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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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Entwicklung dieser Seite des öffentlichen Gewerberechts, und wenn die
gelehrten Franzosen wie Guizot, dessen Histoire de la Civilisation sich
in die Geschichte der Commune de Beauvais verläuft wie der Rhein
in den Sand Hollands -- oder wie Amedee Thierry, dessen Geschicht-
schreibung zur Hälfte Poesie ist, das nicht gethan, so dürfen wir
Deutschen nicht viel schelten, da auch unsere Autoren, wie Raumer und
in neuester Zeit wieder Mascher, von der inneren eigentlichen Ver-
waltung der Städte in Finanz- und inneren Fragen gar wenig zu sagen
wissen. Es muß uns an diesem Orte genügen, zu bemerken, daß sich
mit dem 18. Jahrhundert die Kleinbürgerei und die Herrschaft der
Sonderinteressen auch im Gebiete des Eherechts in einer Weise aus-
bildeten, die uns das freiere Auftreten der amtlichen Verwaltung oder
der "Polizei" als einen frischen Luftzug gesunderer Entwicklung be-
grüßen läßt; gegen Ende des vorigen Jahrhunderts sehen wir dann
auch die Wissenschaft gegen jene kläglichen Beschränkungen zu Felde
ziehen, und wie der Zustand, dem wir dort begegnen, ein elender
ist, so rückt der Zeitpunkt immer näher heran, in dem er sich auflöst.
In der That galt der, auf dem ganzen Gewerbe schwer lastende Grund-
satz in der Mitte des vorigen Jahrhunderts ganz allgemein, daß "unan-
gesessene ledige Mannspersonen zur "bürgerlichen Nahrung" nicht zuge-
lassen werden. (S. auch Fischer, Polizeirecht, Band I. §. 1051.) Um
nun dieselben ferner abzuhalten, stellten die Zünfte und die von ihnen
beherrschten Magistrate unter andern eine Reihe widerrechtlicher Ein-
schränkungen in Ansehung des Heirathens neben übermäßigen Geld-
erfordernissen auf, und machten dadurch mit der Ehe zugleich das Ein-
treten in die Zunft unmöglich. Ein klägliches Beispiel aus der
Tischlergilde von Bremen erzählt Berg (Polizeirecht, Band III. 2.
Auflage, S. 29). Allerdings wird diese Richtung des in sich zusam-
menfallenden Zunftwesens energisch von der amtlichen Verwaltung be-
kämpft, und das ist einer von den Punkten, wo die neue Wissenschaft
die Polizei im Namen der edleren Menschenrechte auf das Lebhafteste
unterstützt, und in seiner klaren und trefflichen Weise drückt Berg das
aus: "Zwar muß die Polizei allerdings die rechtmäßigen Privilegien
und die gültigen und vernünftigen Gewohnheiten der Handwerksinnungen
ungekränkt lassen; aber daraus folgt nicht, daß sie in Ansehung unver-
nünftiger und gemeinschädlicher Ansprüche und Gebräuche schlechterdings
gebundene Hände hat, und alles beim Alten zu lassen verpflichtet ist"
-- ein Satz, den schon Moser a. a. O. S. 30 gleichfalls anerkennt.
Allein freilich konnte da in einzelnen Punkten keine Abhülfe gefunden
werden. Es mußte eine ganz neue Gestalt der Dinge kommen. Diese
nun kam; aber während sie mit der Revolution in Frankreich das ganze

Entwicklung dieſer Seite des öffentlichen Gewerberechts, und wenn die
gelehrten Franzoſen wie Guizot, deſſen Histoire de la Civilisation ſich
in die Geſchichte der Commune de Beauvais verläuft wie der Rhein
in den Sand Hollands — oder wie Amedee Thierry, deſſen Geſchicht-
ſchreibung zur Hälfte Poeſie iſt, das nicht gethan, ſo dürfen wir
Deutſchen nicht viel ſchelten, da auch unſere Autoren, wie Raumer und
in neueſter Zeit wieder Maſcher, von der inneren eigentlichen Ver-
waltung der Städte in Finanz- und inneren Fragen gar wenig zu ſagen
wiſſen. Es muß uns an dieſem Orte genügen, zu bemerken, daß ſich
mit dem 18. Jahrhundert die Kleinbürgerei und die Herrſchaft der
Sonderintereſſen auch im Gebiete des Eherechts in einer Weiſe aus-
bildeten, die uns das freiere Auftreten der amtlichen Verwaltung oder
der „Polizei“ als einen friſchen Luftzug geſunderer Entwicklung be-
grüßen läßt; gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ſehen wir dann
auch die Wiſſenſchaft gegen jene kläglichen Beſchränkungen zu Felde
ziehen, und wie der Zuſtand, dem wir dort begegnen, ein elender
iſt, ſo rückt der Zeitpunkt immer näher heran, in dem er ſich auflöst.
In der That galt der, auf dem ganzen Gewerbe ſchwer laſtende Grund-
ſatz in der Mitte des vorigen Jahrhunderts ganz allgemein, daß „unan-
geſeſſene ledige Mannsperſonen zur „bürgerlichen Nahrung“ nicht zuge-
laſſen werden. (S. auch Fiſcher, Polizeirecht, Band I. §. 1051.) Um
nun dieſelben ferner abzuhalten, ſtellten die Zünfte und die von ihnen
beherrſchten Magiſtrate unter andern eine Reihe widerrechtlicher Ein-
ſchränkungen in Anſehung des Heirathens neben übermäßigen Geld-
erforderniſſen auf, und machten dadurch mit der Ehe zugleich das Ein-
treten in die Zunft unmöglich. Ein klägliches Beiſpiel aus der
Tiſchlergilde von Bremen erzählt Berg (Polizeirecht, Band III. 2.
Auflage, S. 29). Allerdings wird dieſe Richtung des in ſich zuſam-
menfallenden Zunftweſens energiſch von der amtlichen Verwaltung be-
kämpft, und das iſt einer von den Punkten, wo die neue Wiſſenſchaft
die Polizei im Namen der edleren Menſchenrechte auf das Lebhafteſte
unterſtützt, und in ſeiner klaren und trefflichen Weiſe drückt Berg das
aus: „Zwar muß die Polizei allerdings die rechtmäßigen Privilegien
und die gültigen und vernünftigen Gewohnheiten der Handwerksinnungen
ungekränkt laſſen; aber daraus folgt nicht, daß ſie in Anſehung unver-
nünftiger und gemeinſchädlicher Anſprüche und Gebräuche ſchlechterdings
gebundene Hände hat, und alles beim Alten zu laſſen verpflichtet iſt“
— ein Satz, den ſchon Moſer a. a. O. S. 30 gleichfalls anerkennt.
Allein freilich konnte da in einzelnen Punkten keine Abhülfe gefunden
werden. Es mußte eine ganz neue Geſtalt der Dinge kommen. Dieſe
nun kam; aber während ſie mit der Revolution in Frankreich das ganze

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[151/0173] Entwicklung dieſer Seite des öffentlichen Gewerberechts, und wenn die gelehrten Franzoſen wie Guizot, deſſen Histoire de la Civilisation ſich in die Geſchichte der Commune de Beauvais verläuft wie der Rhein in den Sand Hollands — oder wie Amedee Thierry, deſſen Geſchicht- ſchreibung zur Hälfte Poeſie iſt, das nicht gethan, ſo dürfen wir Deutſchen nicht viel ſchelten, da auch unſere Autoren, wie Raumer und in neueſter Zeit wieder Maſcher, von der inneren eigentlichen Ver- waltung der Städte in Finanz- und inneren Fragen gar wenig zu ſagen wiſſen. Es muß uns an dieſem Orte genügen, zu bemerken, daß ſich mit dem 18. Jahrhundert die Kleinbürgerei und die Herrſchaft der Sonderintereſſen auch im Gebiete des Eherechts in einer Weiſe aus- bildeten, die uns das freiere Auftreten der amtlichen Verwaltung oder der „Polizei“ als einen friſchen Luftzug geſunderer Entwicklung be- grüßen läßt; gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ſehen wir dann auch die Wiſſenſchaft gegen jene kläglichen Beſchränkungen zu Felde ziehen, und wie der Zuſtand, dem wir dort begegnen, ein elender iſt, ſo rückt der Zeitpunkt immer näher heran, in dem er ſich auflöst. In der That galt der, auf dem ganzen Gewerbe ſchwer laſtende Grund- ſatz in der Mitte des vorigen Jahrhunderts ganz allgemein, daß „unan- geſeſſene ledige Mannsperſonen zur „bürgerlichen Nahrung“ nicht zuge- laſſen werden. (S. auch Fiſcher, Polizeirecht, Band I. §. 1051.) Um nun dieſelben ferner abzuhalten, ſtellten die Zünfte und die von ihnen beherrſchten Magiſtrate unter andern eine Reihe widerrechtlicher Ein- ſchränkungen in Anſehung des Heirathens neben übermäßigen Geld- erforderniſſen auf, und machten dadurch mit der Ehe zugleich das Ein- treten in die Zunft unmöglich. Ein klägliches Beiſpiel aus der Tiſchlergilde von Bremen erzählt Berg (Polizeirecht, Band III. 2. Auflage, S. 29). Allerdings wird dieſe Richtung des in ſich zuſam- menfallenden Zunftweſens energiſch von der amtlichen Verwaltung be- kämpft, und das iſt einer von den Punkten, wo die neue Wiſſenſchaft die Polizei im Namen der edleren Menſchenrechte auf das Lebhafteſte unterſtützt, und in ſeiner klaren und trefflichen Weiſe drückt Berg das aus: „Zwar muß die Polizei allerdings die rechtmäßigen Privilegien und die gültigen und vernünftigen Gewohnheiten der Handwerksinnungen ungekränkt laſſen; aber daraus folgt nicht, daß ſie in Anſehung unver- nünftiger und gemeinſchädlicher Anſprüche und Gebräuche ſchlechterdings gebundene Hände hat, und alles beim Alten zu laſſen verpflichtet iſt“ — ein Satz, den ſchon Moſer a. a. O. S. 30 gleichfalls anerkennt. Allein freilich konnte da in einzelnen Punkten keine Abhülfe gefunden werden. Es mußte eine ganz neue Geſtalt der Dinge kommen. Dieſe nun kam; aber während ſie mit der Revolution in Frankreich das ganze

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/173>, abgerufen am 24.11.2024.