die Familie vertritt. Das Streben nach Erwerb entzieht die Eltern den Kindern, und nimmt daher den letzteren die allererste Bedingung einer persönlichen Entwicklung, die leibliche und geistige Pflege der ersten Kindheit. Hier tritt das Vereinswesen auf und zwar in doppelter Weise. Zuerst übernimmt das Vereinswesen die Sorge für die ganz elternlose Kindheit in den Waisenvereinen, die übrigens sich im Grunde nur an die öffentlichen Waisenversorgungsanstalten anschließen können, aber auf diese Weise sehr nützlich wirken. Dann entstehen zweitens die Kinderhülfsvereine, die Krippenvereine, welche für die erste Kindheit, und die Warteschulenvereine, welche für die Zeit der ersten Erziehung sorgen. Bei den letzten Vereinen ist es noch mehr die Zeit und die persönliche Thätigkeit, welche die höheren Klassen her- geben, als die Geldmittel; denn in der That kann nur jenes die Fa- milie ersetzen. Jenseits der Gränze der Kindheit tritt eine andere Kategorie von Vereinen sorgend für die Kinder der niederen Klasse auf; das sind alle Vereine für Bildung des Volkes, und zwar insofern dieselben den Zweck haben, die Mittel darzubieten, um diese Bildung auch denen zugänglich zu machen, welche zu unbemittelt sind, um den Preis der Bildung zu zahlen. Hier verschmelzen daher Bildungsvereine und Hülfsvereine zu einem Ganzen, eine Verschmelzung, die sich in dem folgenden Gebiete in anderer Weise wiederholt. Dieß Gebiet ist das der Krankenvereine. Die Krankenvereine haben eine zweifache Grundform. Entweder sie sind Vereine der höheren Klasse für die Pflege und Unterstützung der niederen Klasse in Krankheiten, die ja die Erwerbsfähigkeit vernichten oder hemmen, und dann gehören sie den Armenvereinen bis zu einem gewissen Grade; oder sie bestehen aus einem Vereine der Mitglieder der nichtbesitzenden oder doch erwerbenden Klasse selbst, die sich durch gemeinschaftliche Beiträge den Unterhalt während einer Krankheit sichern wollen, und dann sind sie den Spar- vereinen verwandt. Dennoch ist es kein Zweifel, daß in beiden Fällen der eigentlich sociale Charakter überwiegt. Ein ganz ähnliches gilt von der Klasse von Vereinen, die wir als die Unterhaltsvereine be- zeichnen können. Auch diese theilen sich in zwei Gruppen. Theils er- scheinen sie als Unterstützungsvereine der besitzenden Klassen, welche die Unterhaltsmittel den Nichtbesitzenden hingeben, Suppe, Feuerung, zum Theil auch Wohnungen (cites ouvrieres), bald ganz umsonst, bald zu geringem Preise; theils erscheinen sie als gegenseitige Vereine innerhalb der nichtbesitzenden Klasse selbst, als die sogenannten Consumvereine, bei denen der Verein eine Unternehmung ist, welche den Handelsgewinn in der Verminderung des Preises an seine Mitglieder verkauft, wobei aber auch wieder die direkte Unterstützung der Besitzenden fast immer
die Familie vertritt. Das Streben nach Erwerb entzieht die Eltern den Kindern, und nimmt daher den letzteren die allererſte Bedingung einer perſönlichen Entwicklung, die leibliche und geiſtige Pflege der erſten Kindheit. Hier tritt das Vereinsweſen auf und zwar in doppelter Weiſe. Zuerſt übernimmt das Vereinsweſen die Sorge für die ganz elternloſe Kindheit in den Waiſenvereinen, die übrigens ſich im Grunde nur an die öffentlichen Waiſenverſorgungsanſtalten anſchließen können, aber auf dieſe Weiſe ſehr nützlich wirken. Dann entſtehen zweitens die Kinderhülfsvereine, die Krippenvereine, welche für die erſte Kindheit, und die Warteſchulenvereine, welche für die Zeit der erſten Erziehung ſorgen. Bei den letzten Vereinen iſt es noch mehr die Zeit und die perſönliche Thätigkeit, welche die höheren Klaſſen her- geben, als die Geldmittel; denn in der That kann nur jenes die Fa- milie erſetzen. Jenſeits der Gränze der Kindheit tritt eine andere Kategorie von Vereinen ſorgend für die Kinder der niederen Klaſſe auf; das ſind alle Vereine für Bildung des Volkes, und zwar inſofern dieſelben den Zweck haben, die Mittel darzubieten, um dieſe Bildung auch denen zugänglich zu machen, welche zu unbemittelt ſind, um den Preis der Bildung zu zahlen. Hier verſchmelzen daher Bildungsvereine und Hülfsvereine zu einem Ganzen, eine Verſchmelzung, die ſich in dem folgenden Gebiete in anderer Weiſe wiederholt. Dieß Gebiet iſt das der Krankenvereine. Die Krankenvereine haben eine zweifache Grundform. Entweder ſie ſind Vereine der höheren Klaſſe für die Pflege und Unterſtützung der niederen Klaſſe in Krankheiten, die ja die Erwerbsfähigkeit vernichten oder hemmen, und dann gehören ſie den Armenvereinen bis zu einem gewiſſen Grade; oder ſie beſtehen aus einem Vereine der Mitglieder der nichtbeſitzenden oder doch erwerbenden Klaſſe ſelbſt, die ſich durch gemeinſchaftliche Beiträge den Unterhalt während einer Krankheit ſichern wollen, und dann ſind ſie den Spar- vereinen verwandt. Dennoch iſt es kein Zweifel, daß in beiden Fällen der eigentlich ſociale Charakter überwiegt. Ein ganz ähnliches gilt von der Klaſſe von Vereinen, die wir als die Unterhaltsvereine be- zeichnen können. Auch dieſe theilen ſich in zwei Gruppen. Theils er- ſcheinen ſie als Unterſtützungsvereine der beſitzenden Klaſſen, welche die Unterhaltsmittel den Nichtbeſitzenden hingeben, Suppe, Feuerung, zum Theil auch Wohnungen (cités ouvrières), bald ganz umſonſt, bald zu geringem Preiſe; theils erſcheinen ſie als gegenſeitige Vereine innerhalb der nichtbeſitzenden Klaſſe ſelbſt, als die ſogenannten Conſumvereine, bei denen der Verein eine Unternehmung iſt, welche den Handelsgewinn in der Verminderung des Preiſes an ſeine Mitglieder verkauft, wobei aber auch wieder die direkte Unterſtützung der Beſitzenden faſt immer
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die Familie vertritt. Das Streben nach Erwerb entzieht die Eltern
den Kindern, und nimmt daher den letzteren die allererſte Bedingung
einer perſönlichen Entwicklung, die leibliche und geiſtige Pflege der
erſten Kindheit. Hier tritt das Vereinsweſen auf und zwar in doppelter
Weiſe. Zuerſt übernimmt das Vereinsweſen die Sorge für die ganz
elternloſe Kindheit in den Waiſenvereinen, die übrigens ſich im
Grunde nur an die öffentlichen Waiſenverſorgungsanſtalten anſchließen
können, aber auf dieſe Weiſe ſehr nützlich wirken. Dann entſtehen
zweitens die Kinderhülfsvereine, die Krippenvereine, welche für die
erſte Kindheit, und die Warteſchulenvereine, welche für die Zeit
der erſten Erziehung ſorgen. Bei den letzten Vereinen iſt es noch mehr
die Zeit und die perſönliche Thätigkeit, welche die höheren Klaſſen her-
geben, als die Geldmittel; denn in der That kann nur jenes die Fa-
milie erſetzen. Jenſeits der Gränze der Kindheit tritt eine andere
Kategorie von Vereinen ſorgend für die Kinder der niederen Klaſſe auf;
das ſind alle Vereine für Bildung des Volkes, und zwar inſofern
dieſelben den Zweck haben, die Mittel darzubieten, um dieſe Bildung
auch denen zugänglich zu machen, welche zu unbemittelt ſind, um den
Preis der Bildung zu zahlen. Hier verſchmelzen daher Bildungsvereine
und Hülfsvereine zu einem Ganzen, eine Verſchmelzung, die ſich in
dem folgenden Gebiete in anderer Weiſe wiederholt. Dieß Gebiet iſt
das der Krankenvereine. Die Krankenvereine haben eine zweifache
Grundform. Entweder ſie ſind Vereine der höheren Klaſſe für die
Pflege und Unterſtützung der niederen Klaſſe in Krankheiten, die ja die
Erwerbsfähigkeit vernichten oder hemmen, und dann gehören ſie den
Armenvereinen bis zu einem gewiſſen Grade; oder ſie beſtehen aus
einem Vereine der Mitglieder der nichtbeſitzenden oder doch erwerbenden
Klaſſe ſelbſt, die ſich durch gemeinſchaftliche Beiträge den Unterhalt
während einer Krankheit ſichern wollen, und dann ſind ſie den Spar-
vereinen verwandt. Dennoch iſt es kein Zweifel, daß in beiden Fällen
der eigentlich ſociale Charakter überwiegt. Ein ganz ähnliches gilt von
der Klaſſe von Vereinen, die wir als die Unterhaltsvereine be-
zeichnen können. Auch dieſe theilen ſich in zwei Gruppen. Theils er-
ſcheinen ſie als Unterſtützungsvereine der beſitzenden Klaſſen, welche die
Unterhaltsmittel den Nichtbeſitzenden hingeben, Suppe, Feuerung, zum
Theil auch Wohnungen (cités ouvrières), bald ganz umſonſt, bald zu
geringem Preiſe; theils erſcheinen ſie als gegenſeitige Vereine innerhalb
der nichtbeſitzenden Klaſſe ſelbſt, als die ſogenannten Conſumvereine,
bei denen der Verein eine Unternehmung iſt, welche den Handelsgewinn
in der Verminderung des Preiſes an ſeine Mitglieder verkauft, wobei
aber auch wieder die direkte Unterſtützung der Beſitzenden faſt immer
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 562. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/586>, abgerufen am 22.11.2024.
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