Die aber sind in der herrschenden Classe der Gesellschaftsordnung ge- geben. Und so ist es unvermeidlich, daß, wo immer ein Gegensatz der Classen sich in der Republik ausgebildet hat, alles republikanische Ver- waltungsrecht ein Recht der herrschenden Classe über die beherrschte enthalte, oder wenigstens daß dieß der letztern so erscheine. Daraus ergibt sich, daß nur zu oft der Erfolg solcher Gesetzgebung durch Vor- urtheil und Haß, welche sie begleiten, gerade in das Gegentheil dessen ausschlagen, was sie sein soll, selbst dann, wenn das Gesetz an sich ein ganz verständiges ist. Ist es aber ein unverständiges, so bewirkt jenes Verhältniß zur Gesellschaft, daß der kleine Fehler Ursache eines großen Unglücks werden kann, denn die niedere Classe wird stets für jeden Fehlgriff nicht die menschliche Schwäche, sondern das Sonder- interesse verantwortlich machen. Aus diesen Gründen ist das gänzliche Aufgehen des verordnungsmäßigen Verwaltungsrechts in das gesetz- mäßige, oder die rein republikanische Bildung des Verwaltungsrechts nicht bloß an sich ein verkehrtes, sondern auch praktisch ein gefährliches Princip.
Eben so gefahrvoll, wenn auch in anderer Weise, ist das Ver- nichten des gesetzmäßigen Verwaltungsrechts durch das verordnungs- mäßige. Denn abgesehen von dem Widerspruche mit der staatsbürger- lichen Freiheit wird die rein staatliche Gewalt niemals die Besonderheit der wirklichen Lebensverhältnisse ihres Volkes ganz zu würdigen wissen, da sie ihrer Natur nach nur fähig und bestimmt ist, das Allgemeine und Gleichartige in denselben zu verstehen und die Eigenthümlichkeiten der concreten und örtlichen Zustände denselben unterzuordnen. Diese aber fordern ihr Recht, und durch sie kann das, was im Allgemeinen sehr wahr und praktisch erscheint, in der wirklichen Anwendung sehr ungeeignet werden. Nicht allein nun, daß dieß der Aufgabe des Ver- waltungsrechts an sich widerspricht, sondern es liegt in der Natur der Sache, daß das Volk in diesem Falle die Regierung nicht bloß für dasjenige verantwortlich macht, was sie wirklich versehen hat, sondern auch für den zufälligen Mißerfolg an sich richtiger Maßregeln. Und diese Anklage wird in solchem Falle selten bloß die machthabenden Per- sönlichkeiten, sondern regelmäßig den Staat als solchen treffen, und ihn zuerst in seiner geistigen und ethischen Beziehung, dann oft in seiner ganzen äußern Stellung erschüttern. Es ist daher keine geringere Ge- fahr in diesem Bildungsproceß des Verwaltungsrechts, als in dem, den wir den republikanischen genannt haben.
Wenn dem nun so ist, so entsteht allerdings die Frage, ob es nicht außerhalb des Kampfes der gesellschaftlichen Kämpfe und Mächte unter einander und mit dem Staate ein festes Princip gebe, welches jene Gränze zu finden und festzustellen im Stande und berufen ist?
Die aber ſind in der herrſchenden Claſſe der Geſellſchaftsordnung ge- geben. Und ſo iſt es unvermeidlich, daß, wo immer ein Gegenſatz der Claſſen ſich in der Republik ausgebildet hat, alles republikaniſche Ver- waltungsrecht ein Recht der herrſchenden Claſſe über die beherrſchte enthalte, oder wenigſtens daß dieß der letztern ſo erſcheine. Daraus ergibt ſich, daß nur zu oft der Erfolg ſolcher Geſetzgebung durch Vor- urtheil und Haß, welche ſie begleiten, gerade in das Gegentheil deſſen ausſchlagen, was ſie ſein ſoll, ſelbſt dann, wenn das Geſetz an ſich ein ganz verſtändiges iſt. Iſt es aber ein unverſtändiges, ſo bewirkt jenes Verhältniß zur Geſellſchaft, daß der kleine Fehler Urſache eines großen Unglücks werden kann, denn die niedere Claſſe wird ſtets für jeden Fehlgriff nicht die menſchliche Schwäche, ſondern das Sonder- intereſſe verantwortlich machen. Aus dieſen Gründen iſt das gänzliche Aufgehen des verordnungsmäßigen Verwaltungsrechts in das geſetz- mäßige, oder die rein republikaniſche Bildung des Verwaltungsrechts nicht bloß an ſich ein verkehrtes, ſondern auch praktiſch ein gefährliches Princip.
Eben ſo gefahrvoll, wenn auch in anderer Weiſe, iſt das Ver- nichten des geſetzmäßigen Verwaltungsrechts durch das verordnungs- mäßige. Denn abgeſehen von dem Widerſpruche mit der ſtaatsbürger- lichen Freiheit wird die rein ſtaatliche Gewalt niemals die Beſonderheit der wirklichen Lebensverhältniſſe ihres Volkes ganz zu würdigen wiſſen, da ſie ihrer Natur nach nur fähig und beſtimmt iſt, das Allgemeine und Gleichartige in denſelben zu verſtehen und die Eigenthümlichkeiten der concreten und örtlichen Zuſtände denſelben unterzuordnen. Dieſe aber fordern ihr Recht, und durch ſie kann das, was im Allgemeinen ſehr wahr und praktiſch erſcheint, in der wirklichen Anwendung ſehr ungeeignet werden. Nicht allein nun, daß dieß der Aufgabe des Ver- waltungsrechts an ſich widerſpricht, ſondern es liegt in der Natur der Sache, daß das Volk in dieſem Falle die Regierung nicht bloß für dasjenige verantwortlich macht, was ſie wirklich verſehen hat, ſondern auch für den zufälligen Mißerfolg an ſich richtiger Maßregeln. Und dieſe Anklage wird in ſolchem Falle ſelten bloß die machthabenden Per- ſönlichkeiten, ſondern regelmäßig den Staat als ſolchen treffen, und ihn zuerſt in ſeiner geiſtigen und ethiſchen Beziehung, dann oft in ſeiner ganzen äußern Stellung erſchüttern. Es iſt daher keine geringere Ge- fahr in dieſem Bildungsproceß des Verwaltungsrechts, als in dem, den wir den republikaniſchen genannt haben.
Wenn dem nun ſo iſt, ſo entſteht allerdings die Frage, ob es nicht außerhalb des Kampfes der geſellſchaftlichen Kämpfe und Mächte unter einander und mit dem Staate ein feſtes Princip gebe, welches jene Gränze zu finden und feſtzuſtellen im Stande und berufen iſt?
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[84/0106]
Die aber ſind in der herrſchenden Claſſe der Geſellſchaftsordnung ge-
geben. Und ſo iſt es unvermeidlich, daß, wo immer ein Gegenſatz der
Claſſen ſich in der Republik ausgebildet hat, alles republikaniſche Ver-
waltungsrecht ein Recht der herrſchenden Claſſe über die beherrſchte
enthalte, oder wenigſtens daß dieß der letztern ſo erſcheine. Daraus
ergibt ſich, daß nur zu oft der Erfolg ſolcher Geſetzgebung durch Vor-
urtheil und Haß, welche ſie begleiten, gerade in das Gegentheil deſſen
ausſchlagen, was ſie ſein ſoll, ſelbſt dann, wenn das Geſetz an ſich
ein ganz verſtändiges iſt. Iſt es aber ein unverſtändiges, ſo bewirkt
jenes Verhältniß zur Geſellſchaft, daß der kleine Fehler Urſache eines
großen Unglücks werden kann, denn die niedere Claſſe wird ſtets für
jeden Fehlgriff nicht die menſchliche Schwäche, ſondern das Sonder-
intereſſe verantwortlich machen. Aus dieſen Gründen iſt das gänzliche
Aufgehen des verordnungsmäßigen Verwaltungsrechts in das geſetz-
mäßige, oder die rein republikaniſche Bildung des Verwaltungsrechts nicht
bloß an ſich ein verkehrtes, ſondern auch praktiſch ein gefährliches Princip.
Eben ſo gefahrvoll, wenn auch in anderer Weiſe, iſt das Ver-
nichten des geſetzmäßigen Verwaltungsrechts durch das verordnungs-
mäßige. Denn abgeſehen von dem Widerſpruche mit der ſtaatsbürger-
lichen Freiheit wird die rein ſtaatliche Gewalt niemals die Beſonderheit
der wirklichen Lebensverhältniſſe ihres Volkes ganz zu würdigen wiſſen,
da ſie ihrer Natur nach nur fähig und beſtimmt iſt, das Allgemeine
und Gleichartige in denſelben zu verſtehen und die Eigenthümlichkeiten
der concreten und örtlichen Zuſtände denſelben unterzuordnen. Dieſe
aber fordern ihr Recht, und durch ſie kann das, was im Allgemeinen
ſehr wahr und praktiſch erſcheint, in der wirklichen Anwendung ſehr
ungeeignet werden. Nicht allein nun, daß dieß der Aufgabe des Ver-
waltungsrechts an ſich widerſpricht, ſondern es liegt in der Natur der
Sache, daß das Volk in dieſem Falle die Regierung nicht bloß für
dasjenige verantwortlich macht, was ſie wirklich verſehen hat, ſondern
auch für den zufälligen Mißerfolg an ſich richtiger Maßregeln. Und
dieſe Anklage wird in ſolchem Falle ſelten bloß die machthabenden Per-
ſönlichkeiten, ſondern regelmäßig den Staat als ſolchen treffen, und
ihn zuerſt in ſeiner geiſtigen und ethiſchen Beziehung, dann oft in ſeiner
ganzen äußern Stellung erſchüttern. Es iſt daher keine geringere Ge-
fahr in dieſem Bildungsproceß des Verwaltungsrechts, als in dem, den
wir den republikaniſchen genannt haben.
Wenn dem nun ſo iſt, ſo entſteht allerdings die Frage, ob es
nicht außerhalb des Kampfes der geſellſchaftlichen Kämpfe und Mächte
unter einander und mit dem Staate ein feſtes Princip gebe, welches
jene Gränze zu finden und feſtzuſtellen im Stande und berufen iſt?
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/106>, abgerufen am 04.12.2024.
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