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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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Diese Grundsätze sind wohl kaum jemals ernstlich bezweifelt. Allein
es ist klar, daß hier zugleich das erste Element der Geschichte der be-
treffenden Maßregeln gegeben ist, auf das wir sogleich zurückkommen.
Es beruht dasselbe offenbar in den, zu verschiedenen Zeiten so höchst
verschiedenen Vorstellungen von dem, was man unter öffentlicher
Sicherheit
verstanden hat. Wir werden ihm beim Paßwesen sogleich
wieder begegnen.

Der zweite Theil dieses Rechtssystems für die örtliche Bewegung
beruht nun darauf, daß bei vollster Freiheit derselben zwei Thatsachen
für alle Einzelnen immer und vorzüglich auf der Reise von höchster
Wichtigkeit sind. Die erste ist die Constatirung der Individualität und
der Staatsangehörigkeit, welche als Bedingung des Schutzes des Staats-
angehörigen im fremden Staate angesehen werden muß. Die zweite
ist die Constatirung des jeweiligen Aufenthalts, die für den Einzelnen
eben sowohl als für die Rechtsordnung des Ganzen von anerkannter
Wichtigkeit werden kann.

Allerdings nun ist es zunächst Sache des Einzelnen, sich die Mittel
für die Constatirung dieser Verhältnisse selbst zu verschaffen, da sie
eben zunächst nur für ihn Wichtigkeit haben. Allein diese allgemeine
Wichtigkeit, verbunden mit der großen Schwierigkeit für den Einzelnen,
machen es zu einer Aufgabe des Staats, ihm die Bedingungen
einer solchen Constatirung
durch die Verwaltung darzubieten. Und
das kann er nur durch Herstellung eigner dafür bestimmter Anstalten
erreichen. Diese Anstalten sind, wie wir schon hier bemerken dürfen,
die Paßanstalt, die Legitimationen, die Meldungseinrichtungen. So
wie diese entstehen, entsteht nun zugleich die Frage, welche über das
Recht derselben entscheidet. Soll nämlich der Einzelne im allgemeinen
Interesse die Pflicht, oder soll er bloß im Einzelinteresse das Recht
haben, sie zu benutzen? Dem Wesen der Sache nach kann es kein
Zweifel sein, daß es eine Pflicht zur Benutzung dieser Anstalten nicht
geben kann. Die Aufstellung einer solchen Pflicht beruht daher, obwohl
sie Jahrhunderte hindurch bestanden, nur auf der Vorstellung von den
Pflichten der Verwaltung für die öffentliche Sicherheit; und daraus ist
dieser Theil der Rechtsgeschichte entstanden.

Dieß nun sind die Punkte, welche das System des öffentlichen
Reiserechts bilden.

Sehen wir zunächst von dem positiven öffentlichen Rechte ab, so
liegt das, was über die Ordnung der Mittel für diese Aufgabe zu be-
stimmen ist, in der naturgemäßen Aufgabe derselben. Die Definirung
derselben aber ist darum von Wichtigkeit, weil der vorschriftsmäßige
Inhalt dieser Dinge durch den eigentlichen Zweck derselben bedingt

Dieſe Grundſätze ſind wohl kaum jemals ernſtlich bezweifelt. Allein
es iſt klar, daß hier zugleich das erſte Element der Geſchichte der be-
treffenden Maßregeln gegeben iſt, auf das wir ſogleich zurückkommen.
Es beruht daſſelbe offenbar in den, zu verſchiedenen Zeiten ſo höchſt
verſchiedenen Vorſtellungen von dem, was man unter öffentlicher
Sicherheit
verſtanden hat. Wir werden ihm beim Paßweſen ſogleich
wieder begegnen.

Der zweite Theil dieſes Rechtsſyſtems für die örtliche Bewegung
beruht nun darauf, daß bei vollſter Freiheit derſelben zwei Thatſachen
für alle Einzelnen immer und vorzüglich auf der Reiſe von höchſter
Wichtigkeit ſind. Die erſte iſt die Conſtatirung der Individualität und
der Staatsangehörigkeit, welche als Bedingung des Schutzes des Staats-
angehörigen im fremden Staate angeſehen werden muß. Die zweite
iſt die Conſtatirung des jeweiligen Aufenthalts, die für den Einzelnen
eben ſowohl als für die Rechtsordnung des Ganzen von anerkannter
Wichtigkeit werden kann.

Allerdings nun iſt es zunächſt Sache des Einzelnen, ſich die Mittel
für die Conſtatirung dieſer Verhältniſſe ſelbſt zu verſchaffen, da ſie
eben zunächſt nur für ihn Wichtigkeit haben. Allein dieſe allgemeine
Wichtigkeit, verbunden mit der großen Schwierigkeit für den Einzelnen,
machen es zu einer Aufgabe des Staats, ihm die Bedingungen
einer ſolchen Conſtatirung
durch die Verwaltung darzubieten. Und
das kann er nur durch Herſtellung eigner dafür beſtimmter Anſtalten
erreichen. Dieſe Anſtalten ſind, wie wir ſchon hier bemerken dürfen,
die Paßanſtalt, die Legitimationen, die Meldungseinrichtungen. So
wie dieſe entſtehen, entſteht nun zugleich die Frage, welche über das
Recht derſelben entſcheidet. Soll nämlich der Einzelne im allgemeinen
Intereſſe die Pflicht, oder ſoll er bloß im Einzelintereſſe das Recht
haben, ſie zu benutzen? Dem Weſen der Sache nach kann es kein
Zweifel ſein, daß es eine Pflicht zur Benutzung dieſer Anſtalten nicht
geben kann. Die Aufſtellung einer ſolchen Pflicht beruht daher, obwohl
ſie Jahrhunderte hindurch beſtanden, nur auf der Vorſtellung von den
Pflichten der Verwaltung für die öffentliche Sicherheit; und daraus iſt
dieſer Theil der Rechtsgeſchichte entſtanden.

Dieß nun ſind die Punkte, welche das Syſtem des öffentlichen
Reiſerechts bilden.

Sehen wir zunächſt von dem poſitiven öffentlichen Rechte ab, ſo
liegt das, was über die Ordnung der Mittel für dieſe Aufgabe zu be-
ſtimmen iſt, in der naturgemäßen Aufgabe derſelben. Die Definirung
derſelben aber iſt darum von Wichtigkeit, weil der vorſchriftsmäßige
Inhalt dieſer Dinge durch den eigentlichen Zweck derſelben bedingt

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[251/0273] Dieſe Grundſätze ſind wohl kaum jemals ernſtlich bezweifelt. Allein es iſt klar, daß hier zugleich das erſte Element der Geſchichte der be- treffenden Maßregeln gegeben iſt, auf das wir ſogleich zurückkommen. Es beruht daſſelbe offenbar in den, zu verſchiedenen Zeiten ſo höchſt verſchiedenen Vorſtellungen von dem, was man unter öffentlicher Sicherheit verſtanden hat. Wir werden ihm beim Paßweſen ſogleich wieder begegnen. Der zweite Theil dieſes Rechtsſyſtems für die örtliche Bewegung beruht nun darauf, daß bei vollſter Freiheit derſelben zwei Thatſachen für alle Einzelnen immer und vorzüglich auf der Reiſe von höchſter Wichtigkeit ſind. Die erſte iſt die Conſtatirung der Individualität und der Staatsangehörigkeit, welche als Bedingung des Schutzes des Staats- angehörigen im fremden Staate angeſehen werden muß. Die zweite iſt die Conſtatirung des jeweiligen Aufenthalts, die für den Einzelnen eben ſowohl als für die Rechtsordnung des Ganzen von anerkannter Wichtigkeit werden kann. Allerdings nun iſt es zunächſt Sache des Einzelnen, ſich die Mittel für die Conſtatirung dieſer Verhältniſſe ſelbſt zu verſchaffen, da ſie eben zunächſt nur für ihn Wichtigkeit haben. Allein dieſe allgemeine Wichtigkeit, verbunden mit der großen Schwierigkeit für den Einzelnen, machen es zu einer Aufgabe des Staats, ihm die Bedingungen einer ſolchen Conſtatirung durch die Verwaltung darzubieten. Und das kann er nur durch Herſtellung eigner dafür beſtimmter Anſtalten erreichen. Dieſe Anſtalten ſind, wie wir ſchon hier bemerken dürfen, die Paßanſtalt, die Legitimationen, die Meldungseinrichtungen. So wie dieſe entſtehen, entſteht nun zugleich die Frage, welche über das Recht derſelben entſcheidet. Soll nämlich der Einzelne im allgemeinen Intereſſe die Pflicht, oder ſoll er bloß im Einzelintereſſe das Recht haben, ſie zu benutzen? Dem Weſen der Sache nach kann es kein Zweifel ſein, daß es eine Pflicht zur Benutzung dieſer Anſtalten nicht geben kann. Die Aufſtellung einer ſolchen Pflicht beruht daher, obwohl ſie Jahrhunderte hindurch beſtanden, nur auf der Vorſtellung von den Pflichten der Verwaltung für die öffentliche Sicherheit; und daraus iſt dieſer Theil der Rechtsgeſchichte entſtanden. Dieß nun ſind die Punkte, welche das Syſtem des öffentlichen Reiſerechts bilden. Sehen wir zunächſt von dem poſitiven öffentlichen Rechte ab, ſo liegt das, was über die Ordnung der Mittel für dieſe Aufgabe zu be- ſtimmen iſt, in der naturgemäßen Aufgabe derſelben. Die Definirung derſelben aber iſt darum von Wichtigkeit, weil der vorſchriftsmäßige Inhalt dieſer Dinge durch den eigentlichen Zweck derſelben bedingt

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/273>, abgerufen am 22.11.2024.