Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.mit dem Auftreten der polizeilichen Verwaltung sich mehr und mehr mit dem Auftreten der polizeilichen Verwaltung ſich mehr und mehr <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p><pb facs="#f0152" n="130"/> mit dem Auftreten der polizeilichen Verwaltung ſich mehr und mehr<lb/> Raum verſchafft. Die Rechtsbeſtimmungen über den Eheconſens der<lb/> Familie haben daher ihren ſocialen Charakter verloren, und ſind ganz<lb/> in das Privatrecht übergegangen. Aber auch hier hat der Gedanke der<lb/> freien Selbſtändigkeit durchgegriffen, und der elterliche Eheconſens iſt<lb/> nicht mehr die rechtlich-abſolute Bedingung, ſondern hat vielmehr den<lb/> Charakter eines <hi rendition="#g">vormundſchaftlichen Aktes</hi>, weßhalb denn auch<lb/> zum großen Theil die Vorſchriften der vormundſchaftlichen Verwaltung<lb/> auf dieſelbe angewendet werden. Von dem ganzen öffentlichen Eherecht<lb/> der Geſchlechterordnung iſt daher in der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft<lb/> eigentlich nur der Satz übrig geblieben, <hi rendition="#g">daß der Vater in Bezie-<lb/> hung auf den Eheconſens der natürliche Vormund ſeines<lb/> Kindes iſt</hi>. Und das iſt wohl der erſte Grund, weßhalb die Lehre<lb/> vom Eheconſens ganz aus den Staatswiſſenſchaften überhaupt, und<lb/> ſpeziell aus der Bevölkerungslehre verſchwunden iſt, obwohl ſie ihre<lb/> Stelle mit Recht darin fordern darf. — Die Grundſätze, welche in<lb/> Sparta galten, beruhen auf dem von Plutarch (<hi rendition="#g">Lykurg</hi> 25) ſo gut ausge-<lb/> ſprochenen Satze: „τους πολίτας μη βουλεσϑαι, μηϑ̕ ἐπιστασϑαι<lb/> κατ̕ ἰδιαν ζην.“ (S. <hi rendition="#g">Herrmann</hi>, Griechiſches Alterthum, <hi rendition="#aq">I.</hi> 27<lb/> und <hi rendition="#g">Montesquieu</hi>, <hi rendition="#aq">V.</hi> 2.) Das athenienſiſche Eherecht bei <hi rendition="#g">Herr-<lb/> mann</hi> <hi rendition="#aq">ib.</hi> §. 119. Die ασχισιεία iſt der griechiſche <hi rendition="#g">geſellſchaft-<lb/> liche</hi> Begriff der Familie (ſ. namentlich Note 12.) — <hi rendition="#g">Ariſtoteles</hi> hat<lb/> in ſeiner Weiſe die ganze Frage vom rein politiſchen Standpunkt,<lb/> ſpeziell in ihrer Beziehung zur Verfaſſung aufgefaßt, und vielleicht iſt<lb/> der bezeichnete Abſchnitt (<hi rendition="#aq">Pol. II.</hi> Capitel 6) der bedeutendſte ſeines<lb/> ganzen Werkes. Wie viel Jahrhunderte haben wir gebraucht, um auch<lb/> nur ſo viel von der Bedeutung des Erbrechts und der <hi rendition="#g">Vertheilung<lb/> des Beſitzes</hi>, namentlich in den Händen der Frauen, zu erkennen,<lb/> als dieſer Mann ſchon damals zu ſagen verſtand! Und wie tief muß<lb/> die Umgeſtaltung unſerer Staatswiſſenſchaft noch gehen, ehe wir ihn<lb/> nur erſt wieder vollſtändig erreichen! Noch immer ſind wir in unſerer<lb/> Wiſſenſchaft nicht viel weiter, als bis zu der ſchon von Montesquieu<lb/> ausgeſprochenen, von der deutſchen Wiſſenſchaft im vorigen Jahrhundert<lb/> aufgenommenen Erkenntniß, daß das Uebermaß des Grundbeſitzes in<lb/> Einer Hand auch für die Bevölkerung ſchädlich ſei, was ſchon <hi rendition="#g">Moſer</hi><lb/> (Landeshoheit in Polizeiſachen, S. 30 und 31) ſo kräftig ausſpricht, und<lb/> was dann von andern wie <hi rendition="#g">Winkler</hi> (Verkleinerung der Bauerngüter<lb/> Seite 56), <hi rendition="#g">Berg</hi> (Staatswiſſenſchaftliche Verſuche, <hi rendition="#aq">II.</hi> 22, und <hi rendition="#g">deſſen</hi><lb/> Polizeirecht, Buch <hi rendition="#aq">III.</hi> 2. 2) wiederholt wird, ohne zu einem ſyſtema-<lb/> tiſchen Verſtändniß zu kommen. Hat doch auch das, was in <hi rendition="#g">meiner<lb/> Geſchichte der ſocialen Bewegung</hi> (Bd. <hi rendition="#aq">I.</hi> Einleitung) über die<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [130/0152]
mit dem Auftreten der polizeilichen Verwaltung ſich mehr und mehr
Raum verſchafft. Die Rechtsbeſtimmungen über den Eheconſens der
Familie haben daher ihren ſocialen Charakter verloren, und ſind ganz
in das Privatrecht übergegangen. Aber auch hier hat der Gedanke der
freien Selbſtändigkeit durchgegriffen, und der elterliche Eheconſens iſt
nicht mehr die rechtlich-abſolute Bedingung, ſondern hat vielmehr den
Charakter eines vormundſchaftlichen Aktes, weßhalb denn auch
zum großen Theil die Vorſchriften der vormundſchaftlichen Verwaltung
auf dieſelbe angewendet werden. Von dem ganzen öffentlichen Eherecht
der Geſchlechterordnung iſt daher in der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft
eigentlich nur der Satz übrig geblieben, daß der Vater in Bezie-
hung auf den Eheconſens der natürliche Vormund ſeines
Kindes iſt. Und das iſt wohl der erſte Grund, weßhalb die Lehre
vom Eheconſens ganz aus den Staatswiſſenſchaften überhaupt, und
ſpeziell aus der Bevölkerungslehre verſchwunden iſt, obwohl ſie ihre
Stelle mit Recht darin fordern darf. — Die Grundſätze, welche in
Sparta galten, beruhen auf dem von Plutarch (Lykurg 25) ſo gut ausge-
ſprochenen Satze: „τους πολίτας μη βουλεσϑαι, μηϑ̕ ἐπιστασϑαι
κατ̕ ἰδιαν ζην.“ (S. Herrmann, Griechiſches Alterthum, I. 27
und Montesquieu, V. 2.) Das athenienſiſche Eherecht bei Herr-
mann ib. §. 119. Die ασχισιεία iſt der griechiſche geſellſchaft-
liche Begriff der Familie (ſ. namentlich Note 12.) — Ariſtoteles hat
in ſeiner Weiſe die ganze Frage vom rein politiſchen Standpunkt,
ſpeziell in ihrer Beziehung zur Verfaſſung aufgefaßt, und vielleicht iſt
der bezeichnete Abſchnitt (Pol. II. Capitel 6) der bedeutendſte ſeines
ganzen Werkes. Wie viel Jahrhunderte haben wir gebraucht, um auch
nur ſo viel von der Bedeutung des Erbrechts und der Vertheilung
des Beſitzes, namentlich in den Händen der Frauen, zu erkennen,
als dieſer Mann ſchon damals zu ſagen verſtand! Und wie tief muß
die Umgeſtaltung unſerer Staatswiſſenſchaft noch gehen, ehe wir ihn
nur erſt wieder vollſtändig erreichen! Noch immer ſind wir in unſerer
Wiſſenſchaft nicht viel weiter, als bis zu der ſchon von Montesquieu
ausgeſprochenen, von der deutſchen Wiſſenſchaft im vorigen Jahrhundert
aufgenommenen Erkenntniß, daß das Uebermaß des Grundbeſitzes in
Einer Hand auch für die Bevölkerung ſchädlich ſei, was ſchon Moſer
(Landeshoheit in Polizeiſachen, S. 30 und 31) ſo kräftig ausſpricht, und
was dann von andern wie Winkler (Verkleinerung der Bauerngüter
Seite 56), Berg (Staatswiſſenſchaftliche Verſuche, II. 22, und deſſen
Polizeirecht, Buch III. 2. 2) wiederholt wird, ohne zu einem ſyſtema-
tiſchen Verſtändniß zu kommen. Hat doch auch das, was in meiner
Geſchichte der ſocialen Bewegung (Bd. I. Einleitung) über die
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