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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867.

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entsteht mit der mehr im Wesen dieser amtlichen Stellung als in spe-
ziellen Instruktionen liegenden Aufgabe, sich auch um die Gesundheit
im Allgemeinen zu kümmern, jene von uns bereits signalisirte Verschmel-
zung der Theorien des Gesundheitswesens mit denen der gerichtlichen
Medicin. Allein es ist nicht zu verkennen, daß dieß alles noch einen
vorwiegend örtlichen Charakter hat. Um ihm seine gegenwärtige Be-
deutung zu geben, mußte ein zweites hinzukommen.

Dieß nun bestand in der allgemeinen Entwicklung der staatlichen
Gewalt mit dem siebzehnten Jahrhundert, welche, wie wir gezeigt, in
der eudämonistischen Staatslehre des Jus naturae ihren wissenschaftlichen
und zugleich ethischen Ausdruck fand. Die allgemeine Pflicht der neu
entstehenden Regierungsgewalt, für die Wohlfahrt ihrer Unterthanen
überhaupt zu sorgen, erscheint natürlich als spezielle Aufgabe der Sorge
für ihre Gesundheit. Indeß wird es nothwendig, daß die Verwaltung
den Gedanken einer Gesundheitspflege selbständig erfasse und zum Aus-
druck bringe; ohne ihn würde sie offenbar ihrer großen Funktion nicht
Genüge geleistet haben. Mit dem achtzehnten Jahrhundert beginnt daher
die Scheidung der Gesundheitspflege von der gerichtlichen
Medicin
, und somit die eigentliche Geschichte unseres Gegenstandes.

Diese Geschichte hat nun einen ganz bestimmten Charakter, der auf
das Engste mit der bisherigen Entwicklung zusammen hängt. Nach wie
vor sind nämlich die Mediciner die berufenen Fachmänner, welche allein
über dasjenige urtheilen können, was nothwendig einerseits und gefähr-
lich andererseits ist, und welche auch allein im Stande sind, der rich-
tigen Ausführung vorzustehen. Eine verständige Verwaltung muß daher
vor allen Dingen dieser Thätigkeit des Heilpersonals den festen, ernst-
lichen Charakter einer öffentlichen Ordnung geben. Steht nur erst diese
fest, und empfangen somit die Glieder des Heilpersonals den Charakter
öffentlicher Organe, werden ihre Thätigkeiten nur erst öffentliche Funk-
tionen, so wird die fortschreitende Wissenschaft schon das, was sie für
das Gesundheitswesen zu thun haben, lehren, und durch diese Organe
auch vollziehen lassen. Das erste was daher geschehen muß, ist die
öffentlich rechtliche Organisation des Heildienstes und die Auf-
nahme desselben in das System der Verwaltung oder "Polizei." Dieß
nun geschieht, nach dem Charakter der damaligen Rechtsbildung, durch
eine förmliche administrative Gesetzgebung, deren Aufgabe und In-
halt eben jene Organisation des Heildienstes ist. Aus dieser Gesetz-
gebung gehen nun die großen Medicinal-Polizeiordnungen des
vorigen Jahrhunderts hervor, die bei mancher Verschiedenheit im Ein-
zelnen dennoch im Wesentlichen denselben Grundzug haben. Sie be-
ruhen auf der Grundvorstellung, daß die Funktion des Heilpersonals

entſteht mit der mehr im Weſen dieſer amtlichen Stellung als in ſpe-
ziellen Inſtruktionen liegenden Aufgabe, ſich auch um die Geſundheit
im Allgemeinen zu kümmern, jene von uns bereits ſignaliſirte Verſchmel-
zung der Theorien des Geſundheitsweſens mit denen der gerichtlichen
Medicin. Allein es iſt nicht zu verkennen, daß dieß alles noch einen
vorwiegend örtlichen Charakter hat. Um ihm ſeine gegenwärtige Be-
deutung zu geben, mußte ein zweites hinzukommen.

Dieß nun beſtand in der allgemeinen Entwicklung der ſtaatlichen
Gewalt mit dem ſiebzehnten Jahrhundert, welche, wie wir gezeigt, in
der eudämoniſtiſchen Staatslehre des Jus naturae ihren wiſſenſchaftlichen
und zugleich ethiſchen Ausdruck fand. Die allgemeine Pflicht der neu
entſtehenden Regierungsgewalt, für die Wohlfahrt ihrer Unterthanen
überhaupt zu ſorgen, erſcheint natürlich als ſpezielle Aufgabe der Sorge
für ihre Geſundheit. Indeß wird es nothwendig, daß die Verwaltung
den Gedanken einer Geſundheitspflege ſelbſtändig erfaſſe und zum Aus-
druck bringe; ohne ihn würde ſie offenbar ihrer großen Funktion nicht
Genüge geleiſtet haben. Mit dem achtzehnten Jahrhundert beginnt daher
die Scheidung der Geſundheitspflege von der gerichtlichen
Medicin
, und ſomit die eigentliche Geſchichte unſeres Gegenſtandes.

Dieſe Geſchichte hat nun einen ganz beſtimmten Charakter, der auf
das Engſte mit der bisherigen Entwicklung zuſammen hängt. Nach wie
vor ſind nämlich die Mediciner die berufenen Fachmänner, welche allein
über dasjenige urtheilen können, was nothwendig einerſeits und gefähr-
lich andererſeits iſt, und welche auch allein im Stande ſind, der rich-
tigen Ausführung vorzuſtehen. Eine verſtändige Verwaltung muß daher
vor allen Dingen dieſer Thätigkeit des Heilperſonals den feſten, ernſt-
lichen Charakter einer öffentlichen Ordnung geben. Steht nur erſt dieſe
feſt, und empfangen ſomit die Glieder des Heilperſonals den Charakter
öffentlicher Organe, werden ihre Thätigkeiten nur erſt öffentliche Funk-
tionen, ſo wird die fortſchreitende Wiſſenſchaft ſchon das, was ſie für
das Geſundheitsweſen zu thun haben, lehren, und durch dieſe Organe
auch vollziehen laſſen. Das erſte was daher geſchehen muß, iſt die
öffentlich rechtliche Organiſation des Heildienſtes und die Auf-
nahme deſſelben in das Syſtem der Verwaltung oder „Polizei.“ Dieß
nun geſchieht, nach dem Charakter der damaligen Rechtsbildung, durch
eine förmliche adminiſtrative Geſetzgebung, deren Aufgabe und In-
halt eben jene Organiſation des Heildienſtes iſt. Aus dieſer Geſetz-
gebung gehen nun die großen Medicinal-Polizeiordnungen des
vorigen Jahrhunderts hervor, die bei mancher Verſchiedenheit im Ein-
zelnen dennoch im Weſentlichen denſelben Grundzug haben. Sie be-
ruhen auf der Grundvorſtellung, daß die Funktion des Heilperſonals

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[10/0026] entſteht mit der mehr im Weſen dieſer amtlichen Stellung als in ſpe- ziellen Inſtruktionen liegenden Aufgabe, ſich auch um die Geſundheit im Allgemeinen zu kümmern, jene von uns bereits ſignaliſirte Verſchmel- zung der Theorien des Geſundheitsweſens mit denen der gerichtlichen Medicin. Allein es iſt nicht zu verkennen, daß dieß alles noch einen vorwiegend örtlichen Charakter hat. Um ihm ſeine gegenwärtige Be- deutung zu geben, mußte ein zweites hinzukommen. Dieß nun beſtand in der allgemeinen Entwicklung der ſtaatlichen Gewalt mit dem ſiebzehnten Jahrhundert, welche, wie wir gezeigt, in der eudämoniſtiſchen Staatslehre des Jus naturae ihren wiſſenſchaftlichen und zugleich ethiſchen Ausdruck fand. Die allgemeine Pflicht der neu entſtehenden Regierungsgewalt, für die Wohlfahrt ihrer Unterthanen überhaupt zu ſorgen, erſcheint natürlich als ſpezielle Aufgabe der Sorge für ihre Geſundheit. Indeß wird es nothwendig, daß die Verwaltung den Gedanken einer Geſundheitspflege ſelbſtändig erfaſſe und zum Aus- druck bringe; ohne ihn würde ſie offenbar ihrer großen Funktion nicht Genüge geleiſtet haben. Mit dem achtzehnten Jahrhundert beginnt daher die Scheidung der Geſundheitspflege von der gerichtlichen Medicin, und ſomit die eigentliche Geſchichte unſeres Gegenſtandes. Dieſe Geſchichte hat nun einen ganz beſtimmten Charakter, der auf das Engſte mit der bisherigen Entwicklung zuſammen hängt. Nach wie vor ſind nämlich die Mediciner die berufenen Fachmänner, welche allein über dasjenige urtheilen können, was nothwendig einerſeits und gefähr- lich andererſeits iſt, und welche auch allein im Stande ſind, der rich- tigen Ausführung vorzuſtehen. Eine verſtändige Verwaltung muß daher vor allen Dingen dieſer Thätigkeit des Heilperſonals den feſten, ernſt- lichen Charakter einer öffentlichen Ordnung geben. Steht nur erſt dieſe feſt, und empfangen ſomit die Glieder des Heilperſonals den Charakter öffentlicher Organe, werden ihre Thätigkeiten nur erſt öffentliche Funk- tionen, ſo wird die fortſchreitende Wiſſenſchaft ſchon das, was ſie für das Geſundheitsweſen zu thun haben, lehren, und durch dieſe Organe auch vollziehen laſſen. Das erſte was daher geſchehen muß, iſt die öffentlich rechtliche Organiſation des Heildienſtes und die Auf- nahme deſſelben in das Syſtem der Verwaltung oder „Polizei.“ Dieß nun geſchieht, nach dem Charakter der damaligen Rechtsbildung, durch eine förmliche adminiſtrative Geſetzgebung, deren Aufgabe und In- halt eben jene Organiſation des Heildienſtes iſt. Aus dieſer Geſetz- gebung gehen nun die großen Medicinal-Polizeiordnungen des vorigen Jahrhunderts hervor, die bei mancher Verſchiedenheit im Ein- zelnen dennoch im Weſentlichen denſelben Grundzug haben. Sie be- ruhen auf der Grundvorſtellung, daß die Funktion des Heilperſonals

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 3 (2,2). Stuttgart, 1867, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre03_1867/26>, abgerufen am 21.11.2024.