Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

dafür gerichtlich verantwortlich macht, daß dieß Gesetz auch wirklich
ausgeführt wird. Das Organ nun, welches diese örtliche Ausführung
des Gesetzes vollzieht, ist die Verwaltungsgemeinde; das Organ, welches
als Gericht die Vollziehung des Gesetzes sichert, ist der Friedensrichter.
Auf diesen beiden Grundlagen beruht das englische Selfgovernment.

Es ist wohl kaum zweifelhaft, daß dieses Selfgovernment sich in
zwei großen Perioden oder Grundformen entwickelt, die man als die
angelsächsische und die normannische bezeichnen kann, und deren Schei-
dung wesentlich in dem Auftreten der Armenverwaltung liegen. Die alte
angelsächsische Ordnung beruht auf dem Begriff und Recht der Dorf-
schaft und der Landschaft, Tithings und County. Das Tithing ist im
Grunde die bäuerliche Gemeinde, ganz im deutschen Sinne. Sie hat,
wie diese, alle Aufgaben der örtlichen Verwaltung, so weit es damals
eine solche gibt, und der Vereinigungspunkt derselben ist eben die County
mit Sheriff und Coroner. An diese Grundlage aber schließt sich gleich
anfangs eine zweite Art der Gemeinde an, die Kirchspielsgemeinde,
deren Aufgabe die Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten ist, und
die in der Vestry ihre eigene Gemeindeversammlung, in den Church
wardens
ihre eigene Organe, und in der Church rate ihr eigenes
Steuersystem hat. Es ist die erste Verwaltungsgemeinde in England;
aber sie ist mit dem continentalen Kirchspiel sehr analog, nur darin
von ihm wesentlich verschieden, daß sie ein selbständiges Gemeindebürger-
thum in dem besitzenden Bauernstande hat, welcher ein Patronat einer
Herrschaft nicht entstehen läßt. Aus dieser Kirchspielsgemeinde entsteht
nun die Grundform der Verwaltungsgemeinde in England, die Armen-
gemeinde
. Dieselbe wird zu einem förmlich anerkannten Organe der
Armenverwaltung unter Elisabeth; sie fängt an, alle Verwaltungsauf-
gaben, so weit sie nicht der Landschaft gehören, dadurch sich unterzu-
ordnen, daß die Armenlast mit jedem Jahre eine schwerere wird, und
daher die Armengemeinde gezwungen ist, einerseits die Armensteuer,
die poor rate, so genau und rationell als möglich einzurichten, anderer-
seits sie auf das Zweckmäßigste zu verwalten. Es war daher ganz
natürlich, daß man die Armensteuer allmählig als die Hauptsteuer für
die gesammte Selbstbesteuerung anerkannte und die Steuern für die
übrigen Selbstverwaltungskörper einfach an sie anschloß. Dadurch ge-
wann die Selbstverwaltung ihre eigentliche Festigkeit und Ordnung; es
war mit dem Steuerfuß der poor rate der Fuß aller örtlichen Steuern
gegeben, und zuletzt ließen sich die übrigen Aufgaben auch leicht ordnen.
Jedoch dauerte es nun längere Zeit bis diese Verwaltungsaufgaben
der innern Verwaltung sich bildeten und begränzten, und es war natür-
lich, daß einige dieser Verwaltungsaufgaben der County, andere dem

dafür gerichtlich verantwortlich macht, daß dieß Geſetz auch wirklich
ausgeführt wird. Das Organ nun, welches dieſe örtliche Ausführung
des Geſetzes vollzieht, iſt die Verwaltungsgemeinde; das Organ, welches
als Gericht die Vollziehung des Geſetzes ſichert, iſt der Friedensrichter.
Auf dieſen beiden Grundlagen beruht das engliſche Selfgovernment.

Es iſt wohl kaum zweifelhaft, daß dieſes Selfgovernment ſich in
zwei großen Perioden oder Grundformen entwickelt, die man als die
angelſächſiſche und die normanniſche bezeichnen kann, und deren Schei-
dung weſentlich in dem Auftreten der Armenverwaltung liegen. Die alte
angelſächſiſche Ordnung beruht auf dem Begriff und Recht der Dorf-
ſchaft und der Landſchaft, Tithings und County. Das Tithing iſt im
Grunde die bäuerliche Gemeinde, ganz im deutſchen Sinne. Sie hat,
wie dieſe, alle Aufgaben der örtlichen Verwaltung, ſo weit es damals
eine ſolche gibt, und der Vereinigungspunkt derſelben iſt eben die County
mit Sheriff und Coroner. An dieſe Grundlage aber ſchließt ſich gleich
anfangs eine zweite Art der Gemeinde an, die Kirchſpielsgemeinde,
deren Aufgabe die Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten iſt, und
die in der Vestry ihre eigene Gemeindeverſammlung, in den Church
wardens
ihre eigene Organe, und in der Church rate ihr eigenes
Steuerſyſtem hat. Es iſt die erſte Verwaltungsgemeinde in England;
aber ſie iſt mit dem continentalen Kirchſpiel ſehr analog, nur darin
von ihm weſentlich verſchieden, daß ſie ein ſelbſtändiges Gemeindebürger-
thum in dem beſitzenden Bauernſtande hat, welcher ein Patronat einer
Herrſchaft nicht entſtehen läßt. Aus dieſer Kirchſpielsgemeinde entſteht
nun die Grundform der Verwaltungsgemeinde in England, die Armen-
gemeinde
. Dieſelbe wird zu einem förmlich anerkannten Organe der
Armenverwaltung unter Eliſabeth; ſie fängt an, alle Verwaltungsauf-
gaben, ſo weit ſie nicht der Landſchaft gehören, dadurch ſich unterzu-
ordnen, daß die Armenlaſt mit jedem Jahre eine ſchwerere wird, und
daher die Armengemeinde gezwungen iſt, einerſeits die Armenſteuer,
die poor rate, ſo genau und rationell als möglich einzurichten, anderer-
ſeits ſie auf das Zweckmäßigſte zu verwalten. Es war daher ganz
natürlich, daß man die Armenſteuer allmählig als die Hauptſteuer für
die geſammte Selbſtbeſteuerung anerkannte und die Steuern für die
übrigen Selbſtverwaltungskörper einfach an ſie anſchloß. Dadurch ge-
wann die Selbſtverwaltung ihre eigentliche Feſtigkeit und Ordnung; es
war mit dem Steuerfuß der poor rate der Fuß aller örtlichen Steuern
gegeben, und zuletzt ließen ſich die übrigen Aufgaben auch leicht ordnen.
Jedoch dauerte es nun längere Zeit bis dieſe Verwaltungsaufgaben
der innern Verwaltung ſich bildeten und begränzten, und es war natür-
lich, daß einige dieſer Verwaltungsaufgaben der County, andere dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0493" n="469"/>
dafür gerichtlich verantwortlich macht, daß dieß Ge&#x017F;etz auch wirklich<lb/>
ausgeführt wird. Das Organ nun, welches die&#x017F;e örtliche Ausführung<lb/>
des Ge&#x017F;etzes vollzieht, i&#x017F;t die Verwaltungsgemeinde; das Organ, welches<lb/>
als Gericht die Vollziehung des Ge&#x017F;etzes &#x017F;ichert, i&#x017F;t der Friedensrichter.<lb/>
Auf die&#x017F;en beiden Grundlagen beruht das engli&#x017F;che Selfgovernment.</p><lb/>
                  <p>Es i&#x017F;t wohl kaum zweifelhaft, daß die&#x017F;es Selfgovernment &#x017F;ich in<lb/>
zwei großen Perioden oder Grundformen entwickelt, die man als die<lb/>
angel&#x017F;äch&#x017F;i&#x017F;che und die normanni&#x017F;che bezeichnen kann, und deren Schei-<lb/>
dung we&#x017F;entlich in dem Auftreten der Armenverwaltung liegen. Die alte<lb/>
angel&#x017F;äch&#x017F;i&#x017F;che Ordnung beruht auf dem Begriff und Recht der Dorf-<lb/>
&#x017F;chaft und der Land&#x017F;chaft, <hi rendition="#aq">Tithings</hi> und <hi rendition="#aq">County.</hi> Das <hi rendition="#aq">Tithing</hi> i&#x017F;t im<lb/>
Grunde die bäuerliche Gemeinde, ganz im deut&#x017F;chen Sinne. Sie hat,<lb/>
wie die&#x017F;e, <hi rendition="#g">alle</hi> Aufgaben der örtlichen Verwaltung, &#x017F;o weit es damals<lb/>
eine &#x017F;olche gibt, und der Vereinigungspunkt der&#x017F;elben i&#x017F;t eben die <hi rendition="#aq">County</hi><lb/>
mit <hi rendition="#aq">Sheriff</hi> und <hi rendition="#aq">Coroner.</hi> An die&#x017F;e Grundlage aber &#x017F;chließt &#x017F;ich gleich<lb/>
anfangs eine zweite Art der Gemeinde an, die <hi rendition="#g">Kirch&#x017F;pielsgemeinde</hi>,<lb/>
deren Aufgabe die Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten i&#x017F;t, und<lb/>
die in der <hi rendition="#aq">Vestry</hi> ihre eigene Gemeindever&#x017F;ammlung, in den <hi rendition="#aq">Church<lb/>
wardens</hi> ihre eigene Organe, und in der <hi rendition="#aq">Church rate</hi> ihr eigenes<lb/>
Steuer&#x017F;y&#x017F;tem hat. Es i&#x017F;t die er&#x017F;te Verwaltungsgemeinde in England;<lb/>
aber &#x017F;ie i&#x017F;t mit dem continentalen Kirch&#x017F;piel &#x017F;ehr analog, nur darin<lb/>
von ihm we&#x017F;entlich ver&#x017F;chieden, daß &#x017F;ie ein &#x017F;elb&#x017F;tändiges Gemeindebürger-<lb/>
thum in dem be&#x017F;itzenden Bauern&#x017F;tande hat, welcher ein Patronat einer<lb/>
Herr&#x017F;chaft nicht ent&#x017F;tehen läßt. Aus die&#x017F;er Kirch&#x017F;pielsgemeinde ent&#x017F;teht<lb/>
nun die Grundform der Verwaltungsgemeinde in England, die <hi rendition="#g">Armen-<lb/>
gemeinde</hi>. Die&#x017F;elbe wird zu einem förmlich anerkannten Organe der<lb/>
Armenverwaltung unter Eli&#x017F;abeth; &#x017F;ie fängt an, alle Verwaltungsauf-<lb/>
gaben, &#x017F;o weit &#x017F;ie nicht der Land&#x017F;chaft gehören, dadurch &#x017F;ich unterzu-<lb/>
ordnen, daß die Armenla&#x017F;t mit jedem Jahre eine &#x017F;chwerere wird, und<lb/>
daher die Armengemeinde gezwungen i&#x017F;t, einer&#x017F;eits die Armen&#x017F;teuer,<lb/>
die <hi rendition="#aq">poor rate,</hi> &#x017F;o genau und rationell als möglich einzurichten, anderer-<lb/>
&#x017F;eits &#x017F;ie auf das Zweckmäßig&#x017F;te zu verwalten. Es war daher ganz<lb/>
natürlich, daß man die Armen&#x017F;teuer allmählig als die Haupt&#x017F;teuer für<lb/>
die ge&#x017F;ammte Selb&#x017F;tbe&#x017F;teuerung anerkannte und die Steuern für die<lb/>
übrigen Selb&#x017F;tverwaltungskörper einfach an &#x017F;ie an&#x017F;chloß. Dadurch ge-<lb/>
wann die Selb&#x017F;tverwaltung ihre eigentliche Fe&#x017F;tigkeit und Ordnung; es<lb/>
war mit dem Steuerfuß der <hi rendition="#aq">poor rate</hi> der Fuß aller örtlichen Steuern<lb/>
gegeben, und zuletzt ließen &#x017F;ich die übrigen Aufgaben auch leicht ordnen.<lb/>
Jedoch dauerte es nun längere Zeit bis die&#x017F;e Verwaltungsaufgaben<lb/>
der innern Verwaltung &#x017F;ich bildeten und begränzten, und es war natür-<lb/>
lich, daß einige die&#x017F;er Verwaltungsaufgaben der County, andere dem<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[469/0493] dafür gerichtlich verantwortlich macht, daß dieß Geſetz auch wirklich ausgeführt wird. Das Organ nun, welches dieſe örtliche Ausführung des Geſetzes vollzieht, iſt die Verwaltungsgemeinde; das Organ, welches als Gericht die Vollziehung des Geſetzes ſichert, iſt der Friedensrichter. Auf dieſen beiden Grundlagen beruht das engliſche Selfgovernment. Es iſt wohl kaum zweifelhaft, daß dieſes Selfgovernment ſich in zwei großen Perioden oder Grundformen entwickelt, die man als die angelſächſiſche und die normanniſche bezeichnen kann, und deren Schei- dung weſentlich in dem Auftreten der Armenverwaltung liegen. Die alte angelſächſiſche Ordnung beruht auf dem Begriff und Recht der Dorf- ſchaft und der Landſchaft, Tithings und County. Das Tithing iſt im Grunde die bäuerliche Gemeinde, ganz im deutſchen Sinne. Sie hat, wie dieſe, alle Aufgaben der örtlichen Verwaltung, ſo weit es damals eine ſolche gibt, und der Vereinigungspunkt derſelben iſt eben die County mit Sheriff und Coroner. An dieſe Grundlage aber ſchließt ſich gleich anfangs eine zweite Art der Gemeinde an, die Kirchſpielsgemeinde, deren Aufgabe die Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten iſt, und die in der Vestry ihre eigene Gemeindeverſammlung, in den Church wardens ihre eigene Organe, und in der Church rate ihr eigenes Steuerſyſtem hat. Es iſt die erſte Verwaltungsgemeinde in England; aber ſie iſt mit dem continentalen Kirchſpiel ſehr analog, nur darin von ihm weſentlich verſchieden, daß ſie ein ſelbſtändiges Gemeindebürger- thum in dem beſitzenden Bauernſtande hat, welcher ein Patronat einer Herrſchaft nicht entſtehen läßt. Aus dieſer Kirchſpielsgemeinde entſteht nun die Grundform der Verwaltungsgemeinde in England, die Armen- gemeinde. Dieſelbe wird zu einem förmlich anerkannten Organe der Armenverwaltung unter Eliſabeth; ſie fängt an, alle Verwaltungsauf- gaben, ſo weit ſie nicht der Landſchaft gehören, dadurch ſich unterzu- ordnen, daß die Armenlaſt mit jedem Jahre eine ſchwerere wird, und daher die Armengemeinde gezwungen iſt, einerſeits die Armenſteuer, die poor rate, ſo genau und rationell als möglich einzurichten, anderer- ſeits ſie auf das Zweckmäßigſte zu verwalten. Es war daher ganz natürlich, daß man die Armenſteuer allmählig als die Hauptſteuer für die geſammte Selbſtbeſteuerung anerkannte und die Steuern für die übrigen Selbſtverwaltungskörper einfach an ſie anſchloß. Dadurch ge- wann die Selbſtverwaltung ihre eigentliche Feſtigkeit und Ordnung; es war mit dem Steuerfuß der poor rate der Fuß aller örtlichen Steuern gegeben, und zuletzt ließen ſich die übrigen Aufgaben auch leicht ordnen. Jedoch dauerte es nun längere Zeit bis dieſe Verwaltungsaufgaben der innern Verwaltung ſich bildeten und begränzten, und es war natür- lich, daß einige dieſer Verwaltungsaufgaben der County, andere dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/493
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/493>, abgerufen am 22.11.2024.