Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865.

Bild:
<< vorherige Seite

Verwaltung im weitern Sinn, sondern auch ausdrücklich das Recht der Ver-
ordnung: der Congreß hat das Recht: "to make all laws which shall be neces-
sary and proper for carrying into execution the foregoing powers, and
all other powers vested by this constitution in the gouvernement of the
United States, or in ony departement or office thereof."

Die executive power des Präsidenten hatte dabei natürlich nicht viel zu
bedeuten. Die Hülfe gegen diesen Widersinn lag allerdings in zwei Dingen:
in dem Frieden und in der Selbstverwaltung. Der Begriff der Ordres kommt
gar nicht vor.

Frankreich.

Von besonderem Interesse ist in der Entwicklung von Gesetz und Verord-
nung natürlich Frankreich. Man kann von ihm sagen, daß alle Formen und
Auffassungen der Verhältnisse beider hier in der Gestalt förmlicher verfassungs-
mäßiger Bestimmungen erscheinen.

Dieser historische Bildungsproceß des formellen Begriffes beginnt mit der
Declaration des droits de l'homme. Sie ist eigentlich das Lehrbuch für den
ursprünglichen Gedanken der ganzen Theorie. Art. 6 sagt:

"La loi est l'expression de la volonte generale. Tous les citoyens
ont droit de concourir personnellement, ou par leurs representants, a sa
formation."

Die Eintheilung der Souverainete du peuple III. Art. 3, 4, 5 delegirt
die Gesetzgebung an die assemblee nationale, die Vollziehung an den König,
das Gericht an die Richter. Diese gesetzgebende Gewalt empfängt ihre speziellen
Aufgaben Ch. III. Sect. 1. Dabei ist der schon ganz bestimmte Begriff der
Verordnung förmlich anerkannt Ch. II. Sect. IV.

Art. 4. "Aucun ordre du Roi ne peut etre execute, s'il n'est signe
par lui, et contresigne par le ministre ou l'ordonnateur du departement."

Es ist, als ob man in dieser Verfassung und der nordamerikanischen das
alte Europa neben dem jungen Amerika in seiner selbsteigensten Gestalt hin-
treten sieht; es liegt eine ungeheure Differenz zwischen beiden Auffassungen.
Die folgenden Constitutionen haben umsonst versucht, das unverlöschliche monar-
chische Princip auch nur für einen Augenblick zu verwischen, und die trans-
atlantische Idee selbst auf den Boden der wildesten europäischen Republik zu
verpflanzen! Die Constitution von 1793 geht nun einen Schritt weiter. In
ihr ist der Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung formell klar, obwohl
beide der Sache nach identisch sind, indem beide von der gesetzgebenden Gewalt
gegeben werden, aber beide sowohl verschieden sind in ihren Gegenständen als
in der Form.

Art. 53. "Le Corps legislatif propose les lois, et rend les decrets.
Art. 55. Les decrets -- concernent: les mesures de saurete et de tran-
quillite generale etc."

In der Constitution von 1795 ist dieser Standpunkt dahin entwickelt, daß
aus motifs d'urgence die Formen der Gesetzgebung von dem Conseil des
Cinq Cents
übergangen werden können; es ist der Anfang der in Deutschland

Verwaltung im weitern Sinn, ſondern auch ausdrücklich das Recht der Ver-
ordnung: der Congreß hat das Recht: „to make all laws which shall be neces-
sary and proper for carrying into execution the foregoing powers, and
all other powers vested by this constitution in the gouvernement of the
United States, or in ony departement or office thereof.“

Die executive power des Präſidenten hatte dabei natürlich nicht viel zu
bedeuten. Die Hülfe gegen dieſen Widerſinn lag allerdings in zwei Dingen:
in dem Frieden und in der Selbſtverwaltung. Der Begriff der Ordres kommt
gar nicht vor.

Frankreich.

Von beſonderem Intereſſe iſt in der Entwicklung von Geſetz und Verord-
nung natürlich Frankreich. Man kann von ihm ſagen, daß alle Formen und
Auffaſſungen der Verhältniſſe beider hier in der Geſtalt förmlicher verfaſſungs-
mäßiger Beſtimmungen erſcheinen.

Dieſer hiſtoriſche Bildungsproceß des formellen Begriffes beginnt mit der
Déclaration des droits de l’homme. Sie iſt eigentlich das Lehrbuch für den
urſprünglichen Gedanken der ganzen Theorie. Art. 6 ſagt:

„La loi est l’expression de la volonté générale. Tous les citoyens
ont droit de concourir personnellement, ou par leurs représentants, à sa
formation.“

Die Eintheilung der Souveraineté du peuple III. Art. 3, 4, 5 delegirt
die Geſetzgebung an die assemblée nationale, die Vollziehung an den König,
das Gericht an die Richter. Dieſe geſetzgebende Gewalt empfängt ihre ſpeziellen
Aufgaben Ch. III. Sect. 1. Dabei iſt der ſchon ganz beſtimmte Begriff der
Verordnung förmlich anerkannt Ch. II. Sect. IV.

Art. 4. „Aucun ordre du Roi ne peut être exécuté, s’il n’est signé
par lui, et contresigné par le ministre ou l’ordonnateur du departement.“

Es iſt, als ob man in dieſer Verfaſſung und der nordamerikaniſchen das
alte Europa neben dem jungen Amerika in ſeiner ſelbſteigenſten Geſtalt hin-
treten ſieht; es liegt eine ungeheure Differenz zwiſchen beiden Auffaſſungen.
Die folgenden Conſtitutionen haben umſonſt verſucht, das unverlöſchliche monar-
chiſche Princip auch nur für einen Augenblick zu verwiſchen, und die trans-
atlantiſche Idee ſelbſt auf den Boden der wildeſten europäiſchen Republik zu
verpflanzen! Die Conſtitution von 1793 geht nun einen Schritt weiter. In
ihr iſt der Unterſchied zwiſchen Geſetz und Verordnung formell klar, obwohl
beide der Sache nach identiſch ſind, indem beide von der geſetzgebenden Gewalt
gegeben werden, aber beide ſowohl verſchieden ſind in ihren Gegenſtänden als
in der Form.

Art. 53. „Le Corps législatif propose les lois, et rend les décrets.
Art. 55. Les décrets — concernent: les mesures de sûreté et de tran-
quillité générale etc.“

In der Conſtitution von 1795 iſt dieſer Standpunkt dahin entwickelt, daß
aus motifs d’urgence die Formen der Geſetzgebung von dem Conseil des
Cinq Cents
übergangen werden können; es iſt der Anfang der in Deutſchland

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0093" n="69"/>
Verwaltung im weitern Sinn, &#x017F;ondern auch <hi rendition="#g">ausdrücklich</hi> das Recht der Ver-<lb/>
ordnung: der Congreß hat das Recht: <hi rendition="#aq">&#x201E;to make <hi rendition="#i">all laws</hi> which shall be neces-<lb/>
sary and proper for <hi rendition="#i">carrying into execution</hi> the foregoing powers, and<lb/><hi rendition="#i">all other powers</hi> vested by this constitution in the gouvernement of the<lb/>
United States, or in <hi rendition="#i">ony departement</hi> or office thereof.&#x201C;</hi></p><lb/>
              <p>Die <hi rendition="#aq">executive power</hi> des Prä&#x017F;identen hatte dabei natürlich nicht viel zu<lb/>
bedeuten. Die Hülfe gegen die&#x017F;en Wider&#x017F;inn lag allerdings in zwei Dingen:<lb/>
in dem Frieden und in der Selb&#x017F;tverwaltung. Der Begriff der <hi rendition="#aq">Ordres</hi> kommt<lb/>
gar nicht vor.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/>
              <p>Von be&#x017F;onderem Intere&#x017F;&#x017F;e i&#x017F;t in der Entwicklung von Ge&#x017F;etz und Verord-<lb/>
nung natürlich Frankreich. Man kann von ihm &#x017F;agen, daß alle Formen und<lb/>
Auffa&#x017F;&#x017F;ungen der Verhältni&#x017F;&#x017F;e beider hier in der Ge&#x017F;talt förmlicher verfa&#x017F;&#x017F;ungs-<lb/>
mäßiger Be&#x017F;timmungen er&#x017F;cheinen.</p><lb/>
              <p>Die&#x017F;er hi&#x017F;tori&#x017F;che Bildungsproceß des formellen Begriffes beginnt mit der<lb/><hi rendition="#aq">Déclaration des droits de l&#x2019;homme.</hi> Sie i&#x017F;t eigentlich das Lehrbuch für den<lb/>
ur&#x017F;prünglichen Gedanken der ganzen Theorie. Art. 6 &#x017F;agt:</p><lb/>
              <p> <hi rendition="#aq">&#x201E;La loi est l&#x2019;expression de la volonté générale. Tous les citoyens<lb/>
ont droit de concourir personnellement, ou par leurs représentants, à sa<lb/>
formation.&#x201C;</hi> </p><lb/>
              <p>Die Eintheilung der <hi rendition="#aq">Souveraineté du peuple III. Art.</hi> 3, 4, 5 <hi rendition="#g">delegirt</hi><lb/>
die Ge&#x017F;etzgebung an die <hi rendition="#aq">assemblée nationale,</hi> die Vollziehung an den König,<lb/>
das Gericht an die Richter. Die&#x017F;e ge&#x017F;etzgebende Gewalt empfängt ihre &#x017F;peziellen<lb/>
Aufgaben <hi rendition="#aq">Ch. III. Sect.</hi> 1. Dabei i&#x017F;t der &#x017F;chon ganz be&#x017F;timmte Begriff der<lb/>
Verordnung förmlich anerkannt <hi rendition="#aq">Ch. II. Sect. IV.</hi></p><lb/>
              <p> <hi rendition="#aq">Art. 4. &#x201E;Aucun <hi rendition="#i">ordre du Roi</hi> ne peut être <hi rendition="#i">exécuté</hi>, s&#x2019;il n&#x2019;est signé<lb/>
par lui, et contresigné par le ministre ou l&#x2019;ordonnateur du departement.&#x201C;</hi> </p><lb/>
              <p>Es i&#x017F;t, als ob man in die&#x017F;er Verfa&#x017F;&#x017F;ung und der nordamerikani&#x017F;chen das<lb/>
alte Europa neben dem jungen Amerika in &#x017F;einer &#x017F;elb&#x017F;teigen&#x017F;ten Ge&#x017F;talt hin-<lb/>
treten &#x017F;ieht; es liegt eine ungeheure Differenz zwi&#x017F;chen beiden Auffa&#x017F;&#x017F;ungen.<lb/>
Die folgenden Con&#x017F;titutionen haben um&#x017F;on&#x017F;t ver&#x017F;ucht, das unverlö&#x017F;chliche monar-<lb/>
chi&#x017F;che Princip auch nur für einen Augenblick zu verwi&#x017F;chen, und die trans-<lb/>
atlanti&#x017F;che Idee &#x017F;elb&#x017F;t auf den Boden der wilde&#x017F;ten europäi&#x017F;chen Republik zu<lb/>
verpflanzen! Die Con&#x017F;titution von 1793 geht nun einen Schritt weiter. In<lb/>
ihr i&#x017F;t der Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen Ge&#x017F;etz und Verordnung formell klar, obwohl<lb/>
beide der Sache nach identi&#x017F;ch &#x017F;ind, indem <hi rendition="#g">beide</hi> von der ge&#x017F;etzgebenden Gewalt<lb/>
gegeben werden, aber beide &#x017F;owohl ver&#x017F;chieden &#x017F;ind in ihren Gegen&#x017F;tänden als<lb/>
in der Form.</p><lb/>
              <p> <hi rendition="#aq">Art. 53. &#x201E;Le Corps législatif propose les lois, et rend les décrets.<lb/>
Art. 55. Les décrets &#x2014; concernent: les mesures de sûreté et de tran-<lb/>
quillité générale etc.&#x201C;</hi> </p><lb/>
              <p>In der Con&#x017F;titution von 1795 i&#x017F;t die&#x017F;er Standpunkt dahin entwickelt, daß<lb/>
aus <hi rendition="#aq">motifs d&#x2019;urgence</hi> die Formen der Ge&#x017F;etzgebung von dem <hi rendition="#aq">Conseil des<lb/>
Cinq Cents</hi> übergangen werden können; es i&#x017F;t der Anfang der in Deut&#x017F;chland<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[69/0093] Verwaltung im weitern Sinn, ſondern auch ausdrücklich das Recht der Ver- ordnung: der Congreß hat das Recht: „to make all laws which shall be neces- sary and proper for carrying into execution the foregoing powers, and all other powers vested by this constitution in the gouvernement of the United States, or in ony departement or office thereof.“ Die executive power des Präſidenten hatte dabei natürlich nicht viel zu bedeuten. Die Hülfe gegen dieſen Widerſinn lag allerdings in zwei Dingen: in dem Frieden und in der Selbſtverwaltung. Der Begriff der Ordres kommt gar nicht vor. Frankreich. Von beſonderem Intereſſe iſt in der Entwicklung von Geſetz und Verord- nung natürlich Frankreich. Man kann von ihm ſagen, daß alle Formen und Auffaſſungen der Verhältniſſe beider hier in der Geſtalt förmlicher verfaſſungs- mäßiger Beſtimmungen erſcheinen. Dieſer hiſtoriſche Bildungsproceß des formellen Begriffes beginnt mit der Déclaration des droits de l’homme. Sie iſt eigentlich das Lehrbuch für den urſprünglichen Gedanken der ganzen Theorie. Art. 6 ſagt: „La loi est l’expression de la volonté générale. Tous les citoyens ont droit de concourir personnellement, ou par leurs représentants, à sa formation.“ Die Eintheilung der Souveraineté du peuple III. Art. 3, 4, 5 delegirt die Geſetzgebung an die assemblée nationale, die Vollziehung an den König, das Gericht an die Richter. Dieſe geſetzgebende Gewalt empfängt ihre ſpeziellen Aufgaben Ch. III. Sect. 1. Dabei iſt der ſchon ganz beſtimmte Begriff der Verordnung förmlich anerkannt Ch. II. Sect. IV. Art. 4. „Aucun ordre du Roi ne peut être exécuté, s’il n’est signé par lui, et contresigné par le ministre ou l’ordonnateur du departement.“ Es iſt, als ob man in dieſer Verfaſſung und der nordamerikaniſchen das alte Europa neben dem jungen Amerika in ſeiner ſelbſteigenſten Geſtalt hin- treten ſieht; es liegt eine ungeheure Differenz zwiſchen beiden Auffaſſungen. Die folgenden Conſtitutionen haben umſonſt verſucht, das unverlöſchliche monar- chiſche Princip auch nur für einen Augenblick zu verwiſchen, und die trans- atlantiſche Idee ſelbſt auf den Boden der wildeſten europäiſchen Republik zu verpflanzen! Die Conſtitution von 1793 geht nun einen Schritt weiter. In ihr iſt der Unterſchied zwiſchen Geſetz und Verordnung formell klar, obwohl beide der Sache nach identiſch ſind, indem beide von der geſetzgebenden Gewalt gegeben werden, aber beide ſowohl verſchieden ſind in ihren Gegenſtänden als in der Form. Art. 53. „Le Corps législatif propose les lois, et rend les décrets. Art. 55. Les décrets — concernent: les mesures de sûreté et de tran- quillité générale etc.“ In der Conſtitution von 1795 iſt dieſer Standpunkt dahin entwickelt, daß aus motifs d’urgence die Formen der Geſetzgebung von dem Conseil des Cinq Cents übergangen werden können; es iſt der Anfang der in Deutſchland

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/93
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/93>, abgerufen am 28.11.2024.