Leben für sich hat. Allein der wirkliche Staat ist in der That nur die Erscheinung der Idee des Staats, wie der Einzelne die des Begriffes der Persönlichkeit. Die Vielheit der wirklichen Staaten ist daher kein geschiedenes Nebeneinander derselben. Auch sie bilden ein Gesammt- leben. Dieß Gesammtleben, ursprünglich ein roher Gegensatz der Ein- zelnen gegen einander, wird zur Gemeinschaft des Lebens. Der Inhalt dieser Gemeinschaft ist aber keine Abstraktion, sondern das concrete Leben der Menschen, welche ihr angehören. Damit erscheint das gesammte Gebiet der Aufgaben der Verwaltung, und speziell das Gebiet des Innern in der Bewegung des Lebens dieser Gemeinschaft; die Interessen werden gleichartig; jeder Einzelne findet nicht mehr bloß innerhalb seines eignen Staates die Bedingungen seines Lebens, sondern dieselben sind allmählig mehr und mehr in der Gesammtheit der Berührungen der Völker unter- einander gegeben, und aus dem Staatsleben entsteht ein Völkerleben.
Das Völkerleben ist so alt wie die Weltgeschichte. Es hat, wie die Gemeinschaft aller Persönlichkeiten, ein Völkerrecht erzeugt. Allein dieß Völkerrecht ist Jahrtausende hindurch ein negatives geblieben, und hat sich im Recht des Krieges und Friedens cumulirt. Erst in unserm Zeitalter hat sich der positive Inhalt des Völkerlebens Bahn gebrochen, und das gegenseitige Bedingtsein der Völker und Staaten durch einander hat jenes Leben eben so gut als das Leben der Einzelnen zu einem Gegenstande der Verwaltung gemacht.
Damit beginnt nun ein ganz neues Gebiet der letzteren, und gleichfalls ein neues Gebiet des Verwaltungsrechts. Der einzelne Staat kann die Gesammtheit der Bedingungen für die Entwicklung seiner An- gehörigen, so weit sie im Völkerleben liegen, nicht gleichgültig betrachten. Er muß versuchen, auch sie zum Inhalt seines Willens zu machen. Allein das vermag er natürlich nicht durch einfache Gesetzgebung und Verordnung. Er bedarf dazu der Zustimmung des andern, gleichfalls selbstherrlichen Staates. Somit steht ein neues, auf dem selbständigen und einheitlichen Willen der einzelnen Staaten beruhendes Recht, das in seiner Form ein Vertragsrecht, in seinem Inhalt ein Verwaltungs- recht ist. Und dieß Recht nennen wir das internationale Ver- waltungsrecht.
Dieß internationale Verwaltungsrecht enthält nun alle Momente der Lehre von der Verwaltung. Es hat zunächst seine Vollziehung und seine eigentliche Verwaltung, wie bei jedem einzelnen Staate. Seine Vollziehung hat wieder ihren Organismus und ihr Zwangsrecht. Der Organismus der internationalen Verwaltung ist ein selbständiger neben dem Organismus des Gesammtlebens der Staaten für sich, welcher eben nur die Gemeinschaft noch ohne bestimmten Inhalt ausdrückt. Diese
Leben für ſich hat. Allein der wirkliche Staat iſt in der That nur die Erſcheinung der Idee des Staats, wie der Einzelne die des Begriffes der Perſönlichkeit. Die Vielheit der wirklichen Staaten iſt daher kein geſchiedenes Nebeneinander derſelben. Auch ſie bilden ein Geſammt- leben. Dieß Geſammtleben, urſprünglich ein roher Gegenſatz der Ein- zelnen gegen einander, wird zur Gemeinſchaft des Lebens. Der Inhalt dieſer Gemeinſchaft iſt aber keine Abſtraktion, ſondern das concrete Leben der Menſchen, welche ihr angehören. Damit erſcheint das geſammte Gebiet der Aufgaben der Verwaltung, und ſpeziell das Gebiet des Innern in der Bewegung des Lebens dieſer Gemeinſchaft; die Intereſſen werden gleichartig; jeder Einzelne findet nicht mehr bloß innerhalb ſeines eignen Staates die Bedingungen ſeines Lebens, ſondern dieſelben ſind allmählig mehr und mehr in der Geſammtheit der Berührungen der Völker unter- einander gegeben, und aus dem Staatsleben entſteht ein Völkerleben.
Das Völkerleben iſt ſo alt wie die Weltgeſchichte. Es hat, wie die Gemeinſchaft aller Perſönlichkeiten, ein Völkerrecht erzeugt. Allein dieß Völkerrecht iſt Jahrtauſende hindurch ein negatives geblieben, und hat ſich im Recht des Krieges und Friedens cumulirt. Erſt in unſerm Zeitalter hat ſich der poſitive Inhalt des Völkerlebens Bahn gebrochen, und das gegenſeitige Bedingtſein der Völker und Staaten durch einander hat jenes Leben eben ſo gut als das Leben der Einzelnen zu einem Gegenſtande der Verwaltung gemacht.
Damit beginnt nun ein ganz neues Gebiet der letzteren, und gleichfalls ein neues Gebiet des Verwaltungsrechts. Der einzelne Staat kann die Geſammtheit der Bedingungen für die Entwicklung ſeiner An- gehörigen, ſo weit ſie im Völkerleben liegen, nicht gleichgültig betrachten. Er muß verſuchen, auch ſie zum Inhalt ſeines Willens zu machen. Allein das vermag er natürlich nicht durch einfache Geſetzgebung und Verordnung. Er bedarf dazu der Zuſtimmung des andern, gleichfalls ſelbſtherrlichen Staates. Somit ſteht ein neues, auf dem ſelbſtändigen und einheitlichen Willen der einzelnen Staaten beruhendes Recht, das in ſeiner Form ein Vertragsrecht, in ſeinem Inhalt ein Verwaltungs- recht iſt. Und dieß Recht nennen wir das internationale Ver- waltungsrecht.
Dieß internationale Verwaltungsrecht enthält nun alle Momente der Lehre von der Verwaltung. Es hat zunächſt ſeine Vollziehung und ſeine eigentliche Verwaltung, wie bei jedem einzelnen Staate. Seine Vollziehung hat wieder ihren Organismus und ihr Zwangsrecht. Der Organismus der internationalen Verwaltung iſt ein ſelbſtändiger neben dem Organismus des Geſammtlebens der Staaten für ſich, welcher eben nur die Gemeinſchaft noch ohne beſtimmten Inhalt ausdrückt. Dieſe
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Leben für ſich hat. Allein der wirkliche Staat iſt in der That nur die
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der Perſönlichkeit. Die Vielheit der wirklichen Staaten iſt daher kein
geſchiedenes Nebeneinander derſelben. Auch ſie bilden ein Geſammt-
leben. Dieß Geſammtleben, urſprünglich ein roher Gegenſatz der Ein-
zelnen gegen einander, wird zur Gemeinſchaft des Lebens. Der Inhalt
dieſer Gemeinſchaft iſt aber keine Abſtraktion, ſondern das concrete
Leben der Menſchen, welche ihr angehören. Damit erſcheint das geſammte
Gebiet der Aufgaben der Verwaltung, und ſpeziell das Gebiet des Innern
in der Bewegung des Lebens dieſer Gemeinſchaft; die Intereſſen werden
gleichartig; jeder Einzelne findet nicht mehr bloß innerhalb ſeines eignen
Staates die Bedingungen ſeines Lebens, ſondern dieſelben ſind allmählig
mehr und mehr in der Geſammtheit der Berührungen der Völker unter-
einander gegeben, und aus dem Staatsleben entſteht ein Völkerleben.
Das Völkerleben iſt ſo alt wie die Weltgeſchichte. Es hat, wie
die Gemeinſchaft aller Perſönlichkeiten, ein Völkerrecht erzeugt. Allein
dieß Völkerrecht iſt Jahrtauſende hindurch ein negatives geblieben, und
hat ſich im Recht des Krieges und Friedens cumulirt. Erſt in unſerm
Zeitalter hat ſich der poſitive Inhalt des Völkerlebens Bahn gebrochen,
und das gegenſeitige Bedingtſein der Völker und Staaten durch einander
hat jenes Leben eben ſo gut als das Leben der Einzelnen zu einem
Gegenſtande der Verwaltung gemacht.
Damit beginnt nun ein ganz neues Gebiet der letzteren, und
gleichfalls ein neues Gebiet des Verwaltungsrechts. Der einzelne Staat
kann die Geſammtheit der Bedingungen für die Entwicklung ſeiner An-
gehörigen, ſo weit ſie im Völkerleben liegen, nicht gleichgültig betrachten.
Er muß verſuchen, auch ſie zum Inhalt ſeines Willens zu machen.
Allein das vermag er natürlich nicht durch einfache Geſetzgebung und
Verordnung. Er bedarf dazu der Zuſtimmung des andern, gleichfalls
ſelbſtherrlichen Staates. Somit ſteht ein neues, auf dem ſelbſtändigen
und einheitlichen Willen der einzelnen Staaten beruhendes Recht, das
in ſeiner Form ein Vertragsrecht, in ſeinem Inhalt ein Verwaltungs-
recht iſt. Und dieß Recht nennen wir das internationale Ver-
waltungsrecht.
Dieß internationale Verwaltungsrecht enthält nun alle Momente
der Lehre von der Verwaltung. Es hat zunächſt ſeine Vollziehung und
ſeine eigentliche Verwaltung, wie bei jedem einzelnen Staate. Seine
Vollziehung hat wieder ihren Organismus und ihr Zwangsrecht. Der
Organismus der internationalen Verwaltung iſt ein ſelbſtändiger neben
dem Organismus des Geſammtlebens der Staaten für ſich, welcher eben
nur die Gemeinſchaft noch ohne beſtimmten Inhalt ausdrückt. Dieſe
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/117>, abgerufen am 04.12.2024.
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