endlich seiner zeitlichen Begränzung. Der Vertrag ist die noch rohe, ein- fache, unorganische Form des internationalen Gesammtlebens, die, stets zufällig und wechselnd, auch nur zufällig und wechselnd, oft sogar geradezu zerbrochen, die Gesammtentwicklung nur durch die Furcht des Einen vor dem Andern schützt. Die zweite Grundform dagegen ist der Staatenbund. Der Staatenbund ist, um uns so auszudrücken, schon mehrfach von der Geschichte versucht worden. Schon Griechenland war ein Staatenbund; das Karolingische Reich, die Idee des germanisch- römischen Kaiserthums, ist im Grunde auch nichts anderes. In neuerer Zeit sehen wir ihn wieder entstehen in Deutschland, in der Schweiz, in Nordamerika; die großartigste, wenn auch in der äußeren Form wesentlich abweichende Erscheinung desselben ist das britische Weltreich, das seine sogenannten Colonien im Grunde wie selbständige Staaten behandelt. Die Theorie hat das Wesen und die höhere sittliche Idee des Staatenbundes wenig verstanden, und sich daher auch nicht über eine formale Auffassung und Definition desselben einigen können. Sie hat, wie es in der Natur der Geschichte liegt, in dem Staatenbund einen staatsrechtlichen Körper, und in dem Bundesrecht nur die Aufgabe gesehen, die Gränze der Selbständigkeit der einzelnen Staaten gegenüber der Einheit derselben, also das Macht- und Rechtverhältniß der Bundesglieder zu einander zu bestimmen. Das muß ewig unfrucht- bar bleiben, so wie es sich nicht mehr um die juristische Interpretation der Verträge handelt, welche den Staatenbund constituiren, sondern um das höhere Wesen der Sache. In der That nämlich ist dieß positive Recht der Bundesverträge ja doch nur ein rechtlicher Ausdruck einer tiefer gehenden Gewalt, und gestaltet sich und wechselt mit der Macht, welche diese Einheit selber erzeugt hat. Das Verständniß des Bundes- rechts aller Zeiten ist daher das Verständniß des Inhalts, und nicht der Form des Bundes. Der Inhalt des Bundes aber ist der einer jeden Gemeinschaft, die Förderung des Gesammtrechts durch die Einheit der selbständigen Persönlichkeiten. Diese aber wird, so wie wir nicht mehr abstrakte Formeln, sondern concrete Verstellungen haben und wollen, zu nichts anderem, als zur innern Verwaltung. Und so ergibt sich, daß das wahre Wesen eines jeden Staatenbundes oder Bundes- staates eben nichts ist, als die zur Selbständigkeit erhobene, und durch sich selbst und nicht mehr bloß durch vertragsmäßig gesetzte Rechte wirkende Organisation der Einheit für die internationale Verwaltung. Ein Staatenbund ist daher von dem Bundesstaat niemals durch formale Bestimmungen zu unterscheiden, sondern nur durch den Zweck. Ein Staatenbund ist eine Einheit, welche zu ihrem Zwecke hat, die staatliche Selbständigkeit jedes Gliedes durch die Kraft der Gemeinschaft
Stein, die Verwaltungslehre. II. 7
endlich ſeiner zeitlichen Begränzung. Der Vertrag iſt die noch rohe, ein- fache, unorganiſche Form des internationalen Geſammtlebens, die, ſtets zufällig und wechſelnd, auch nur zufällig und wechſelnd, oft ſogar geradezu zerbrochen, die Geſammtentwicklung nur durch die Furcht des Einen vor dem Andern ſchützt. Die zweite Grundform dagegen iſt der Staatenbund. Der Staatenbund iſt, um uns ſo auszudrücken, ſchon mehrfach von der Geſchichte verſucht worden. Schon Griechenland war ein Staatenbund; das Karolingiſche Reich, die Idee des germaniſch- römiſchen Kaiſerthums, iſt im Grunde auch nichts anderes. In neuerer Zeit ſehen wir ihn wieder entſtehen in Deutſchland, in der Schweiz, in Nordamerika; die großartigſte, wenn auch in der äußeren Form weſentlich abweichende Erſcheinung deſſelben iſt das britiſche Weltreich, das ſeine ſogenannten Colonien im Grunde wie ſelbſtändige Staaten behandelt. Die Theorie hat das Weſen und die höhere ſittliche Idee des Staatenbundes wenig verſtanden, und ſich daher auch nicht über eine formale Auffaſſung und Definition deſſelben einigen können. Sie hat, wie es in der Natur der Geſchichte liegt, in dem Staatenbund einen ſtaatsrechtlichen Körper, und in dem Bundesrecht nur die Aufgabe geſehen, die Gränze der Selbſtändigkeit der einzelnen Staaten gegenüber der Einheit derſelben, alſo das Macht- und Rechtverhältniß der Bundesglieder zu einander zu beſtimmen. Das muß ewig unfrucht- bar bleiben, ſo wie es ſich nicht mehr um die juriſtiſche Interpretation der Verträge handelt, welche den Staatenbund conſtituiren, ſondern um das höhere Weſen der Sache. In der That nämlich iſt dieß poſitive Recht der Bundesverträge ja doch nur ein rechtlicher Ausdruck einer tiefer gehenden Gewalt, und geſtaltet ſich und wechſelt mit der Macht, welche dieſe Einheit ſelber erzeugt hat. Das Verſtändniß des Bundes- rechts aller Zeiten iſt daher das Verſtändniß des Inhalts, und nicht der Form des Bundes. Der Inhalt des Bundes aber iſt der einer jeden Gemeinſchaft, die Förderung des Geſammtrechts durch die Einheit der ſelbſtändigen Perſönlichkeiten. Dieſe aber wird, ſo wie wir nicht mehr abſtrakte Formeln, ſondern concrete Verſtellungen haben und wollen, zu nichts anderem, als zur innern Verwaltung. Und ſo ergibt ſich, daß das wahre Weſen eines jeden Staatenbundes oder Bundes- ſtaates eben nichts iſt, als die zur Selbſtändigkeit erhobene, und durch ſich ſelbſt und nicht mehr bloß durch vertragsmäßig geſetzte Rechte wirkende Organiſation der Einheit für die internationale Verwaltung. Ein Staatenbund iſt daher von dem Bundesſtaat niemals durch formale Beſtimmungen zu unterſcheiden, ſondern nur durch den Zweck. Ein Staatenbund iſt eine Einheit, welche zu ihrem Zwecke hat, die ſtaatliche Selbſtändigkeit jedes Gliedes durch die Kraft der Gemeinſchaft
Stein, die Verwaltungslehre. II. 7
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0119"n="97"/>
endlich ſeiner zeitlichen Begränzung. Der Vertrag iſt die noch rohe, ein-<lb/>
fache, unorganiſche Form des internationalen Geſammtlebens, die, ſtets<lb/>
zufällig und wechſelnd, auch nur zufällig und wechſelnd, oft ſogar<lb/>
geradezu zerbrochen, die Geſammtentwicklung nur durch die Furcht des<lb/>
Einen vor dem Andern ſchützt. Die zweite Grundform dagegen iſt der<lb/><hirendition="#g">Staatenbund</hi>. Der Staatenbund iſt, um uns ſo auszudrücken, ſchon<lb/>
mehrfach von der Geſchichte verſucht worden. Schon Griechenland war<lb/>
ein Staatenbund; das Karolingiſche Reich, die Idee des germaniſch-<lb/>
römiſchen Kaiſerthums, iſt im Grunde auch nichts anderes. In neuerer<lb/>
Zeit ſehen wir ihn wieder entſtehen in Deutſchland, in der Schweiz,<lb/>
in Nordamerika; die großartigſte, wenn auch in der äußeren Form<lb/>
weſentlich abweichende Erſcheinung deſſelben iſt das britiſche Weltreich,<lb/>
das ſeine ſogenannten Colonien im Grunde wie ſelbſtändige Staaten<lb/>
behandelt. Die Theorie hat das Weſen und die höhere ſittliche Idee<lb/>
des Staatenbundes wenig verſtanden, und ſich daher auch nicht über<lb/>
eine formale Auffaſſung und Definition deſſelben einigen können. Sie<lb/>
hat, wie es in der Natur der Geſchichte liegt, in dem Staatenbund<lb/>
einen <hirendition="#g">ſtaatsrechtlichen Körper</hi>, und in dem Bundesrecht nur die<lb/>
Aufgabe geſehen, die Gränze der Selbſtändigkeit der einzelnen Staaten<lb/>
gegenüber der Einheit derſelben, alſo das Macht- und Rechtverhältniß<lb/>
der Bundesglieder zu einander zu beſtimmen. Das muß ewig unfrucht-<lb/>
bar bleiben, ſo wie es ſich nicht mehr um die juriſtiſche Interpretation der<lb/>
Verträge handelt, welche den Staatenbund conſtituiren, ſondern um<lb/>
das höhere Weſen der Sache. In der That nämlich iſt dieß poſitive<lb/>
Recht der Bundesverträge ja doch nur ein rechtlicher Ausdruck einer<lb/>
tiefer gehenden Gewalt, und geſtaltet ſich und wechſelt mit der Macht,<lb/>
welche dieſe Einheit ſelber erzeugt hat. Das Verſtändniß des Bundes-<lb/>
rechts aller Zeiten iſt daher das Verſtändniß des Inhalts, und nicht<lb/>
der Form des Bundes. Der Inhalt des Bundes aber iſt der einer<lb/>
jeden Gemeinſchaft, die Förderung des Geſammtrechts durch die Einheit<lb/>
der ſelbſtändigen Perſönlichkeiten. Dieſe aber wird, ſo wie wir nicht<lb/>
mehr abſtrakte Formeln, ſondern concrete Verſtellungen haben und<lb/>
wollen, zu nichts anderem, als zur innern Verwaltung. Und ſo ergibt<lb/>ſich, daß das wahre Weſen eines jeden Staatenbundes oder Bundes-<lb/>ſtaates eben nichts iſt, als die zur Selbſtändigkeit erhobene, und durch<lb/>ſich ſelbſt und nicht mehr bloß durch vertragsmäßig geſetzte Rechte<lb/>
wirkende Organiſation der Einheit für die internationale Verwaltung.<lb/>
Ein Staatenbund iſt daher von dem Bundesſtaat <hirendition="#g">niemals</hi> durch<lb/>
formale Beſtimmungen zu unterſcheiden, ſondern nur durch den <hirendition="#g">Zweck</hi>.<lb/>
Ein Staatenbund iſt eine Einheit, welche zu ihrem Zwecke hat, die<lb/>ſtaatliche Selbſtändigkeit jedes Gliedes durch die Kraft der Gemeinſchaft<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Stein</hi>, die Verwaltungslehre. <hirendition="#aq">II.</hi> 7</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[97/0119]
endlich ſeiner zeitlichen Begränzung. Der Vertrag iſt die noch rohe, ein-
fache, unorganiſche Form des internationalen Geſammtlebens, die, ſtets
zufällig und wechſelnd, auch nur zufällig und wechſelnd, oft ſogar
geradezu zerbrochen, die Geſammtentwicklung nur durch die Furcht des
Einen vor dem Andern ſchützt. Die zweite Grundform dagegen iſt der
Staatenbund. Der Staatenbund iſt, um uns ſo auszudrücken, ſchon
mehrfach von der Geſchichte verſucht worden. Schon Griechenland war
ein Staatenbund; das Karolingiſche Reich, die Idee des germaniſch-
römiſchen Kaiſerthums, iſt im Grunde auch nichts anderes. In neuerer
Zeit ſehen wir ihn wieder entſtehen in Deutſchland, in der Schweiz,
in Nordamerika; die großartigſte, wenn auch in der äußeren Form
weſentlich abweichende Erſcheinung deſſelben iſt das britiſche Weltreich,
das ſeine ſogenannten Colonien im Grunde wie ſelbſtändige Staaten
behandelt. Die Theorie hat das Weſen und die höhere ſittliche Idee
des Staatenbundes wenig verſtanden, und ſich daher auch nicht über
eine formale Auffaſſung und Definition deſſelben einigen können. Sie
hat, wie es in der Natur der Geſchichte liegt, in dem Staatenbund
einen ſtaatsrechtlichen Körper, und in dem Bundesrecht nur die
Aufgabe geſehen, die Gränze der Selbſtändigkeit der einzelnen Staaten
gegenüber der Einheit derſelben, alſo das Macht- und Rechtverhältniß
der Bundesglieder zu einander zu beſtimmen. Das muß ewig unfrucht-
bar bleiben, ſo wie es ſich nicht mehr um die juriſtiſche Interpretation der
Verträge handelt, welche den Staatenbund conſtituiren, ſondern um
das höhere Weſen der Sache. In der That nämlich iſt dieß poſitive
Recht der Bundesverträge ja doch nur ein rechtlicher Ausdruck einer
tiefer gehenden Gewalt, und geſtaltet ſich und wechſelt mit der Macht,
welche dieſe Einheit ſelber erzeugt hat. Das Verſtändniß des Bundes-
rechts aller Zeiten iſt daher das Verſtändniß des Inhalts, und nicht
der Form des Bundes. Der Inhalt des Bundes aber iſt der einer
jeden Gemeinſchaft, die Förderung des Geſammtrechts durch die Einheit
der ſelbſtändigen Perſönlichkeiten. Dieſe aber wird, ſo wie wir nicht
mehr abſtrakte Formeln, ſondern concrete Verſtellungen haben und
wollen, zu nichts anderem, als zur innern Verwaltung. Und ſo ergibt
ſich, daß das wahre Weſen eines jeden Staatenbundes oder Bundes-
ſtaates eben nichts iſt, als die zur Selbſtändigkeit erhobene, und durch
ſich ſelbſt und nicht mehr bloß durch vertragsmäßig geſetzte Rechte
wirkende Organiſation der Einheit für die internationale Verwaltung.
Ein Staatenbund iſt daher von dem Bundesſtaat niemals durch
formale Beſtimmungen zu unterſcheiden, ſondern nur durch den Zweck.
Ein Staatenbund iſt eine Einheit, welche zu ihrem Zwecke hat, die
ſtaatliche Selbſtändigkeit jedes Gliedes durch die Kraft der Gemeinſchaft
Stein, die Verwaltungslehre. II. 7
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/119>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.