des Fortschrittes aller Einzelnen durch die gemeinschaftliche Kraft, und das bestimmt sein Verhältniß zur Idee des Staats im Allgemeinen, und zur Verwaltung desselben im Besonderen. Er wirkt durch den Grundsatz der gleichen Berechtigung aller Mitglieder innerhalb des Vereins, und das bestimmt sein Verhältniß zur gesellschaftlichen Ord- nung. Der Verein, seinem Begriffe nach, kann sich daher zwar nur Zwecke des Staats, aber er kann dafür diese Zwecke in allen Formen, auf jedem Punkte, in jeder Ausdehnung setzen; er muß zweitens seine innere Ordnung auf Grundlage der gleichen Berechtigung der Mitglieder aufstellen, aber auf dieser Grundlage kann er sie dafür gestalten, wie er will. Es sind daher unendlich viele Vereine in unbestimmbarer Zahl von Ordnungen denkbar; aber dennoch haben alle in den obigen Prin- cipien ihre gemeinsamen Grundlagen. Und nun nennen wir die Ge- sammtheit aller Vereinsbildungen, aller ihrer Thätigkeiten, ihrer Ver- hältnisse zur Staatsverwaltung und ihrer inneren Ordnungen das Vereinswesen. Das Vereinswesen unterscheidet sich daher als selb- ständiges Gebiet der Verwaltung von der staatlichen Verwaltung und ihrem Organismus dadurch, daß es nicht durch die Idee des persön- lichen Staats gegeben ist und daß es daher in Organismus, Funktion und Verantwortlichkeit auch nicht vom Verfassungs- oder Verwaltungs- organismus des Staats abhängt. Seine Organe haben damit ferner nicht den Charakter der Beamteten, und die Dauer des einzelnen Ver- eins hängt nicht wie beim Staate von dem Zwecke ab, sondern liegt trotz des Zweckes und seiner dauernden Forderung in der freien Be- stimmung seiner eigenen Mitglieder. Der Verein kann daher weder im Ganzen noch im Einzelnen die staatliche Verwaltung ersetzen oder über- flüssig machen; der staatliche Organismus, indem er sich an die dauern- den Zwecke des Staats anschließt, muß auch in der höchsten Entwick- lung des Vereinswesens im Wesentlichen derselbe bleiben. Das Ver- einswesen erscheint daher gerade wegen seines eigenen Hauptmomentes, der vollen Freiheit aller in ihm Verbundenen, nie als ein Stellver- treter des Staats, sondern schon dem formalen Organismus nach nur als eine Erfüllung der staatlichen Ordnung. Es bringt in dasselbe nichts, das nicht schon im formalen Begriffe des Staats läge, aber es bringt in diesen formalen Inhalt die freie Bethätigung des individuellen Lebens, die Beweglichkeit und Mannigfaltigkeit der individuellen An- schauungen und Bestrebungen, die Vervielfältigung der staatlichen Ver- waltungskraft durch die Vereinigung vieler Einzelner für einen be- stimmten Zweck hinein. Das Vereinswesen wird damit zu der wahren und lebendigen Vermittlung zwischen dem mechanischen Organismus des Staats und der freien Gestaltung der staatsbürgerlichen Thätigkeit;
des Fortſchrittes aller Einzelnen durch die gemeinſchaftliche Kraft, und das beſtimmt ſein Verhältniß zur Idee des Staats im Allgemeinen, und zur Verwaltung deſſelben im Beſonderen. Er wirkt durch den Grundſatz der gleichen Berechtigung aller Mitglieder innerhalb des Vereins, und das beſtimmt ſein Verhältniß zur geſellſchaftlichen Ord- nung. Der Verein, ſeinem Begriffe nach, kann ſich daher zwar nur Zwecke des Staats, aber er kann dafür dieſe Zwecke in allen Formen, auf jedem Punkte, in jeder Ausdehnung ſetzen; er muß zweitens ſeine innere Ordnung auf Grundlage der gleichen Berechtigung der Mitglieder aufſtellen, aber auf dieſer Grundlage kann er ſie dafür geſtalten, wie er will. Es ſind daher unendlich viele Vereine in unbeſtimmbarer Zahl von Ordnungen denkbar; aber dennoch haben alle in den obigen Prin- cipien ihre gemeinſamen Grundlagen. Und nun nennen wir die Ge- ſammtheit aller Vereinsbildungen, aller ihrer Thätigkeiten, ihrer Ver- hältniſſe zur Staatsverwaltung und ihrer inneren Ordnungen das Vereinsweſen. Das Vereinsweſen unterſcheidet ſich daher als ſelb- ſtändiges Gebiet der Verwaltung von der ſtaatlichen Verwaltung und ihrem Organismus dadurch, daß es nicht durch die Idee des perſön- lichen Staats gegeben iſt und daß es daher in Organismus, Funktion und Verantwortlichkeit auch nicht vom Verfaſſungs- oder Verwaltungs- organismus des Staats abhängt. Seine Organe haben damit ferner nicht den Charakter der Beamteten, und die Dauer des einzelnen Ver- eins hängt nicht wie beim Staate von dem Zwecke ab, ſondern liegt trotz des Zweckes und ſeiner dauernden Forderung in der freien Be- ſtimmung ſeiner eigenen Mitglieder. Der Verein kann daher weder im Ganzen noch im Einzelnen die ſtaatliche Verwaltung erſetzen oder über- flüſſig machen; der ſtaatliche Organismus, indem er ſich an die dauern- den Zwecke des Staats anſchließt, muß auch in der höchſten Entwick- lung des Vereinsweſens im Weſentlichen derſelbe bleiben. Das Ver- einsweſen erſcheint daher gerade wegen ſeines eigenen Hauptmomentes, der vollen Freiheit aller in ihm Verbundenen, nie als ein Stellver- treter des Staats, ſondern ſchon dem formalen Organismus nach nur als eine Erfüllung der ſtaatlichen Ordnung. Es bringt in daſſelbe nichts, das nicht ſchon im formalen Begriffe des Staats läge, aber es bringt in dieſen formalen Inhalt die freie Bethätigung des individuellen Lebens, die Beweglichkeit und Mannigfaltigkeit der individuellen An- ſchauungen und Beſtrebungen, die Vervielfältigung der ſtaatlichen Ver- waltungskraft durch die Vereinigung vieler Einzelner für einen be- ſtimmten Zweck hinein. Das Vereinsweſen wird damit zu der wahren und lebendigen Vermittlung zwiſchen dem mechaniſchen Organismus des Staats und der freien Geſtaltung der ſtaatsbürgerlichen Thätigkeit;
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[521/0545]
des Fortſchrittes aller Einzelnen durch die gemeinſchaftliche Kraft, und
das beſtimmt ſein Verhältniß zur Idee des Staats im Allgemeinen,
und zur Verwaltung deſſelben im Beſonderen. Er wirkt durch den
Grundſatz der gleichen Berechtigung aller Mitglieder innerhalb des
Vereins, und das beſtimmt ſein Verhältniß zur geſellſchaftlichen Ord-
nung. Der Verein, ſeinem Begriffe nach, kann ſich daher zwar nur
Zwecke des Staats, aber er kann dafür dieſe Zwecke in allen Formen,
auf jedem Punkte, in jeder Ausdehnung ſetzen; er muß zweitens ſeine
innere Ordnung auf Grundlage der gleichen Berechtigung der Mitglieder
aufſtellen, aber auf dieſer Grundlage kann er ſie dafür geſtalten, wie
er will. Es ſind daher unendlich viele Vereine in unbeſtimmbarer Zahl
von Ordnungen denkbar; aber dennoch haben alle in den obigen Prin-
cipien ihre gemeinſamen Grundlagen. Und nun nennen wir die Ge-
ſammtheit aller Vereinsbildungen, aller ihrer Thätigkeiten, ihrer Ver-
hältniſſe zur Staatsverwaltung und ihrer inneren Ordnungen das
Vereinsweſen. Das Vereinsweſen unterſcheidet ſich daher als ſelb-
ſtändiges Gebiet der Verwaltung von der ſtaatlichen Verwaltung und
ihrem Organismus dadurch, daß es nicht durch die Idee des perſön-
lichen Staats gegeben iſt und daß es daher in Organismus, Funktion
und Verantwortlichkeit auch nicht vom Verfaſſungs- oder Verwaltungs-
organismus des Staats abhängt. Seine Organe haben damit ferner
nicht den Charakter der Beamteten, und die Dauer des einzelnen Ver-
eins hängt nicht wie beim Staate von dem Zwecke ab, ſondern liegt
trotz des Zweckes und ſeiner dauernden Forderung in der freien Be-
ſtimmung ſeiner eigenen Mitglieder. Der Verein kann daher weder im
Ganzen noch im Einzelnen die ſtaatliche Verwaltung erſetzen oder über-
flüſſig machen; der ſtaatliche Organismus, indem er ſich an die dauern-
den Zwecke des Staats anſchließt, muß auch in der höchſten Entwick-
lung des Vereinsweſens im Weſentlichen derſelbe bleiben. Das Ver-
einsweſen erſcheint daher gerade wegen ſeines eigenen Hauptmomentes,
der vollen Freiheit aller in ihm Verbundenen, nie als ein Stellver-
treter des Staats, ſondern ſchon dem formalen Organismus nach nur
als eine Erfüllung der ſtaatlichen Ordnung. Es bringt in daſſelbe
nichts, das nicht ſchon im formalen Begriffe des Staats läge, aber es
bringt in dieſen formalen Inhalt die freie Bethätigung des individuellen
Lebens, die Beweglichkeit und Mannigfaltigkeit der individuellen An-
ſchauungen und Beſtrebungen, die Vervielfältigung der ſtaatlichen Ver-
waltungskraft durch die Vereinigung vieler Einzelner für einen be-
ſtimmten Zweck hinein. Das Vereinsweſen wird damit zu der wahren
und lebendigen Vermittlung zwiſchen dem mechaniſchen Organismus
des Staats und der freien Geſtaltung der ſtaatsbürgerlichen Thätigkeit;
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 521. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/545>, abgerufen am 22.11.2024.
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