II. 991. 992). Nach dem Mandat vom 10. October 1826 sollen ferner Handwerksgesellen zur Ehe nur dann zugelassen werden, wenn sie von der Obrigkeit ein "Zeugniß" haben, daß sie dem "gemeinen Wesen nicht zur Last fallen werden," widrigenfalls man sie "ausdrücklich da- von abmahnen," eventuell "vom Orte (!) ganz wegweisen soll." Diese noch gegenwärtig geltenden Bestimmungen scheinen genügt zu haben, da das spätere Heimathsgesetz vom 26. November 1834 und die Armen- ordnung vom 22. October 1840 nichts weiter sagen; doch ist ganz ratio- nell die Verehelichung der Almosenpercipienten im §. 70 von der Bewil- ligung abhängig gemacht (Funke, II. 552--555). -- Für Württem- berg hat Hartmann die alten Gesetze über das Eherecht gesammelt (Ehegesetze des Herzogthums Württemberg), nach welchen die Ehen mit besonderer Rücksicht auf die Verarmung und damit dem gemeinen Wesen keine zu große Last auferlegt werde, nur auf Ermächtigung der Regie- rung und des Ehegerichts geschlossen werden konnten. Zwar ward nun diese Beschränkung durch Gemeindeverordnung vom 1. October 1807 auf- gehoben und im Entwurf des Bürgerrechtsgesetzes von 1828 nicht wieder eingeführt; allein die Localinteressen bekämpften diesen freien und vernünftigen Standpunkt schon in den Verhandlungen von 1828 (siehe Bitzer, Freizügigkeit S. 236) und brachten es dahin, daß die Regie- rung 1833 ein Ehebeschränkungsgesetz als Entwurf in die Kammer ein- brachte, und daß wirklich im revidirten Bürgerrechtsgesetze vom 4. Dec. 1833 bestimmt ward (Art. 42. 43), daß jeder "Bürger" (!) sich vor seiner Verehelichung über einen genügenden Nahrungsstand auszuweisen habe. Dieser beschränkte Standpunkt hat sich unglaublicher Weise in Württemberg bis auf unsere Gegenwart erhalten; das neue Eherechts- gesetz vom 5. Mai 1852 hat die Bewilligung der Ehe im Princip bei- behalten, auf Grundlage eines genügenden Nahrungsstandes! So ist über diesen constitutionellen freisinnigen Staat die ganze Entwicklung unseres Jahrhunderts spurlos hinweggegangen! Doch vernehmen wir, daß endlich die württembergischen Handelskammern um Aufhebung dieses mittelalterlichen Rechts eingeschritten sind (Jahresbericht der württembergischen Handelskammern von 1864. Siehe auch Austria Nr. 36). Mohl schweigt; mit Absicht? -- Bayern hatte die "Er- laubniß" zur Ehe festgehalten aus dem vorigen Jahrhundert; das Ge- setz vom 12. Juni 1808, "die Beförderung der Heirathen auf dem Lande betreffend," gab das Recht der Bewilligung ganz in die Hände der "Obrigkeiten" -- wunderlicher Widerspruch! -- ein Grundsatz, der dann in das Gesetz vom 17. November 1816 über das Armenwesen überging. Die gegenwärtige Gestalt dieses Rechts hat die Verehelichung rein vom Standpunkte des Heimathsrechts (s. unten) aufgefaßt, und
II. 991. 992). Nach dem Mandat vom 10. October 1826 ſollen ferner Handwerksgeſellen zur Ehe nur dann zugelaſſen werden, wenn ſie von der Obrigkeit ein „Zeugniß“ haben, daß ſie dem „gemeinen Weſen nicht zur Laſt fallen werden,“ widrigenfalls man ſie „ausdrücklich da- von abmahnen,“ eventuell „vom Orte (!) ganz wegweiſen ſoll.“ Dieſe noch gegenwärtig geltenden Beſtimmungen ſcheinen genügt zu haben, da das ſpätere Heimathsgeſetz vom 26. November 1834 und die Armen- ordnung vom 22. October 1840 nichts weiter ſagen; doch iſt ganz ratio- nell die Verehelichung der Almoſenpercipienten im §. 70 von der Bewil- ligung abhängig gemacht (Funke, II. 552—555). — Für Württem- berg hat Hartmann die alten Geſetze über das Eherecht geſammelt (Ehegeſetze des Herzogthums Württemberg), nach welchen die Ehen mit beſonderer Rückſicht auf die Verarmung und damit dem gemeinen Weſen keine zu große Laſt auferlegt werde, nur auf Ermächtigung der Regie- rung und des Ehegerichts geſchloſſen werden konnten. Zwar ward nun dieſe Beſchränkung durch Gemeindeverordnung vom 1. October 1807 auf- gehoben und im Entwurf des Bürgerrechtsgeſetzes von 1828 nicht wieder eingeführt; allein die Localintereſſen bekämpften dieſen freien und vernünftigen Standpunkt ſchon in den Verhandlungen von 1828 (ſiehe Bitzer, Freizügigkeit S. 236) und brachten es dahin, daß die Regie- rung 1833 ein Ehebeſchränkungsgeſetz als Entwurf in die Kammer ein- brachte, und daß wirklich im revidirten Bürgerrechtsgeſetze vom 4. Dec. 1833 beſtimmt ward (Art. 42. 43), daß jeder „Bürger“ (!) ſich vor ſeiner Verehelichung über einen genügenden Nahrungsſtand auszuweiſen habe. Dieſer beſchränkte Standpunkt hat ſich unglaublicher Weiſe in Württemberg bis auf unſere Gegenwart erhalten; das neue Eherechts- geſetz vom 5. Mai 1852 hat die Bewilligung der Ehe im Princip bei- behalten, auf Grundlage eines genügenden Nahrungsſtandes! So iſt über dieſen conſtitutionellen freiſinnigen Staat die ganze Entwicklung unſeres Jahrhunderts ſpurlos hinweggegangen! Doch vernehmen wir, daß endlich die württembergiſchen Handelskammern um Aufhebung dieſes mittelalterlichen Rechts eingeſchritten ſind (Jahresbericht der württembergiſchen Handelskammern von 1864. Siehe auch Auſtria Nr. 36). Mohl ſchweigt; mit Abſicht? — Bayern hatte die „Er- laubniß“ zur Ehe feſtgehalten aus dem vorigen Jahrhundert; das Ge- ſetz vom 12. Juni 1808, „die Beförderung der Heirathen auf dem Lande betreffend,“ gab das Recht der Bewilligung ganz in die Hände der „Obrigkeiten“ — wunderlicher Widerſpruch! — ein Grundſatz, der dann in das Geſetz vom 17. November 1816 über das Armenweſen überging. Die gegenwärtige Geſtalt dieſes Rechts hat die Verehelichung rein vom Standpunkte des Heimathsrechts (ſ. unten) aufgefaßt, und
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II. 991. 992). Nach dem Mandat vom 10. October 1826 ſollen ferner
Handwerksgeſellen zur Ehe nur dann zugelaſſen werden, wenn ſie von
der Obrigkeit ein „Zeugniß“ haben, daß ſie dem „gemeinen Weſen
nicht zur Laſt fallen werden,“ widrigenfalls man ſie „ausdrücklich da-
von abmahnen,“ eventuell „vom Orte (!) ganz wegweiſen ſoll.“ Dieſe
noch gegenwärtig geltenden Beſtimmungen ſcheinen genügt zu haben,
da das ſpätere Heimathsgeſetz vom 26. November 1834 und die Armen-
ordnung vom 22. October 1840 nichts weiter ſagen; doch iſt ganz ratio-
nell die Verehelichung der Almoſenpercipienten im §. 70 von der Bewil-
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berg hat Hartmann die alten Geſetze über das Eherecht geſammelt
(Ehegeſetze des Herzogthums Württemberg), nach welchen die Ehen mit
beſonderer Rückſicht auf die Verarmung und damit dem gemeinen Weſen
keine zu große Laſt auferlegt werde, nur auf Ermächtigung der Regie-
rung und des Ehegerichts geſchloſſen werden konnten. Zwar ward nun
dieſe Beſchränkung durch Gemeindeverordnung vom 1. October 1807 auf-
gehoben und im Entwurf des Bürgerrechtsgeſetzes von 1828 nicht
wieder eingeführt; allein die Localintereſſen bekämpften dieſen freien und
vernünftigen Standpunkt ſchon in den Verhandlungen von 1828 (ſiehe
Bitzer, Freizügigkeit S. 236) und brachten es dahin, daß die Regie-
rung 1833 ein Ehebeſchränkungsgeſetz als Entwurf in die Kammer ein-
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1833 beſtimmt ward (Art. 42. 43), daß jeder „Bürger“ (!) ſich vor
ſeiner Verehelichung über einen genügenden Nahrungsſtand auszuweiſen
habe. Dieſer beſchränkte Standpunkt hat ſich unglaublicher Weiſe in
Württemberg bis auf unſere Gegenwart erhalten; das neue Eherechts-
geſetz vom 5. Mai 1852 hat die Bewilligung der Ehe im Princip bei-
behalten, auf Grundlage eines genügenden Nahrungsſtandes! So
iſt über dieſen conſtitutionellen freiſinnigen Staat die ganze Entwicklung
unſeres Jahrhunderts ſpurlos hinweggegangen! Doch vernehmen wir,
daß endlich die württembergiſchen Handelskammern um Aufhebung
dieſes mittelalterlichen Rechts eingeſchritten ſind (Jahresbericht der
württembergiſchen Handelskammern von 1864. Siehe auch Auſtria
Nr. 36). Mohl ſchweigt; mit Abſicht? — Bayern hatte die „Er-
laubniß“ zur Ehe feſtgehalten aus dem vorigen Jahrhundert; das Ge-
ſetz vom 12. Juni 1808, „die Beförderung der Heirathen auf dem
Lande betreffend,“ gab das Recht der Bewilligung ganz in die Hände
der „Obrigkeiten“ — wunderlicher Widerſpruch! — ein Grundſatz, der
dann in das Geſetz vom 17. November 1816 über das Armenweſen
überging. Die gegenwärtige Geſtalt dieſes Rechts hat die Verehelichung
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/176>, abgerufen am 24.11.2024.
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