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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

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deſſen Löſung ſelbſt der Staat als höchſte Form der Perſönlichkeit nur
ein Faktor, wenn auch ein wichtiger iſt.

Die zur unendlichen Entwicklung beſtimmte Perſönlichkeit iſt zugleich
unfähig, ſich nur durch ſich ſelbſt zur Verwirklichung ihrer eigenen Idee
hinaufzuarbeiten. Sie iſt an ſich, in ihrem innerſten Weſen ungemeſſen
und unendlich. Das einfache Verſtändniß dieſer gewaltigen Thatſache
drückt dieß in der Ahnung der individuellen Unſterblichkeit aus. Die
Wiſſenſchaft formulirt es als die „reine Selbſtbeſtimmung.“ Allein die
Perſönlichkeit iſt zugleich in ihrer Wirklichkeit faſt unendlich begränzt
und unmächtig; die Wiſſenſchaft ſagt, ſie ſei auf allen Punkten „mit
dem Maße umgeben.“ In tauſend verſchiedenen Geſtalten erſcheint im
Einzel- wie im Geſammtleben das Gefühl dieſes Widerſpruches. Seine
Löſung iſt die Lehre von der Ethik; der Kampf, in dem ſie gefunden
wird, iſt das ſittliche Pathos; ſein Verſtändniß aber iſt die Grundlage
des organiſchen Verſtändniſſes jedes Theiles und jeder Funktion im
perſönlichen Leben.

Die Logik dieſes Verſtändniſſes, ſo weit ſie hierher gehört, iſt folgende.

Jedes Streben nach Löſung jenes Widerſpruches in der Erfüllung
der perſönlichen Beſtimmung muß, wegen der gegebenen Begränzung
unſerer Kräfte, zu ſeiner erſten und unabweisbaren Bedingung, im
Gebiete dieſer perſönlichen Kräfte die Unendlichkeit wieder herſtellen,
welche dem Einzelnen fehlt. Das nun geſchieht formell durch die
unendliche Vielheit der menſchlichen Perſönlichkeiten. Allein dieſe reicht
an ſich durch ihr bloßes Daſein nicht aus. Es muß vielmehr für den
Einzelnen dieſe Vielheit wirklich zu jener Erfüllung ſeiner eigenen Kraft
werden, die ihm fehlt; das nun hat wiederum zur Vorausſetzung, daß
die Vielheit durch das Auftreten dieſer für jedes Glied derſelben gel-
tende Aufgabe zuerſt eine Einheit werde. Wir nennen alle Geſtalten
dieſer Einheit der Vielheit, inſofern ſie eben durch jenes Weſen der
Perſönlichkeit geſetzt iſt, eine Gemeinſchaft. Der lebendige Inhalt
der Gemeinſchaft, oder das Leben derſelben, erſcheint daher an und für
ſich als eine unbedingte, das iſt durch das abſolute Weſen der Perſön-
lichkeit ſelbſt geſetzte Bedingung für das Leben der letzteren. Ohne den
Begriff und das Daſein der Gemeinſchaft iſt der Einzelne ein abſoluter,
unlösbarer Widerſpruch.

Iſt nun dieſe Gemeinſchaft ihrem organiſchen Begriffe nach eine
abſolute Bedingung für das Leben der Perſönlichkeit, ſo iſt ſie eben
dadurch ſelbſt etwas Selbſtbedingtes. Das aber heißt, Perſönlichkeit
ſein. Die Gemeinſchaft als Einheit der Perſönlichkeiten wird daher
zur perſönlichen Einheit. Sie wird ſelbſt Perſönlichkeit. Und dieſe
Gemeinſchaft der Menſchen als Perſönlichkeit iſt eben der Staat.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/66>, abgerufen am 23.02.2025.