Was zuerst die Bedingungen der Ehe betrifft, so beruhen die- selben darauf, daß die Ehe als ein öffentlicher Akt betrachtet wird, und daß daher die öffentliche Mittheilung derselben als eine vom Gesammtinteresse geforderte Bedingung der Ehe erscheint, die für so nothwendig erachtet wird, daß in England und Frankreich die Ein- gehung, ja das Recht der kirchlich geschlossenen Ehe von der Vornahme derjenigen Akte abhängig gemacht wird, welche diese öffentliche Mitthei- lung nach dem Gesetze enthalten sollen. (S. unter Standesregister Frankreich und England.)
Was dagegen die Ehebeschränkungen, soweit sie nicht auf Familien und Beruf beruhen, anbelangt, so kann die staatsbürgerliche Gesellschaft als solche nur Eine Ehebeschränkung enthalten und durch ihr Princip rechtfertigen. Es ist die, welche aus der Verpflichtung folgt, daß die Gemeinde die Familie erhalten muß, wenn das Familienhaupt es nicht vermag. Es ist nun klar, daß es äußerlich nur Ein entschei- dendes Merkmal gibt, um dieß Unvermögen der Ehegatten zu consta- tiren. Das ist die Thatsache der wirklichen Armenunterstützung. Es läßt sich daher nicht läugnen, daß die Verweigerung drr Ehe da berechtigt ist, wo die Ehegatten wirkliche Unterstützung empfangen; und dieß Recht dürfte auch wohl ein allgemein anerkanntes sein, obwohl es, soweit wir sehen, nur selten ausdrücklich festgestellt ist. Wo dagegen eine solche Armenunterstützung nicht vorhanden ist, da kann auch die Ehe nicht wegen der bloßen Wahrscheinlichkeit oder Möglichkeit der Verarmung nicht untersagt werden. Und hier ist der Punkt, wo die polizeiliche Epoche von der staatsbürgerlichen wenigstens in Mitteleuropa nicht ganz bewältigt erscheint; denn mit der staatsbürgerlichen Gesell- schaft ist zugleich das Bewußtsein des Classengegensatzes wach ge- worden, und hat die Furcht vor der Uebervölkerung erzeugt. Diese aber ist nichts als die Vorstellung von der unorganischen Zunahme der nichtbesitzenden Classe gegenüber der besitzenden; und die Verwaltung der staatsbürgerlichen Gesellschaft glaubte sich verpflichtet, dieser, ihrer Gesellschaftsordnung eigenthümlichen Gefahr durch Verwal- tungsmaßregeln zu begegnen. Auf diese Weise ward es, allerdings unter unverkennbarer Mitwirkung großer gewerblicher Sonderinteressen, möglich, eine Reihe von rein wirthschaftlichen Eheverboten gegen Gesellen etc. aufrecht zu halten (s. oben), deren Nutzlosigkeit in Beziehung auf die Erzeugung von unversorgten Kindern die Statistik genugsam nachgewiesen hat, während die Vorstellungen der früheren Epoche in manchen Staaten die bestehenden Vorschriften der früheren Epoche noch aufrecht halten. Es ist mit Bestimmtheit anzunehmen, daß diese Reste der früheren Zeit bald verschwinden werden. Das Mittel dafür ist
Was zuerſt die Bedingungen der Ehe betrifft, ſo beruhen die- ſelben darauf, daß die Ehe als ein öffentlicher Akt betrachtet wird, und daß daher die öffentliche Mittheilung derſelben als eine vom Geſammtintereſſe geforderte Bedingung der Ehe erſcheint, die für ſo nothwendig erachtet wird, daß in England und Frankreich die Ein- gehung, ja das Recht der kirchlich geſchloſſenen Ehe von der Vornahme derjenigen Akte abhängig gemacht wird, welche dieſe öffentliche Mitthei- lung nach dem Geſetze enthalten ſollen. (S. unter Standesregiſter Frankreich und England.)
Was dagegen die Ehebeſchränkungen, ſoweit ſie nicht auf Familien und Beruf beruhen, anbelangt, ſo kann die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft als ſolche nur Eine Ehebeſchränkung enthalten und durch ihr Princip rechtfertigen. Es iſt die, welche aus der Verpflichtung folgt, daß die Gemeinde die Familie erhalten muß, wenn das Familienhaupt es nicht vermag. Es iſt nun klar, daß es äußerlich nur Ein entſchei- dendes Merkmal gibt, um dieß Unvermögen der Ehegatten zu conſta- tiren. Das iſt die Thatſache der wirklichen Armenunterſtützung. Es läßt ſich daher nicht läugnen, daß die Verweigerung drr Ehe da berechtigt iſt, wo die Ehegatten wirkliche Unterſtützung empfangen; und dieß Recht dürfte auch wohl ein allgemein anerkanntes ſein, obwohl es, ſoweit wir ſehen, nur ſelten ausdrücklich feſtgeſtellt iſt. Wo dagegen eine ſolche Armenunterſtützung nicht vorhanden iſt, da kann auch die Ehe nicht wegen der bloßen Wahrſcheinlichkeit oder Möglichkeit der Verarmung nicht unterſagt werden. Und hier iſt der Punkt, wo die polizeiliche Epoche von der ſtaatsbürgerlichen wenigſtens in Mitteleuropa nicht ganz bewältigt erſcheint; denn mit der ſtaatsbürgerlichen Geſell- ſchaft iſt zugleich das Bewußtſein des Claſſengegenſatzes wach ge- worden, und hat die Furcht vor der Uebervölkerung erzeugt. Dieſe aber iſt nichts als die Vorſtellung von der unorganiſchen Zunahme der nichtbeſitzenden Claſſe gegenüber der beſitzenden; und die Verwaltung der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft glaubte ſich verpflichtet, dieſer, ihrer Geſellſchaftsordnung eigenthümlichen Gefahr durch Verwal- tungsmaßregeln zu begegnen. Auf dieſe Weiſe ward es, allerdings unter unverkennbarer Mitwirkung großer gewerblicher Sonderintereſſen, möglich, eine Reihe von rein wirthſchaftlichen Eheverboten gegen Geſellen ꝛc. aufrecht zu halten (ſ. oben), deren Nutzloſigkeit in Beziehung auf die Erzeugung von unverſorgten Kindern die Statiſtik genugſam nachgewieſen hat, während die Vorſtellungen der früheren Epoche in manchen Staaten die beſtehenden Vorſchriften der früheren Epoche noch aufrecht halten. Es iſt mit Beſtimmtheit anzunehmen, daß dieſe Reſte der früheren Zeit bald verſchwinden werden. Das Mittel dafür iſt
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Was zuerſt die Bedingungen der Ehe betrifft, ſo beruhen die-
ſelben darauf, daß die Ehe als ein öffentlicher Akt betrachtet wird,
und daß daher die öffentliche Mittheilung derſelben als eine vom
Geſammtintereſſe geforderte Bedingung der Ehe erſcheint, die für ſo
nothwendig erachtet wird, daß in England und Frankreich die Ein-
gehung, ja das Recht der kirchlich geſchloſſenen Ehe von der Vornahme
derjenigen Akte abhängig gemacht wird, welche dieſe öffentliche Mitthei-
lung nach dem Geſetze enthalten ſollen. (S. unter Standesregiſter
Frankreich und England.)
Was dagegen die Ehebeſchränkungen, ſoweit ſie nicht auf Familien
und Beruf beruhen, anbelangt, ſo kann die ſtaatsbürgerliche Geſellſchaft
als ſolche nur Eine Ehebeſchränkung enthalten und durch ihr Princip
rechtfertigen. Es iſt die, welche aus der Verpflichtung folgt, daß die
Gemeinde die Familie erhalten muß, wenn das Familienhaupt
es nicht vermag. Es iſt nun klar, daß es äußerlich nur Ein entſchei-
dendes Merkmal gibt, um dieß Unvermögen der Ehegatten zu conſta-
tiren. Das iſt die Thatſache der wirklichen Armenunterſtützung.
Es läßt ſich daher nicht läugnen, daß die Verweigerung drr Ehe da
berechtigt iſt, wo die Ehegatten wirkliche Unterſtützung empfangen;
und dieß Recht dürfte auch wohl ein allgemein anerkanntes ſein, obwohl
es, ſoweit wir ſehen, nur ſelten ausdrücklich feſtgeſtellt iſt. Wo dagegen
eine ſolche Armenunterſtützung nicht vorhanden iſt, da kann auch
die Ehe nicht wegen der bloßen Wahrſcheinlichkeit oder Möglichkeit der
Verarmung nicht unterſagt werden. Und hier iſt der Punkt, wo die
polizeiliche Epoche von der ſtaatsbürgerlichen wenigſtens in Mitteleuropa
nicht ganz bewältigt erſcheint; denn mit der ſtaatsbürgerlichen Geſell-
ſchaft iſt zugleich das Bewußtſein des Claſſengegenſatzes wach ge-
worden, und hat die Furcht vor der Uebervölkerung erzeugt. Dieſe
aber iſt nichts als die Vorſtellung von der unorganiſchen Zunahme
der nichtbeſitzenden Claſſe gegenüber der beſitzenden; und
die Verwaltung der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft glaubte ſich verpflichtet,
dieſer, ihrer Geſellſchaftsordnung eigenthümlichen Gefahr durch Verwal-
tungsmaßregeln zu begegnen. Auf dieſe Weiſe ward es, allerdings
unter unverkennbarer Mitwirkung großer gewerblicher Sonderintereſſen,
möglich, eine Reihe von rein wirthſchaftlichen Eheverboten gegen
Geſellen ꝛc. aufrecht zu halten (ſ. oben), deren Nutzloſigkeit in Beziehung
auf die Erzeugung von unverſorgten Kindern die Statiſtik genugſam
nachgewieſen hat, während die Vorſtellungen der früheren Epoche in
manchen Staaten die beſtehenden Vorſchriften der früheren Epoche noch
aufrecht halten. Es iſt mit Beſtimmtheit anzunehmen, daß dieſe Reſte
der früheren Zeit bald verſchwinden werden. Das Mittel dafür iſt
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/182>, abgerufen am 16.02.2025.
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