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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

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nichts mehr wissen; sie machen sich zu dauernden Organen ihrer Ge-
werbsangelegenheiten, und zwingen jeden Gewerbsgenossen, nicht bloß
beizutreten, sondern auch sich den Beschlüssen der Gesammtheit des Ge-
werbes zu unterwerfen. So verlieren sie das, was aus ihnen eigent-
lich einen Verein machte; sie sind jetzt vielmehr eine Corporation
mit dauernder Organisation, anerkannten Rechten und geordneter Thätig-
keit; sie werden zu den Organen der Gewerbeverwaltung, und so
entstehen die Zünfte und Innungen. Das nun sind schon keine Vereine
mehr, sondern Körperschaften der Selbstverwaltung Das Vereinswesen
schließt ab, das Princip der Ausschließlichkeit greift Platz, die freie Be-
wegung des Individuums geht verloren, und der Rest der eigentlichen
Gilde ist verschwunden, um dann wieder in einer neuen, aber groß-
artigeren Form aufzuerstehen.

Die Zeit nämlich, in welcher aus der gewerblichen Gilde die Cor-
poration der Zünfte und Innungen wird, ist dieselbe, in welcher das
Princip der ständischen Gesellschaftsordnung zum vollen Siege gelangt,
indem es auch die Städte, und in den Städten selbst die geistige und
die gewerbliche Arbeit in die ständische Form der Körperschaft hinein
zwängt. Die ersten Anfänge der staatsbürgerlichen Gesellschaftsordnung,
die in dem jungen ursprünglichen Stadtbürgerthum und seinem Gewerbe
gegeben waren, scheinen jetzt verloren. Die alten Elemente der Bildung
der neuen Welt scheinen erschöpft; es muß ein neues auftreten, und
das wird zugleich der Beginn einer neuen Epoche für das Vereinswesen
werden.

Dieses neue Element ist nun das große Capital und seine Wir-
kung. Mit der Entdeckung Amerikas gewinnt der Handel, ganz abge-
sehen von seinen Objekten, seinem inneren Organismus nach eine andere
Gestalt. Da die Schiffe auf der transatlantischen Fahrt jetzt Jahre
lang wegbleiben und große Risikos laufen, so muß das Capital, welches
einen solchen Handel betreibt, in dem Grade wachsen, in welchem es
die transatlantische Handelsbewegung in sich aufnimmt. Solchem Unter-
nehmen ist bald auch der Reichste nicht mehr gewachsen. Es bleibt
nur Eins übrig, das ist die Verbindung von großen Capitalien. Allein
zugleich tritt ein zweites hinzu. Die Regierungen sehen eben in jenem
Handel aus einer Reihe von Gründen, deren Kenntniß wir hier vor-
aussetzen dürfen, eine wesentliche Quelle des Reichthums und der Macht
ihrer Staaten. Sie begrüßen daher die Bildung solcher Gemeinschaften;
sie thun mehr, sie geben ihnen direkte Unterstützungen, und da sie kein
Geld besitzen, so geben sie ihnen wenigstens, was sie haben, eine Reihe
öffentlicher Vorrechte. Damit wird aus jenen Societäten etwas anderes
als eine bloß wirthschaftliche Unternehmung. Sie werden vielmehr

nichts mehr wiſſen; ſie machen ſich zu dauernden Organen ihrer Ge-
werbsangelegenheiten, und zwingen jeden Gewerbsgenoſſen, nicht bloß
beizutreten, ſondern auch ſich den Beſchlüſſen der Geſammtheit des Ge-
werbes zu unterwerfen. So verlieren ſie das, was aus ihnen eigent-
lich einen Verein machte; ſie ſind jetzt vielmehr eine Corporation
mit dauernder Organiſation, anerkannten Rechten und geordneter Thätig-
keit; ſie werden zu den Organen der Gewerbeverwaltung, und ſo
entſtehen die Zünfte und Innungen. Das nun ſind ſchon keine Vereine
mehr, ſondern Körperſchaften der Selbſtverwaltung Das Vereinsweſen
ſchließt ab, das Princip der Ausſchließlichkeit greift Platz, die freie Be-
wegung des Individuums geht verloren, und der Reſt der eigentlichen
Gilde iſt verſchwunden, um dann wieder in einer neuen, aber groß-
artigeren Form aufzuerſtehen.

Die Zeit nämlich, in welcher aus der gewerblichen Gilde die Cor-
poration der Zünfte und Innungen wird, iſt dieſelbe, in welcher das
Princip der ſtändiſchen Geſellſchaftsordnung zum vollen Siege gelangt,
indem es auch die Städte, und in den Städten ſelbſt die geiſtige und
die gewerbliche Arbeit in die ſtändiſche Form der Körperſchaft hinein
zwängt. Die erſten Anfänge der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaftsordnung,
die in dem jungen urſprünglichen Stadtbürgerthum und ſeinem Gewerbe
gegeben waren, ſcheinen jetzt verloren. Die alten Elemente der Bildung
der neuen Welt ſcheinen erſchöpft; es muß ein neues auftreten, und
das wird zugleich der Beginn einer neuen Epoche für das Vereinsweſen
werden.

Dieſes neue Element iſt nun das große Capital und ſeine Wir-
kung. Mit der Entdeckung Amerikas gewinnt der Handel, ganz abge-
ſehen von ſeinen Objekten, ſeinem inneren Organismus nach eine andere
Geſtalt. Da die Schiffe auf der transatlantiſchen Fahrt jetzt Jahre
lang wegbleiben und große Riſikos laufen, ſo muß das Capital, welches
einen ſolchen Handel betreibt, in dem Grade wachſen, in welchem es
die transatlantiſche Handelsbewegung in ſich aufnimmt. Solchem Unter-
nehmen iſt bald auch der Reichſte nicht mehr gewachſen. Es bleibt
nur Eins übrig, das iſt die Verbindung von großen Capitalien. Allein
zugleich tritt ein zweites hinzu. Die Regierungen ſehen eben in jenem
Handel aus einer Reihe von Gründen, deren Kenntniß wir hier vor-
ausſetzen dürfen, eine weſentliche Quelle des Reichthums und der Macht
ihrer Staaten. Sie begrüßen daher die Bildung ſolcher Gemeinſchaften;
ſie thun mehr, ſie geben ihnen direkte Unterſtützungen, und da ſie kein
Geld beſitzen, ſo geben ſie ihnen wenigſtens, was ſie haben, eine Reihe
öffentlicher Vorrechte. Damit wird aus jenen Societäten etwas anderes
als eine bloß wirthſchaftliche Unternehmung. Sie werden vielmehr

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[531/0555] nichts mehr wiſſen; ſie machen ſich zu dauernden Organen ihrer Ge- werbsangelegenheiten, und zwingen jeden Gewerbsgenoſſen, nicht bloß beizutreten, ſondern auch ſich den Beſchlüſſen der Geſammtheit des Ge- werbes zu unterwerfen. So verlieren ſie das, was aus ihnen eigent- lich einen Verein machte; ſie ſind jetzt vielmehr eine Corporation mit dauernder Organiſation, anerkannten Rechten und geordneter Thätig- keit; ſie werden zu den Organen der Gewerbeverwaltung, und ſo entſtehen die Zünfte und Innungen. Das nun ſind ſchon keine Vereine mehr, ſondern Körperſchaften der Selbſtverwaltung Das Vereinsweſen ſchließt ab, das Princip der Ausſchließlichkeit greift Platz, die freie Be- wegung des Individuums geht verloren, und der Reſt der eigentlichen Gilde iſt verſchwunden, um dann wieder in einer neuen, aber groß- artigeren Form aufzuerſtehen. Die Zeit nämlich, in welcher aus der gewerblichen Gilde die Cor- poration der Zünfte und Innungen wird, iſt dieſelbe, in welcher das Princip der ſtändiſchen Geſellſchaftsordnung zum vollen Siege gelangt, indem es auch die Städte, und in den Städten ſelbſt die geiſtige und die gewerbliche Arbeit in die ſtändiſche Form der Körperſchaft hinein zwängt. Die erſten Anfänge der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaftsordnung, die in dem jungen urſprünglichen Stadtbürgerthum und ſeinem Gewerbe gegeben waren, ſcheinen jetzt verloren. Die alten Elemente der Bildung der neuen Welt ſcheinen erſchöpft; es muß ein neues auftreten, und das wird zugleich der Beginn einer neuen Epoche für das Vereinsweſen werden. Dieſes neue Element iſt nun das große Capital und ſeine Wir- kung. Mit der Entdeckung Amerikas gewinnt der Handel, ganz abge- ſehen von ſeinen Objekten, ſeinem inneren Organismus nach eine andere Geſtalt. Da die Schiffe auf der transatlantiſchen Fahrt jetzt Jahre lang wegbleiben und große Riſikos laufen, ſo muß das Capital, welches einen ſolchen Handel betreibt, in dem Grade wachſen, in welchem es die transatlantiſche Handelsbewegung in ſich aufnimmt. Solchem Unter- nehmen iſt bald auch der Reichſte nicht mehr gewachſen. Es bleibt nur Eins übrig, das iſt die Verbindung von großen Capitalien. Allein zugleich tritt ein zweites hinzu. Die Regierungen ſehen eben in jenem Handel aus einer Reihe von Gründen, deren Kenntniß wir hier vor- ausſetzen dürfen, eine weſentliche Quelle des Reichthums und der Macht ihrer Staaten. Sie begrüßen daher die Bildung ſolcher Gemeinſchaften; ſie thun mehr, ſie geben ihnen direkte Unterſtützungen, und da ſie kein Geld beſitzen, ſo geben ſie ihnen wenigſtens, was ſie haben, eine Reihe öffentlicher Vorrechte. Damit wird aus jenen Societäten etwas anderes als eine bloß wirthſchaftliche Unternehmung. Sie werden vielmehr

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/555>, abgerufen am 22.11.2024.