Thatsache, ein Memorial des Geistlichen. Zwar erzeugt die Natur der Dinge die rechtliche Beweiskraft der Angaben der Kirchenbücher, aber über die Ordnung und den Inhalt derselben gibt es noch keine Vor- schriften, namentlich nicht über die Controle derselben. Dieß alles tritt erst da ein, wo die Verwaltung sich der Sache bemächtigt und aus dem rein kirchlichen Akt einen administrativen macht.
2) Man kann gewiß behaupten, daß dieß in durchgreifender Weise zuerst in den Städten geschehen ist, wo einerseits das Angehören an die Gemeinde, und andererseits das Erbrecht bei dem beweglichen Capital den Beweis von Geburt, Ehe und Tod nothwendig machten. Wir sehen daher in den städtischen Kirchenbüchern den Anfang der Ge- burts- und Todtenregister. Allein eben so gewiß scheint zu sein, daß trotzdem keine Vorschriften über Inhalt und Ordnung dieser Kirchen- bücher vorhanden waren. Sie sind daher auch jetzt noch ganz localer Natur, und zwar beschränken sie sich sogar noch auf die großen staatlich anerkannten christlichen Confessionen. Alle Nichtchristen haben keine Kirche, und darum keine Kirchenbücher. Es ist mir nicht klar, wie sich zu diesem Princip die aus dem 17. und 18. Jahrhundert stam- menden Geburts- und Todtenregister verhalten; allein mit Recht wird man auch jetzt noch von keinem Standesregister reden.
Die eigentlichen Geburts- und Todtenregister treten daher erst da ein, wo die populationistische Anschauung der Bevölkerung und des entscheidenden Werthes der Zahl derselben durchgreift. Das geschieht mit dem Beginne des 18. Jahrhunderts. Es scheint, daß namentlich die oben charakterisirten Schätzungen der Bevölkerung den Anstoß ge- geben haben, dem Institute der alten Kirchenbücher seine neue Gestalt zu geben. Die Bevölkerungslehre zeigte nämlich, daß bei dem Mangel an eigentlichen Zählungen die Grundlage der Schätzungen in den Kirchenbüchern liege; und daneben steigerte sich bei wachsender Beweg- lichkeit der Bevölkerung auch der Werth genauer Nachweise über das Individuum. Von nicht geringem Einfluß ist dabei ohne Zweifel das Armenwesen und das Schulwesen geworden, welche beide natürlich immer am letzten Orte auf Geburt und Ehe, also auf die Kirchenbücher und Tauf- und Trauscheine zurückkommen mußten. Die Verwaltungen begannen daher jetzt die Nothwendigkeit eines solchen Instituts in allge- meiner und gleichartiger Form zu erkennen, und so beginnen mit der Mitte des vorigen Jahrhunderts die eigentlichen Gesetzgebungen über die Standesregister. Sie bilden das, was wir die administra- tive Epoche der letzteren genannt haben. Ihr charakteristisches Element ist nunmehr leicht zu bezeichnen. Zuerst besteht dasselbe in der Ver- pflichtung zur Führung von solchen Registern für alle Confessionen;
Thatſache, ein Memorial des Geiſtlichen. Zwar erzeugt die Natur der Dinge die rechtliche Beweiskraft der Angaben der Kirchenbücher, aber über die Ordnung und den Inhalt derſelben gibt es noch keine Vor- ſchriften, namentlich nicht über die Controle derſelben. Dieß alles tritt erſt da ein, wo die Verwaltung ſich der Sache bemächtigt und aus dem rein kirchlichen Akt einen adminiſtrativen macht.
2) Man kann gewiß behaupten, daß dieß in durchgreifender Weiſe zuerſt in den Städten geſchehen iſt, wo einerſeits das Angehören an die Gemeinde, und andererſeits das Erbrecht bei dem beweglichen Capital den Beweis von Geburt, Ehe und Tod nothwendig machten. Wir ſehen daher in den ſtädtiſchen Kirchenbüchern den Anfang der Ge- burts- und Todtenregiſter. Allein eben ſo gewiß ſcheint zu ſein, daß trotzdem keine Vorſchriften über Inhalt und Ordnung dieſer Kirchen- bücher vorhanden waren. Sie ſind daher auch jetzt noch ganz localer Natur, und zwar beſchränken ſie ſich ſogar noch auf die großen ſtaatlich anerkannten chriſtlichen Confeſſionen. Alle Nichtchriſten haben keine Kirche, und darum keine Kirchenbücher. Es iſt mir nicht klar, wie ſich zu dieſem Princip die aus dem 17. und 18. Jahrhundert ſtam- menden Geburts- und Todtenregiſter verhalten; allein mit Recht wird man auch jetzt noch von keinem Standesregiſter reden.
Die eigentlichen Geburts- und Todtenregiſter treten daher erſt da ein, wo die populationiſtiſche Anſchauung der Bevölkerung und des entſcheidenden Werthes der Zahl derſelben durchgreift. Das geſchieht mit dem Beginne des 18. Jahrhunderts. Es ſcheint, daß namentlich die oben charakteriſirten Schätzungen der Bevölkerung den Anſtoß ge- geben haben, dem Inſtitute der alten Kirchenbücher ſeine neue Geſtalt zu geben. Die Bevölkerungslehre zeigte nämlich, daß bei dem Mangel an eigentlichen Zählungen die Grundlage der Schätzungen in den Kirchenbüchern liege; und daneben ſteigerte ſich bei wachſender Beweg- lichkeit der Bevölkerung auch der Werth genauer Nachweiſe über das Individuum. Von nicht geringem Einfluß iſt dabei ohne Zweifel das Armenweſen und das Schulweſen geworden, welche beide natürlich immer am letzten Orte auf Geburt und Ehe, alſo auf die Kirchenbücher und Tauf- und Trauſcheine zurückkommen mußten. Die Verwaltungen begannen daher jetzt die Nothwendigkeit eines ſolchen Inſtituts in allge- meiner und gleichartiger Form zu erkennen, und ſo beginnen mit der Mitte des vorigen Jahrhunderts die eigentlichen Geſetzgebungen über die Standesregiſter. Sie bilden das, was wir die adminiſtra- tive Epoche der letzteren genannt haben. Ihr charakteriſtiſches Element iſt nunmehr leicht zu bezeichnen. Zuerſt beſteht daſſelbe in der Ver- pflichtung zur Führung von ſolchen Regiſtern für alle Confeſſionen;
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Thatſache, ein Memorial des Geiſtlichen. Zwar erzeugt die Natur der
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über die Ordnung und den Inhalt derſelben gibt es noch keine Vor-
ſchriften, namentlich nicht über die Controle derſelben. Dieß alles tritt
erſt da ein, wo die Verwaltung ſich der Sache bemächtigt und aus dem
rein kirchlichen Akt einen adminiſtrativen macht.
2) Man kann gewiß behaupten, daß dieß in durchgreifender Weiſe
zuerſt in den Städten geſchehen iſt, wo einerſeits das Angehören an
die Gemeinde, und andererſeits das Erbrecht bei dem beweglichen
Capital den Beweis von Geburt, Ehe und Tod nothwendig machten.
Wir ſehen daher in den ſtädtiſchen Kirchenbüchern den Anfang der Ge-
burts- und Todtenregiſter. Allein eben ſo gewiß ſcheint zu ſein, daß
trotzdem keine Vorſchriften über Inhalt und Ordnung dieſer Kirchen-
bücher vorhanden waren. Sie ſind daher auch jetzt noch ganz localer
Natur, und zwar beſchränken ſie ſich ſogar noch auf die großen ſtaatlich
anerkannten chriſtlichen Confeſſionen. Alle Nichtchriſten haben keine
Kirche, und darum keine Kirchenbücher. Es iſt mir nicht klar, wie
ſich zu dieſem Princip die aus dem 17. und 18. Jahrhundert ſtam-
menden Geburts- und Todtenregiſter verhalten; allein mit Recht wird
man auch jetzt noch von keinem Standesregiſter reden.
Die eigentlichen Geburts- und Todtenregiſter treten daher
erſt da ein, wo die populationiſtiſche Anſchauung der Bevölkerung und
des entſcheidenden Werthes der Zahl derſelben durchgreift. Das geſchieht
mit dem Beginne des 18. Jahrhunderts. Es ſcheint, daß namentlich
die oben charakteriſirten Schätzungen der Bevölkerung den Anſtoß ge-
geben haben, dem Inſtitute der alten Kirchenbücher ſeine neue Geſtalt
zu geben. Die Bevölkerungslehre zeigte nämlich, daß bei dem Mangel
an eigentlichen Zählungen die Grundlage der Schätzungen in den
Kirchenbüchern liege; und daneben ſteigerte ſich bei wachſender Beweg-
lichkeit der Bevölkerung auch der Werth genauer Nachweiſe über das
Individuum. Von nicht geringem Einfluß iſt dabei ohne Zweifel das
Armenweſen und das Schulweſen geworden, welche beide natürlich
immer am letzten Orte auf Geburt und Ehe, alſo auf die Kirchenbücher
und Tauf- und Trauſcheine zurückkommen mußten. Die Verwaltungen
begannen daher jetzt die Nothwendigkeit eines ſolchen Inſtituts in allge-
meiner und gleichartiger Form zu erkennen, und ſo beginnen mit der
Mitte des vorigen Jahrhunderts die eigentlichen Geſetzgebungen
über die Standesregiſter. Sie bilden das, was wir die adminiſtra-
tive Epoche der letzteren genannt haben. Ihr charakteriſtiſches Element
iſt nunmehr leicht zu bezeichnen. Zuerſt beſteht daſſelbe in der Ver-
pflichtung zur Führung von ſolchen Regiſtern für alle Confeſſionen;
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/257>, abgerufen am 22.11.2024.
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