haben, und daß andererseits in diesem Unterschied ein wesentliches Moment des gesammten öffentlichen Rechts beruht, um so mehr fordert diese Entwicklung eine genaue Beachtung. Man muß aber hier zuerst den Gang derselben in der Gesetzgebung des öffentlichen Rechts selbst von dem Gange der Theorie, in jener aber wieder die großen Völker und ihr Verfassungsleben trennen.
Geschichte des öffentlichen Rechts der Gesetze und Verord- nungen. -- Da, wie schon gesagt, ein bestimmter Unterschied von Gesetz und Verordnung gar nicht möglich ist, ohne das Auftreten eines gesetzgebenden Körpers, dieser letztere aber nicht bloß der Zeit, sondern auch dem Inhalt nach in den verschiedenen Staaten so sehr verschieden ist, so haben auch Begriff und Recht beider in jedem Volke ihre eigene Geschichte.
England.
Was zuerst England betrifft, so ist in England der Sieg des König- thums über die Volksvertretung niemals ein so entschiedener gewesen, als auf dem Continent. Es hat daher niemals das Bedürfuiß gehabt, in einer eigent- lichen, theoretischen Verfassung das Recht der Gesetzgebung und der Verwaltung gegen einander formell abzugränzen. Andererseits hat sich England immer das lebendige Bewußtsein, sowohl der königlichen, als der selbständig vollziehenden Gewalt erhalten. Es hat daher jene Grundlagen des öffentlichen Rechts viel- mehr in seinem staatlichen Bewußtsein verarbeitet, als gesetzlich formulirt, und die Darstellung muß daher sich hier mehr an die Natur der Sache anschließen, als an positive Rechtsbestimmungen; denn dieß öffentliche Recht Großbritanniens ist eben das Recht der natürlichen, organisches Gleichgewicht erzielenden Ge- staltung der Dinge.
Die letztere ist nun mit wenig Worten gegeben. Die Staatsgewalt ist "the King in Parliament;" sie hat das Recht, jedes Gesetz zu erlassen, was sie will; alles ist ihr unterworfen. Das Parlament unter Sanktion des Königs kann daher nicht bloß förmliche Gesetzgebung, sondern auch jede einzelne Verordnung beschließen. Es existirt daher hier kein Unterschied von Gesetz und Verordnung nach dem Gegenstand und daher auch kein Ausdruck, der genau das Wort Gesetz wieder gäbe, denn "law" ist nicht Gesetz als solches, sondern bedeutet nichts anderes als das geltende Recht, gleichviel, woher es stammt, ob common law oder statute law. Der specifische Ausdruck für den sanktio- nirten Beschluß der Gesetzgebung ist dagegen "bill." Eine bill kann daher jedes öffentliche und jedes Privatrecht ändern; sie ist kein Theil der Verfassung, wohl aber ist ihr Recht das höchste geltende Recht. Wo daher eine Verwaltungs- maßregel nur durch irgend eine Beschränkung des bürgerlichen Rechts durch- geführt werden kann, da bedarf die erstere einer bill of Parliament; gibt sie einem Einzelnen ein Recht gegenüber dem bürgerlichen Recht anderer, so heißt sie private bill. Sie ist alsdann eine durch die Gesetzgebung beschlossene Verordnung. Diesem Recht gegenüber steht allerdings ein Verordnungsrecht, ausgeübt durch die vollziehende Staatsgewalt, dem King in Council. Dieser vollziehenden Staatsgewalt steht die höchste Authority zu, das Recht, Gehorsam zu fordern; es gibt für sie an sich keine Gränzen, weder in den Thatsachen, noch
haben, und daß andererſeits in dieſem Unterſchied ein weſentliches Moment des geſammten öffentlichen Rechts beruht, um ſo mehr fordert dieſe Entwicklung eine genaue Beachtung. Man muß aber hier zuerſt den Gang derſelben in der Geſetzgebung des öffentlichen Rechts ſelbſt von dem Gange der Theorie, in jener aber wieder die großen Völker und ihr Verfaſſungsleben trennen.
Geſchichte des öffentlichen Rechts der Geſetze und Verord- nungen. — Da, wie ſchon geſagt, ein beſtimmter Unterſchied von Geſetz und Verordnung gar nicht möglich iſt, ohne das Auftreten eines geſetzgebenden Körpers, dieſer letztere aber nicht bloß der Zeit, ſondern auch dem Inhalt nach in den verſchiedenen Staaten ſo ſehr verſchieden iſt, ſo haben auch Begriff und Recht beider in jedem Volke ihre eigene Geſchichte.
England.
Was zuerſt England betrifft, ſo iſt in England der Sieg des König- thums über die Volksvertretung niemals ein ſo entſchiedener geweſen, als auf dem Continent. Es hat daher niemals das Bedürfuiß gehabt, in einer eigent- lichen, theoretiſchen Verfaſſung das Recht der Geſetzgebung und der Verwaltung gegen einander formell abzugränzen. Andererſeits hat ſich England immer das lebendige Bewußtſein, ſowohl der königlichen, als der ſelbſtändig vollziehenden Gewalt erhalten. Es hat daher jene Grundlagen des öffentlichen Rechts viel- mehr in ſeinem ſtaatlichen Bewußtſein verarbeitet, als geſetzlich formulirt, und die Darſtellung muß daher ſich hier mehr an die Natur der Sache anſchließen, als an poſitive Rechtsbeſtimmungen; denn dieß öffentliche Recht Großbritanniens iſt eben das Recht der natürlichen, organiſches Gleichgewicht erzielenden Ge- ſtaltung der Dinge.
Die letztere iſt nun mit wenig Worten gegeben. Die Staatsgewalt iſt „the King in Parliament;“ ſie hat das Recht, jedes Geſetz zu erlaſſen, was ſie will; alles iſt ihr unterworfen. Das Parlament unter Sanktion des Königs kann daher nicht bloß förmliche Geſetzgebung, ſondern auch jede einzelne Verordnung beſchließen. Es exiſtirt daher hier kein Unterſchied von Geſetz und Verordnung nach dem Gegenſtand und daher auch kein Ausdruck, der genau das Wort Geſetz wieder gäbe, denn „law“ iſt nicht Geſetz als ſolches, ſondern bedeutet nichts anderes als das geltende Recht, gleichviel, woher es ſtammt, ob common law oder statute law. Der ſpecifiſche Ausdruck für den ſanktio- nirten Beſchluß der Geſetzgebung iſt dagegen „bill.“ Eine bill kann daher jedes öffentliche und jedes Privatrecht ändern; ſie iſt kein Theil der Verfaſſung, wohl aber iſt ihr Recht das höchſte geltende Recht. Wo daher eine Verwaltungs- maßregel nur durch irgend eine Beſchränkung des bürgerlichen Rechts durch- geführt werden kann, da bedarf die erſtere einer bill of Parliament; gibt ſie einem Einzelnen ein Recht gegenüber dem bürgerlichen Recht anderer, ſo heißt ſie private bill. Sie iſt alsdann eine durch die Geſetzgebung beſchloſſene Verordnung. Dieſem Recht gegenüber ſteht allerdings ein Verordnungsrecht, ausgeübt durch die vollziehende Staatsgewalt, dem King in Council. Dieſer vollziehenden Staatsgewalt ſteht die höchſte Authority zu, das Recht, Gehorſam zu fordern; es gibt für ſie an ſich keine Gränzen, weder in den Thatſachen, noch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0091"n="67"/>
haben, und daß andererſeits in dieſem Unterſchied ein weſentliches Moment<lb/>
des geſammten öffentlichen Rechts beruht, um ſo mehr fordert dieſe Entwicklung<lb/>
eine genaue Beachtung. Man muß aber hier zuerſt den Gang derſelben in der<lb/>
Geſetzgebung des öffentlichen Rechts ſelbſt von dem Gange der Theorie, in jener<lb/>
aber wieder die großen Völker und ihr Verfaſſungsleben trennen.</p><lb/><p><hirendition="#g">Geſchichte des öffentlichen Rechts der Geſetze und Verord-<lb/>
nungen</hi>. — Da, wie ſchon geſagt, ein beſtimmter Unterſchied von Geſetz und<lb/>
Verordnung gar nicht möglich iſt, ohne das Auftreten eines geſetzgebenden<lb/>
Körpers, dieſer letztere aber nicht bloß der Zeit, ſondern auch dem Inhalt nach<lb/>
in den verſchiedenen Staaten ſo ſehr verſchieden iſt, ſo haben auch Begriff und<lb/>
Recht beider in jedem <hirendition="#g">Volke ihre eigene Geſchichte</hi>.</p></div><lb/><divn="4"><head><hirendition="#b">England.</hi></head><lb/><p>Was zuerſt <hirendition="#g">England</hi> betrifft, ſo iſt in England der Sieg des König-<lb/>
thums über die Volksvertretung niemals ein ſo entſchiedener geweſen, als auf<lb/>
dem Continent. Es hat daher niemals das Bedürfuiß gehabt, in einer eigent-<lb/>
lichen, theoretiſchen Verfaſſung das Recht der Geſetzgebung und der Verwaltung<lb/>
gegen einander formell abzugränzen. Andererſeits hat ſich England immer das<lb/>
lebendige Bewußtſein, ſowohl der königlichen, als der ſelbſtändig vollziehenden<lb/>
Gewalt erhalten. Es hat daher jene Grundlagen des öffentlichen Rechts viel-<lb/>
mehr in ſeinem ſtaatlichen Bewußtſein verarbeitet, als geſetzlich formulirt, und<lb/>
die Darſtellung muß daher ſich hier mehr an die Natur der Sache anſchließen,<lb/>
als an poſitive Rechtsbeſtimmungen; denn dieß öffentliche Recht Großbritanniens<lb/>
iſt eben das Recht der natürlichen, organiſches Gleichgewicht erzielenden Ge-<lb/>ſtaltung der Dinge.</p><lb/><p>Die letztere iſt nun mit wenig Worten gegeben. Die Staatsgewalt iſt<lb/><hirendition="#aq">„the King in Parliament;“</hi>ſie hat das Recht, jedes Geſetz zu erlaſſen, was<lb/>ſie will; alles iſt ihr unterworfen. Das Parlament unter Sanktion des Königs<lb/>
kann daher nicht bloß förmliche Geſetzgebung, ſondern auch <hirendition="#g">jede einzelne<lb/>
Verordnung</hi> beſchließen. Es exiſtirt daher hier kein Unterſchied von Geſetz<lb/>
und Verordnung nach dem Gegenſtand und daher auch kein Ausdruck, der genau<lb/>
das Wort Geſetz wieder gäbe, denn <hirendition="#aq">„law“</hi> iſt <hirendition="#g">nicht</hi> Geſetz als ſolches, ſondern<lb/>
bedeutet nichts anderes als das <hirendition="#g">geltende Recht</hi>, gleichviel, woher es ſtammt,<lb/>
ob <hirendition="#aq">common law</hi> oder <hirendition="#aq">statute law.</hi> Der ſpecifiſche Ausdruck für den ſanktio-<lb/>
nirten Beſchluß der Geſetzgebung iſt dagegen <hirendition="#aq">„bill.“</hi> Eine <hirendition="#aq">bill</hi> kann daher<lb/>
jedes öffentliche und jedes Privatrecht ändern; ſie iſt kein Theil der Verfaſſung,<lb/>
wohl aber iſt ihr Recht das höchſte geltende Recht. Wo daher eine Verwaltungs-<lb/>
maßregel nur durch irgend eine Beſchränkung des bürgerlichen Rechts durch-<lb/>
geführt werden kann, da bedarf die erſtere einer <hirendition="#aq">bill of Parliament;</hi> gibt ſie<lb/>
einem Einzelnen ein Recht gegenüber dem bürgerlichen Recht anderer, ſo heißt<lb/>ſie <hirendition="#aq">private bill.</hi> Sie iſt alsdann eine durch die Geſetzgebung beſchloſſene<lb/>
Verordnung. Dieſem Recht gegenüber ſteht allerdings ein Verordnungsrecht,<lb/>
ausgeübt durch die vollziehende Staatsgewalt, dem <hirendition="#aq">King in Council.</hi> Dieſer<lb/>
vollziehenden Staatsgewalt ſteht die höchſte <hirendition="#aq">Authority</hi> zu, das Recht, Gehorſam<lb/>
zu fordern; es gibt für ſie an ſich keine Gränzen, weder in den Thatſachen, noch<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[67/0091]
haben, und daß andererſeits in dieſem Unterſchied ein weſentliches Moment
des geſammten öffentlichen Rechts beruht, um ſo mehr fordert dieſe Entwicklung
eine genaue Beachtung. Man muß aber hier zuerſt den Gang derſelben in der
Geſetzgebung des öffentlichen Rechts ſelbſt von dem Gange der Theorie, in jener
aber wieder die großen Völker und ihr Verfaſſungsleben trennen.
Geſchichte des öffentlichen Rechts der Geſetze und Verord-
nungen. — Da, wie ſchon geſagt, ein beſtimmter Unterſchied von Geſetz und
Verordnung gar nicht möglich iſt, ohne das Auftreten eines geſetzgebenden
Körpers, dieſer letztere aber nicht bloß der Zeit, ſondern auch dem Inhalt nach
in den verſchiedenen Staaten ſo ſehr verſchieden iſt, ſo haben auch Begriff und
Recht beider in jedem Volke ihre eigene Geſchichte.
England.
Was zuerſt England betrifft, ſo iſt in England der Sieg des König-
thums über die Volksvertretung niemals ein ſo entſchiedener geweſen, als auf
dem Continent. Es hat daher niemals das Bedürfuiß gehabt, in einer eigent-
lichen, theoretiſchen Verfaſſung das Recht der Geſetzgebung und der Verwaltung
gegen einander formell abzugränzen. Andererſeits hat ſich England immer das
lebendige Bewußtſein, ſowohl der königlichen, als der ſelbſtändig vollziehenden
Gewalt erhalten. Es hat daher jene Grundlagen des öffentlichen Rechts viel-
mehr in ſeinem ſtaatlichen Bewußtſein verarbeitet, als geſetzlich formulirt, und
die Darſtellung muß daher ſich hier mehr an die Natur der Sache anſchließen,
als an poſitive Rechtsbeſtimmungen; denn dieß öffentliche Recht Großbritanniens
iſt eben das Recht der natürlichen, organiſches Gleichgewicht erzielenden Ge-
ſtaltung der Dinge.
Die letztere iſt nun mit wenig Worten gegeben. Die Staatsgewalt iſt
„the King in Parliament;“ ſie hat das Recht, jedes Geſetz zu erlaſſen, was
ſie will; alles iſt ihr unterworfen. Das Parlament unter Sanktion des Königs
kann daher nicht bloß förmliche Geſetzgebung, ſondern auch jede einzelne
Verordnung beſchließen. Es exiſtirt daher hier kein Unterſchied von Geſetz
und Verordnung nach dem Gegenſtand und daher auch kein Ausdruck, der genau
das Wort Geſetz wieder gäbe, denn „law“ iſt nicht Geſetz als ſolches, ſondern
bedeutet nichts anderes als das geltende Recht, gleichviel, woher es ſtammt,
ob common law oder statute law. Der ſpecifiſche Ausdruck für den ſanktio-
nirten Beſchluß der Geſetzgebung iſt dagegen „bill.“ Eine bill kann daher
jedes öffentliche und jedes Privatrecht ändern; ſie iſt kein Theil der Verfaſſung,
wohl aber iſt ihr Recht das höchſte geltende Recht. Wo daher eine Verwaltungs-
maßregel nur durch irgend eine Beſchränkung des bürgerlichen Rechts durch-
geführt werden kann, da bedarf die erſtere einer bill of Parliament; gibt ſie
einem Einzelnen ein Recht gegenüber dem bürgerlichen Recht anderer, ſo heißt
ſie private bill. Sie iſt alsdann eine durch die Geſetzgebung beſchloſſene
Verordnung. Dieſem Recht gegenüber ſteht allerdings ein Verordnungsrecht,
ausgeübt durch die vollziehende Staatsgewalt, dem King in Council. Dieſer
vollziehenden Staatsgewalt ſteht die höchſte Authority zu, das Recht, Gehorſam
zu fordern; es gibt für ſie an ſich keine Gränzen, weder in den Thatſachen, noch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/91>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.