was Ariſtoteles in ſeiner Politik geſagt, noch in ihrem erſten Anfange. Sie iſt beſtimmt, die ganze Geſchichte umzugeſtalten. Die dritte Grundform des öffentlichen Rechts entſteht dagegen, indem daſſelbe, als das weſentlichſte Element des Geſammtlebens der Menſchheit, nicht mehr bloß der Wirkſamkeit und bildenden Gewalt jener beiden Ele- mente überlaſſen, ſondern ſelbſt zum Gegenſtande der Selbſtbeſtimmung der ſtaatlichen Perſönlichkeit, das iſt der Geſetzgebung, gemacht wird.
Hier nun beginnt ein weſentlich verſchiedenes Gebiet von Erſchei- nungen und Ausdrücken, deren genaue Bezeichnung als eine unerläß- liche Bedingung für das richtige formelle Verſtändniß aller bisherigen, wie der folgenden Begriffe angeſehen werden muß.
Es kann nämlich zuerſt die Willensbeſtimmung des Staats oder das Geſetz — noch ganz gleichgültig gegen die beſondere Bedeutung dieſes Wortes — eben jenes organiſche Verhältniß der Hauptelemente des Staats ſelbſt, alſo des Staatsoberhaupts, der geſetzgebenden und der vollziehenden Gewalt, zum Gegenſtande des Staatswillens machen, und damit die im Geſetze ausdrücklich enthaltene und vorgeſchriebene Ordnung zum Elemente unter einander, zum allein geltenden öffentlichen Rechte erheben. Ein ſolches, den Organismus des Staatslebens in ſeinen Grundlagen rechtlich feſtſtellendes Geſetz nennen wir die Ver- faſſung. Dieſe Verfaſſung wird ihrerſeits ſtets theils auf den Ele- menten beruhen, welche die Wiſſenſchaft bietet, theils auf den Rechts- bildungen des hiſtoriſchen Rechts. Immer aber fordert die Verfaſſung, daß ſie, ſo weit ſie mit ihren Beſtimmungen reicht, als ausſchließliche Quelle des öffentlichen Rechts erkannt werde und gültig ſei.
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einem andern Orte entwickelt haben (Geſchichte der ſocialen Bewegung in
Frankreich, Bd. 1, Einleitung), daß nämlich jede Geſellſchaftsordnung ihr
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öffentliche Recht erträgt. Dieſem großen Geſetz der innern Staaten-
bildung werden wir im Folgenden auf jedem Punkte der geſchichtlichen
Darſtellung im Ganzen wie im Einzelnen begegnen. Es iſt mächtig
genug, das zweite Element, das natürliche Daſein des Staats, die
Landes- und Volksgeſtaltung, zu beherrſchen; dennoch wirkt auch dieſes
in ſeiner Weiſe, und ſo entſteht durch das Ineinandergreifen beider
Faktoren das hiſtoriſch geltende öffentliche Recht jeder Zeit und jedes
Staats; und das Verſtändniß dieſes Zuſammenwirkens erzeugt die
Wiſſenſchaft der Geſchichte deſſelben, die nicht bloß zu erzählen, ſon-
dern die Erſcheinungen auf ihren Grund zurückzuführen hat, indem ſie
jeden beſtimmten Zuſtand des öffentlichen Rechts als die nothwendige,
und in den Hauptfragen ſogar ſehr einfache Conſequenz des Wirkens
jener beiden Faktoren zeigt. Dieſe Wiſſenſchaft iſt bis jetzt, mit Aus-
nahme deſſen was Ariſtoteles in ſeiner Politik geſagt, noch in ihrem
erſten Anfange. Sie iſt beſtimmt, die ganze Geſchichte umzugeſtalten.
Die dritte Grundform des öffentlichen Rechts entſteht dagegen, indem
daſſelbe, als das weſentlichſte Element des Geſammtlebens der Menſchheit,
nicht mehr bloß der Wirkſamkeit und bildenden Gewalt jener beiden Ele-
mente überlaſſen, ſondern ſelbſt zum Gegenſtande der Selbſtbeſtimmung
der ſtaatlichen Perſönlichkeit, das iſt der Geſetzgebung, gemacht wird.
Hier nun beginnt ein weſentlich verſchiedenes Gebiet von Erſchei-
nungen und Ausdrücken, deren genaue Bezeichnung als eine unerläß-
liche Bedingung für das richtige formelle Verſtändniß aller bisherigen,
wie der folgenden Begriffe angeſehen werden muß.
Es kann nämlich zuerſt die Willensbeſtimmung des Staats oder
das Geſetz — noch ganz gleichgültig gegen die beſondere Bedeutung
dieſes Wortes — eben jenes organiſche Verhältniß der Hauptelemente
des Staats ſelbſt, alſo des Staatsoberhaupts, der geſetzgebenden und
der vollziehenden Gewalt, zum Gegenſtande des Staatswillens machen,
und damit die im Geſetze ausdrücklich enthaltene und vorgeſchriebene
Ordnung zum Elemente unter einander, zum allein geltenden öffentlichen
Rechte erheben. Ein ſolches, den Organismus des Staatslebens in
ſeinen Grundlagen rechtlich feſtſtellendes Geſetz nennen wir die Ver-
faſſung. Dieſe Verfaſſung wird ihrerſeits ſtets theils auf den Ele-
menten beruhen, welche die Wiſſenſchaft bietet, theils auf den Rechts-
bildungen des hiſtoriſchen Rechts. Immer aber fordert die Verfaſſung,
daß ſie, ſo weit ſie mit ihren Beſtimmungen reicht, als ausſchließliche
Quelle des öffentlichen Rechts erkannt werde und gültig ſei.
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/47>, abgerufen am 21.11.2024.
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