Leben lebendes Wesen ist, das wir den Staat nennen, um so viel weiter und gewaltiger ziehen sich jene Kreise seiner Willensbe- stimmungen und Handlungen in die Gegenwart und Zukunft der mensch- lichen Geschlechter hinein. Ist das, was der Einzelne will und thut, seinem innern Wesen nach unsterblich, so ist das, was durch den Staat geschieht, auch äußerlich unvergänglich. Die folgende Zeit bedarf nicht erst einer höhern Weltanschauung, um die Dauer dieser staatlichen That abstract anzuerkennen; sie kann sie fassen und ergreifen; sie kann sie sehen und messen; sie kann das Gute und das Ueble, das daraus folgt, wieder als selbständige Thatsache feststellen; sie glaubt nicht bloß an die Ewigkeit dieser That des Staats, sie weiß und kennt sie. Dieß Kennen, dieß Wissen aber ist die Geschichte. Und die Geschichte der Staaten ist die Unsterblichkeit der Handlungen des Staats im Allge- meinen, und besonders in der Verwaltung.
Wir haben nicht angestanden, diese Anschauungen hier an die Spitze einer höchst concreten, ja fast materiellen und in tiefe Einzel- heiten gehenden Arbeit zu stellen. Denn sie sind es, welche uns allein die wahre Höhe des Standpunktes geben, dessen wir bedürfen.
Ist dem nämlich so, so ist es zwar möglich, wie es ja auch Jahr- tausende hindurch wirklich der Fall gewesen ist, daß der Staat handle und arbeite, ohne sich von dem Wesen und der Tragweite seiner That Rechenschaft abzulegen. Allein wenn er anfängt zu erkennen, was er ist, und damit die Bedeutung seiner eignen Wirksamkeit zu ahnen und zu verstehen, so ist es klar, daß er dieselbe vor allen Dingen als eine hochwichtige und mit seinem innersten Wesen in engster Verbindung stehende zu begreifen beginnen muß. Wo immer der Staat über das nachdenkt, was er will und thut, mag es sein, daß die Philosophie oder die praktische Theorie, oder das tüchtige Amt, oder die Volksvertretung, oder auch das Staatsoberhaupt diese Function übernimmt, stets wird er zunächst durch das Gefühl jener gewaltigen Ausdehnung seiner Ein- wirkung auf die Gesammtheit von dem zweiten Gefühl einer hohen sittlichen Verantwortlichkeit erfaßt werden. Die unmeßbaren Folgen, die der Wille oder die Handlungen der Staatsgewalt haben, wenn sie das Leben bestimmen oder hemmen, werden dieselbe nothwendig mit tiefem Ernst erfüllen, indem sie die öffentlichen Rechte und Zustände bestimmt; und der Einzelne, der dabei den Staat zu vertreten hat, wird, ist er anders der Aufgabe würdig, die ihm sein Schicksal zuge- wiesen, bei seinem eignen Meinen und Denken, bei seiner eignen Er- fahrung und selbst bei seinem wahrhaftigen Wollen sich ernstlich fragen, ob dasselbe nicht individuell, zufällig, oder unberechtigt erscheine neben der gewaltigen Aufgabe, die er auf der Höhe seiner Stellung überblickt;
Leben lebendes Weſen iſt, das wir den Staat nennen, um ſo viel weiter und gewaltiger ziehen ſich jene Kreiſe ſeiner Willensbe- ſtimmungen und Handlungen in die Gegenwart und Zukunft der menſch- lichen Geſchlechter hinein. Iſt das, was der Einzelne will und thut, ſeinem innern Weſen nach unſterblich, ſo iſt das, was durch den Staat geſchieht, auch äußerlich unvergänglich. Die folgende Zeit bedarf nicht erſt einer höhern Weltanſchauung, um die Dauer dieſer ſtaatlichen That abſtract anzuerkennen; ſie kann ſie faſſen und ergreifen; ſie kann ſie ſehen und meſſen; ſie kann das Gute und das Ueble, das daraus folgt, wieder als ſelbſtändige Thatſache feſtſtellen; ſie glaubt nicht bloß an die Ewigkeit dieſer That des Staats, ſie weiß und kennt ſie. Dieß Kennen, dieß Wiſſen aber iſt die Geſchichte. Und die Geſchichte der Staaten iſt die Unſterblichkeit der Handlungen des Staats im Allge- meinen, und beſonders in der Verwaltung.
Wir haben nicht angeſtanden, dieſe Anſchauungen hier an die Spitze einer höchſt concreten, ja faſt materiellen und in tiefe Einzel- heiten gehenden Arbeit zu ſtellen. Denn ſie ſind es, welche uns allein die wahre Höhe des Standpunktes geben, deſſen wir bedürfen.
Iſt dem nämlich ſo, ſo iſt es zwar möglich, wie es ja auch Jahr- tauſende hindurch wirklich der Fall geweſen iſt, daß der Staat handle und arbeite, ohne ſich von dem Weſen und der Tragweite ſeiner That Rechenſchaft abzulegen. Allein wenn er anfängt zu erkennen, was er iſt, und damit die Bedeutung ſeiner eignen Wirkſamkeit zu ahnen und zu verſtehen, ſo iſt es klar, daß er dieſelbe vor allen Dingen als eine hochwichtige und mit ſeinem innerſten Weſen in engſter Verbindung ſtehende zu begreifen beginnen muß. Wo immer der Staat über das nachdenkt, was er will und thut, mag es ſein, daß die Philoſophie oder die praktiſche Theorie, oder das tüchtige Amt, oder die Volksvertretung, oder auch das Staatsoberhaupt dieſe Function übernimmt, ſtets wird er zunächſt durch das Gefühl jener gewaltigen Ausdehnung ſeiner Ein- wirkung auf die Geſammtheit von dem zweiten Gefühl einer hohen ſittlichen Verantwortlichkeit erfaßt werden. Die unmeßbaren Folgen, die der Wille oder die Handlungen der Staatsgewalt haben, wenn ſie das Leben beſtimmen oder hemmen, werden dieſelbe nothwendig mit tiefem Ernſt erfüllen, indem ſie die öffentlichen Rechte und Zuſtände beſtimmt; und der Einzelne, der dabei den Staat zu vertreten hat, wird, iſt er anders der Aufgabe würdig, die ihm ſein Schickſal zuge- wieſen, bei ſeinem eignen Meinen und Denken, bei ſeiner eignen Er- fahrung und ſelbſt bei ſeinem wahrhaftigen Wollen ſich ernſtlich fragen, ob daſſelbe nicht individuell, zufällig, oder unberechtigt erſcheine neben der gewaltigen Aufgabe, die er auf der Höhe ſeiner Stellung überblickt;
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Leben lebendes Weſen iſt, das wir den Staat nennen, um ſo
viel weiter und gewaltiger ziehen ſich jene Kreiſe ſeiner Willensbe-
ſtimmungen und Handlungen in die Gegenwart und Zukunft der menſch-
lichen Geſchlechter hinein. Iſt das, was der Einzelne will und thut,
ſeinem innern Weſen nach unſterblich, ſo iſt das, was durch den Staat
geſchieht, auch äußerlich unvergänglich. Die folgende Zeit bedarf nicht
erſt einer höhern Weltanſchauung, um die Dauer dieſer ſtaatlichen That
abſtract anzuerkennen; ſie kann ſie faſſen und ergreifen; ſie kann ſie
ſehen und meſſen; ſie kann das Gute und das Ueble, das daraus folgt,
wieder als ſelbſtändige Thatſache feſtſtellen; ſie glaubt nicht bloß an
die Ewigkeit dieſer That des Staats, ſie weiß und kennt ſie. Dieß
Kennen, dieß Wiſſen aber iſt die Geſchichte. Und die Geſchichte der
Staaten iſt die Unſterblichkeit der Handlungen des Staats im Allge-
meinen, und beſonders in der Verwaltung.
Wir haben nicht angeſtanden, dieſe Anſchauungen hier an die
Spitze einer höchſt concreten, ja faſt materiellen und in tiefe Einzel-
heiten gehenden Arbeit zu ſtellen. Denn ſie ſind es, welche uns allein
die wahre Höhe des Standpunktes geben, deſſen wir bedürfen.
Iſt dem nämlich ſo, ſo iſt es zwar möglich, wie es ja auch Jahr-
tauſende hindurch wirklich der Fall geweſen iſt, daß der Staat handle
und arbeite, ohne ſich von dem Weſen und der Tragweite ſeiner That
Rechenſchaft abzulegen. Allein wenn er anfängt zu erkennen, was er
iſt, und damit die Bedeutung ſeiner eignen Wirkſamkeit zu ahnen und
zu verſtehen, ſo iſt es klar, daß er dieſelbe vor allen Dingen als eine
hochwichtige und mit ſeinem innerſten Weſen in engſter Verbindung
ſtehende zu begreifen beginnen muß. Wo immer der Staat über das
nachdenkt, was er will und thut, mag es ſein, daß die Philoſophie oder
die praktiſche Theorie, oder das tüchtige Amt, oder die Volksvertretung,
oder auch das Staatsoberhaupt dieſe Function übernimmt, ſtets wird
er zunächſt durch das Gefühl jener gewaltigen Ausdehnung ſeiner Ein-
wirkung auf die Geſammtheit von dem zweiten Gefühl einer hohen
ſittlichen Verantwortlichkeit erfaßt werden. Die unmeßbaren Folgen,
die der Wille oder die Handlungen der Staatsgewalt haben, wenn ſie
das Leben beſtimmen oder hemmen, werden dieſelbe nothwendig mit
tiefem Ernſt erfüllen, indem ſie die öffentlichen Rechte und Zuſtände
beſtimmt; und der Einzelne, der dabei den Staat zu vertreten hat,
wird, iſt er anders der Aufgabe würdig, die ihm ſein Schickſal zuge-
wieſen, bei ſeinem eignen Meinen und Denken, bei ſeiner eignen Er-
fahrung und ſelbſt bei ſeinem wahrhaftigen Wollen ſich ernſtlich fragen,
ob daſſelbe nicht individuell, zufällig, oder unberechtigt erſcheine neben
der gewaltigen Aufgabe, die er auf der Höhe ſeiner Stellung überblickt;
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/30>, abgerufen am 21.11.2024.
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